BERLIN. (hpd) Unter dem Motto „Verschweigen, Vertuschen und Verdrängen hat ein Ende“ legte der runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ gestern in Berlin seinen zweibändigen Zwischenbericht vor.
Wie schon bei der letzten Pressekonferenz Ende September erwähnt wird an folgenden Punkten gearbeitet: Gesetzesentwurf, die Verjährungsfrist im Zivilrecht von 3 auf 30 Jahre zu erhöhen, Mehrfachvernehmungen bei kindlichen Opfern zu vermeiden, die Nebenklagerechte zu verbessern, Standards einzurichten in Institutionen, die mit Kindern arbeiten, ein erweitertes Führungszeugnis für hauptamtliche Mitarbeiter in ebensolchen Institutionen zu verlangen, Weiterbildungen für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe zu initiieren
Die juristische Arbeitsgruppe veröffentlichte außerdem einen Entwurf für Leitlinien zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden, in dem sie keine Anzeigepflicht sondern eine Selbstverpflichtung der betroffenen Institutionen vorschlägt. Damit scheint die Justizministerin vor der katholischen Kirche eingeknickt zu sein, die sich in ihren neuen Leitlinien standhaft weigert, eine generelle Anzeigepflicht zuzusichern.
Eine Strafrechtsänderung im Bezug auf sexuellen Missbrauch von Kindern wird erst bei der nächsten Sitzung des Runden Tischs im Januar diskutiert.
Ebenfalls aufgeschoben wurde die Diskussion um die Entschädigung der Betroffenen, was einigermaßen erstaunlich ist, da bei der letzten Pressekonferenz schon relativ konkret von einem Fond der katholischen Kirche die Rede war.
Die unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs Dr. Christine Bergmann teilte auf Nachfrage mit, dass eine permanente Anlaufstelle für Betroffene auf Bundes- oder Landesebene gefordert wird.
Interessant ist, dass Dr. Bergmann von „Betroffenen“ spricht, die drei Ministerinnen Prof. Dr. Schavan, Dr.Schröder und Frau Leutheusser-Schnarrenberger hingegen stets von „Opfern“, wohl eine Frage des Blickwinkels.
Anfang November gab es im Rahmen des Runden Tischs eine „Anhörung“ von Betroffenen. Eine „Maßnahme zur Wahrung des Scheins“ meinten die Betroffenen der Organisation Netzwerk B. Sie protestierten erneut, da nach wie vor keine Betroffenen als vollwertige Mitglieder an den Runden Tisch eingeladen sind. Bei klirrender Kälte harrten sie mit einem Transparent „Ihr runder Tisch ohne Betroffene ist ein Irrweg!“ vor der Pressekonferenz aus und verteilten an die Journalisten eine Pressemitteilung, in der u. a. gefragt wird: „Mit welchem Recht sitzen Vertreter einer Organisation (katholische Kirche), deren Interesse bislang ausschließlich der Täterschutz war, am runden Tisch, während diejenigen, denen durch diese Vertuschung unsägliches Leid widerfahren ist, davon ausgeschlossen werden?“
Zuletzt ging es in der Pressekonferenz um die sog. „Einrede der Verjährung“, also dem Recht auf die Verjährung zu pochen. Familienministerin Schröder dazu: „Ich könnte mir vorstellen, dass auch die katholische Kirche auf die Einhaltung der Verjährung verzichtet“. Sie forderte damit alle, die sich des sexuellen Kindesmissbrauchs schuldig gemacht haben auf, das Recht zur Einrede der Verjährung nicht in Anspruch zu nehmen. Ein frommer Wunsch? Ob der moralische Appell fruchtet ist fraglich und doch zu wünschen. Fraglich ist auch, ob das „Verschweigen, Vertuschen und Verdrängen“ wirklich ein Ende hat, wenn den Täterinstitutionen so viel Wunschdenken und Vertrauen entgegengebracht wird. Den zweibändigen Zwischenbericht (Dokumente Band 1 und Band 2 im Anhang) gilt es nun genau zu analysieren.
Katharina Micada