„Offensiv vorgetragene Rückzugsgefechte“

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Riesenplakat am Springer-Hochhhaus in Berlin / Foto: Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Am Ende der vergangenen Woche sprachen Amardeo Sarma, Mitbegründer der SPD-Laizisten, und Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands und KORSO-Vorsitzender, im Interview über Perspektiven für die Zeit nach dem Papstbesuch. Frieder Wolf sieht auch in der Papstreise zunächst ein Rückzugsgefecht der Kirche.

Amardeo Sarma meint, dass wohl nicht alle Kirchenprivilegien auf einmal abgeschafft werden können. Einigkeit gab es in der Frage nach der Ablösung der historischen Staatsleistungen.
 

hpd: Was bedeutete der Papstbesuch für Deutschland?

Amardeo Sarma: Aus laizistischer Sicht verstieß der Auftritt im Bundestag ganz offen und eklatant gegen die Trennung von Staat und Religion, die ja lange Zeit eine der zentralen Forderungen der SPD gewesen war. Ich denke, es hat eine so starke Mobilisierung deshalb gegeben, weil wieder offensichtlich wurde, wie stark die beiden Bereiche doch miteinander verquickt sind und wie stark dieser Einfluss bis in die Spitzengremien aller Parteien hinwirkt, vor allem auch in der SPD. Dieser Papstbesuch war eine Gelegenheit, das klarzumachen. Auch gegenüber den vielen Bürgern, die den Papstbesuch kritisch sehen – unabhängig davon, ob sie Christen, Laizisten oder Religionskritiker sind. Es drohen Einmischungen von religiöser Seite und ich denke, darauf müssen wir Laizisten aufbauen und die Trennung von Staat und Religion stärker voranbringen. Ein Ziel ist natürlich auch, dass die Menschen in Zukunft autonomer entscheiden und agieren können. Es ist eine der zentralen Forderungen der Aufklärung und Emanzipation, dass man auch als Mensch in eine Lage versetzt wird, selbst Entscheidungen zu treffen und sie nicht von außen diktiert zu bekommen.

Frieder Otto Wolf: Ich denke, es besteht da eine gewisse Hoffnung. Vielleicht erinnert sich noch jemand an den Versuch der Kirchen hier in Berlin, mit der Pro-Reli-Kampagne ihre Positionen, gestützt auf staatliche Gesetze, zu stärken. Das hat ja dann eigentlich das Gegenteil bewirkt. Beim Papstbesuch nun bekamen wir wirklich massiv vorgeführt, in welchem Maße heute nicht nur die katholische Kirche, sondern überhaupt die Kirchen in diesem Staat privilegiert sind. Nicht nur in einer anachronistischen, sondern auch inhaltlich abstoßenden Form. Aber es macht deutlich, dass das Anliegen der Trennung von Staat und Kirche immer noch drängt. Volker Beck hat gut formuliert, dass es völlig inakzeptabel ist, wenn, gestützt auf staatliche Gesetze, in Glaubensfragen Zwang ausgeübt wird. Der triumphale Papstbesuch, der hier inszeniert wurde, wird bestenfalls ein Pyrrhussieg, wenn nicht gleich eine Niederlage.


Was bedeutet das für die Arbeit in den nächsten Monaten?

Sarma: Es kommt darauf an, noch weitere Menschen innerhalb der SPD zu finden, die unsere Meinung teilen und sie in das Netzwerk der Laizisten in der SPD mit einzubinden. Das wird unabhängig davon passieren, ob unsere Gruppe formal von der Parteispitze anerkannt wird oder nicht. Sie ist einfach da, ist nicht wegzudenken und wird ihren Einfluss vergrößern. Es ist unser Ziel, all diejenigen zusammenzubringen, die für eine Trennung von Staat und Religion sind – und zwar unabhängig davon, ob sie selbst einer Religion angehören oder nicht. Wir wollen nicht nur Atheisten, Agnostiker oder Humanisten ansprechen, sondern es geht auch darum, etwa Christen anzusprechen, die eine Bevormundung und Privilegierung ablehnen.

 

Was könnte neben der Selbstorganisation als sachliches Thema auf der Agenda stehen, um als laizistische Strömung daran anzuknüpfen?

Sarma: Die Finanzierung, mit der Tätigkeiten und Positionen der Kirche auch von nicht in der Kirche gebundenen Menschen bezahlt werden. Das ist ja auch schon bisher sehr oft angesprochen worden und wird weiter verstärkt werden, während nebenbei die Gründung von Regionalgruppen vorangeht um zu zeigen, dass die Ablehnung der Parteispitze uns nicht von unserem Vorhaben abbringen wird. Wir sind eine Basisbewegung, die überall sichtbar wird.

