Es bewegt sich manches. Weiß man wohin?

 

Es gibt von einem südamerikanischen Autoren die Aussage: „Alle Schriftsteller sind diskrete Exhibitionisten.“

Ja, bestimmt. Und Oscar Wilde hat gesagt: „Jede Literaturkritik ist eine Autobiographie.“

Natürlich spielen beim Schreiben die eigene Biographie, die eigenen Gedanken, das eigene Leben eine Rolle, wie man eine Geschichte entwickelt und entfalten kann, denn man kann sie ja nur in seinem eigenen Horizont entwickeln. Mir ging es nun bei der Lektüre deiner Bücher so, dass ich, bei den wenigen Büchern, die ich von dir gelesen habe, beim ersten meinte: Ah ja, das ist es also, was Esther Vilar beschäftigt und ausmacht; beim zweiten dachte ich: Nun aber, das ist aber ganz anders; und beim dritten war ich dann ganz überrascht, denn meine Erwartung, ich könnte dich darüber, dass ich die drei Bücher gelesen habe, mehr verstehen, sich in das Gegenteil verwandelt hatte. Nämlich in die Erkenntnis: Du hast so viele Facetten, so viele Themen, dass es nicht möglich ist, dich auf eine Hauptlinie, auf ein Hauptthema zu fixieren.

Ja und Nein. Das mit der Freiheit kommt immer wieder vor, aber sonst – auch wenn du die Stücke dazu kennen würdest -, das sind ja auch mittlerweile fünfzehn...

...Achtzehn! (Allgemeines Lachen)

... alle behandeln verschiedene Themen.

Oh, ich sehe gerade, du hast „Reden und Schweigen in Palermo“, den Erotik-Thriller, auch als Theaterstück bearbeitet.

Das kann man natürlich niemals auf die Bühne bringen, das geht nicht ... Man kann einen Film machen, irgendwann einmal ...

Doch, auf der Bühne geht das vielleicht mit Paravents? Wo du im Roman aufhörst, gehen die beiden hinter einen Paravent, und die Zuschauer können sich fünf Minuten lang vorstellen, was da nun passiert, ...

Ja? Es gibt ein paar Theaterleute, die sich dafür begeistert haben, aber das ist zu kompliziert. Als Film ja, da kann man entscheiden, was man zeigen will ...

Da wäre ich zuversichtlicher. Wir haben jetzt in Berlin einmal eine Serie gesehen „Pornografie von Frauen“. Das war ein spannendes Thema. Wenn Frauen Sexualität und Kopulation zeigen, ist das nicht anzüglich, nicht obszön oder etwas in der Art, es ist natürlich ... Nun gut, das ist in dem „Reden und Schweigen“ nun gerade nicht das Thema, da dort der Mann Gewalt ausübt, was passiert, eben nicht harmonisch ist, ...

Das alles ist nicht autobiographisch bei mir ... Und pornografisch ist es eigentlich auch nicht.

... Ich fand die Geschichte in zweierlei Hinsicht spannend. Das erste ist die Geschichte, wie sie eben läuft, mit dem Mann, der plötzlich im Hotelzimmer steht und dann Gewalt über die Frau ausübt. Das zweite ist das lange Nachwort, in dem du damit beginnst, dass du schreibst: Es hat anscheinend interessiert, sonst hätten Sie als Leser nicht bis hierher gelesen. (Lachen) Das heißt, du hast ein Anliegen, und darüber schreibst du ja auch ausführlich im Nachwort. Dort sagst du, dass diese übersexualisierte Gesellschaft den Mann aus der Rolle des Jägers, der die Frau erobert, herausgenommen hat, weil die Frau ihm in der Werbung ständig als bereit, „Nimm mich!“, „Fick mich!“ präsentiert wird. Durch diese Übersexualisierung wird der Geschlechtsverkehr wiederum uninteressanter, denn der Sex erscheint ja ständig verfügbar. Ich fand dann jedoch spannend, dass du in dieser Novelle im Bereich der Monogamie verblieben bist und schilderst, wie ein Paar versucht, seine Leidenschaft monogam zu leben. Meine Frage dazu ist, warum quälen sich die Leute so? Ich habe eine Freundin, auch in unserem Alter, alleine lebend, zu der ich meinte: Das Beste wäre doch jetzt ein gutes ‚Bratkartoffelverhältnis’: Du suchst dir einen Mann, der in vielerlei Hinsicht zu dir passt – emotional, intellektuell, gesellschaftlich, finanziell -, und ihr beide habt ein friedliches, fröhliches und kultiviertes Leben miteinander ... Sie hat mich angeschaut, als ob sie sagte wollte: Was erzählt dieser Mann mir?! und meinte dann: Nein, mich muss es packen, es muss mich überraschen, er muss mich begeistern, ...

Nun ja, das wollen wir doch alle...

Ja?

Ja!

Ich nicht!

Ja, das gibt’s auch. (Allgemeines Lachen) Aber da muss man auch vorsichtig sein. Die Leute schwindeln sehr viel, wenn es um die Sexualität geht und sagen nur selten die Wahrheit.

Das passt nun aber wunderbar zu dem, was du über die eigenartigen Geschichten geschrieben hast, die der Protagonistin in „Die Mathematik der Nina Gluckstein“ von der Presse zugeschrieben werden und von denen sie sagt, dass sie die zum Teil selber erfunden hat, um die Öffentlichkeit von sich selber abzulenken. Sie sagt dazu: Das ist „mein Vergnügen und mein gutes Recht. Außerdem finde ich es blamabel, wenn einer, dessen Beruf darin besteht, möglichst widerspruchsfreie Lügen zu erfinden, ausgerechnet über sich selbst die Wahrheit erzählt. Was würde man von einem Schneidermeister halten, der nackt herumgeht?“

Im Grunde leben wir alle vom Lügen

Ja, das stimmt auch für Schriftsteller. Die ganze Unterhaltungsbranche lebt vom Lügen. Wir erfinden Geschichten über uns, über andere, spielen sie so, als seien sie wirklich passiert und dann heißt es: Was für ein toller Schriftsteller! Welch herrlicher Schauspieler!

Es gibt dazu eine bezeichnende Geschichte, ich denke von Matthias Claudius, über einen naiven Menschen in Hamburg, der zum ersten Mal im Theater ist, zutiefst betrübt über den Tod des Helden nach Hause geht und am nächsten Abend total empört ist, dass der Mann immer noch lebt und eine andere Rolle auf der Bühne spielt.

Kann es das wohl noch geben? Sicher nicht. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Schriftsteller und Schauspieler davon leben, Lügen-Kunstwerke zu verkaufen. Und wer am besten lügt, bekommt den Nobelpreis für Literatur.

Bei dem Erfinden würde ich ja voll mit dir mitgehen. Aber Lügen ist doch eine viel schärfere Form. Lügen heißt doch, etwas bewusst zu erfinden, etwas bewusst Falsches zu sagen, um Vorteile zu erlangen oder Nachteile zu vermeiden ...

Man erfindet etwas möglichst echt, so dass es möglichst glaubwürdig ist. Und diese Glaubwürdigkeit bringt natürlich Bewunderung und andere Vorteile. Doch die Tätigkeit ist lügen.