Wolf: Dazu würde ich gern noch etwas sagen. Denn das ist wichtig und wir als säkulare Organisation unterstützen das. Die Sozialdemokraten unter uns haben sich schon in dem Prozess engagiert und werden es auch weiterhin tun. Zwei Dinge müsste man aber noch sagen. Erstens ist es keine primär sozialdemokratische Angelegenheit, sondern es geht auch darum, dass andere Parteien ihre entsprechenden Potentiale aktivieren. Die sehe ich bei den Grünen, es gibt Potentiale bei der Linken und ich sehe auch immer noch – obwohl das offenbar zunehmend weniger relevant wird – Potentiale bei den freien Demokraten.

Sarma: Ich kenne sogar den einen oder anderen Christdemokraten, der für die Trennung von Staat und Kirche ist. Nur haben sie leider nichts zu sagen.

Wolf: Wenn diese Personen sich organisieren würden, wäre das auch nicht schlecht. Ich bin dabei auch dafür, sehr genau zu sein. Es geht nicht darum, Christen zu verfolgen oder religiöse Menschen zu diskriminieren. Es kommt vor allem darauf an, die historischen Privilegien abzubauen, welche die Kirchen als ehemalige Staatskirchen immer noch genießen. Das scheint mir der zentrale Punkt zu sein, auf dem man sich auf der ganzen Breite einigen kann. Man muss auch sagen, dass unterschiedliche Modelle von Laizität existieren. Da gibt es das französische Modell, das ein Freund von mir einmal Katho-Laizität genannt hat, weil die katholische Kirche zwar völlig aus dem öffentlichen Raum verschwunden ist, in Wirklichkeit aber über ein großzügig finanziertes System der Privatschulen eine große Bedeutung für die Reproduktion der Eliten hat. Also muss man das französische Modell auch in seiner Realität betrachten und nicht nur in den theoretischen Prinzipien.

Es gibt auch andere Modelle, wie sie in den Niederlanden und Belgien existieren und wo nicht die Trennung von Öffentlichkeit und Weltanschauung das Ziel ist, sondern die Gleichbehandlung der unterschiedlichen Weltanschauungsgemeinschaften im Vordergrund steht. Das sind auch Formen von Laizität. Man sollte also nicht dem Gedanken verfallen, dass die einzige Form von Laizität die französische ist, sondern auch andere prüfen. Zudem haben wir in Deutschland das System der freien Träger. Da ist nicht nur die Arbeiterwohlfahrt, sondern ebenfalls der Humanistische Verband im Sozial- und Kulturbereich aktiv. Und das ist nichts Schlechtes. Auch im angelsächsischen Raum gibt es inzwischen eine Debatte über die Rolle von Zivilgesellschaft. Hier kann man etwas entwickeln und da können auch staatliche Gelder sinnvoll verwendet werden. Aber der Fortbestand der enormen historischen Privilegien darf nicht sein und dass der Papst im Bundestag auftrat, ist ja ein Beispiel für die Wirkung solcher Privilegien. An die müssen wir ran.

Sarma: Sie haben da etwas ganz Interessantes von dem Phantom der Christenverfolgung gesagt. Das ist ja etwas, auf das sich viele deutsche Politiker gern berufen. Doch gerade wenn es um die Frage der Nichtdiskriminierung geht, sollte man sich einfach nur mal in Deutschland die Stellenausschreibungen von gewissen sozialen Einrichtungen anschauen. Da wird nicht nur unverblümt die Zugehörigkeit zu einer Kirche verlangt, auch wenn es nicht um einen sogenannten verkündigungsnahen Arbeitsbereich geht, sondern auch, dass man gläubig sein muss. Wenn man nun gegen Diskriminierung vorgehen will, warum fängt man dann nicht hier in Deutschland an?

Wolf: In der Tat, und da gibt es noch einen naheliegenden Punkt. Die Kirchen sind von Regelungen des allgemeinen Arbeitsrechts ausgenommen. Sie können sich leisten, ohne Betriebsräte, ohne Personalräte und ohne gewerkschaftliche Vertretung zu agieren und die Bindung an ihren Glauben zu einem Entlassungsgrund machen. Geschiedene und Menschen mit unehelichen Kindern oder homosexuell verpartnerte Menschen werden in katholischen Einrichtungen immer noch entlassen. Das ist nach meinem Erachten verfassungswidrig.

Sarma: Und wenn wir die jungen Menschen in Deutschland sehen, die sich für gute und soziale Tätigkeiten einsetzen und dabei vielleicht sogar in das Ausland gehen wollen, dann stehen gerade Konfessionsfreie vor dem Problem, dass es kaum eine Auswahl gibt. Die Privilegierung kirchlicher Organisationen führt einerseits dazu, dass diese auf einigen Gebieten eine Art Monopol haben und auf der anderen Seite werden Konfessionsfreie ausgeschlossen oder zur Unehrlichkeit gezwungen.