BERLIN. (hpd) Ich sah Andreas Altmann in einem kurzen Fernsehinterview und wusste, dass ich sein Buch lesen muss, dass der Autor mir etwas zu sagen hat. Am vergangenen Montag las er in Berlin vor vollem Haus. Und nicht nur mir wusste er etwas zu sagen.
Er hat ein Buch geschrieben, dass von einigen vor allem deshalb gelobt wird, weil es die ungeheure Verlogenheit aufzeigt, mit der im Namen der katholischen Kirche Kinder zu psychischen Krüppeln gepresst werden. Doch es braucht dazu keinen Katholizismus. Auch ganz ohne Religion gibt es Eltern, die ihre Kinder nicht lieben. Nicht lieben können. Weil sie selbst Ungeliebte waren.
Wenn Altmann sein Buch “Das Scheißleben meines Vater, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend” nennt, dann ist das auch das Anerkenntnis, dass seine Eltern nicht anders handeln und sein konnten, wie sie waren. Er hält sie nicht für “schuldig” – aber er wird ihnen ebenso wenig verzeihen können. Wie auch?
Es zeugt von seiner Reife, wie souverän er damit umzugehen weiß. Ob es ihm leid täte, sich nicht mit seinem Vater (vor dessen Tod) ausgesprochen zu haben?, wurde er gefragt. Seine Antwort war ein sehr deutliches „Nein“.
Jeder Mensch - und jedes Kind insbesondere - geht erst einmal davon aus, dass er das Recht hat, geliebt zu werden. Dass er “des Liebens wert” ist. Altmann erkennt mit knapp vierzig, dass dieser Mangel an unvoreingenommener Liebe nicht wiedergutzumachen ist. Er nimmt dieses Gefühl an. Und lebt damit – und mit dem Wissen, selbst nie unvoreingenommen lieben zu können.
Diese Frage interessierte auch die Zuhörer. „Ich habe mich entschieden, keine Heulsuse sein zu wollen. Ich will kein Opfer sein. Und ich lebe gut und gern.“
Vierzig Jahre benötigt Altmann, um zu verstehen, dass all seine Versuche, seinem Vater ein anerkennendes Wort abzuringen, vergeblich waren, vergeblich sein mussten. Ob er sich als Radsportler versuchte oder als Musiker; ob er guter oder schlechter Schüler war - es ist bedeutungsloses Unterfangen. Denn das Wissen schon am Beginn, dass der Vater nichts anerkennen würde, bremst so sehr aus, dass jeder Versuch scheitern musste. Nur das anfänglich heimliche Schreiben rettet ihn. Und der unbedingte Wille, sich den Willen nicht brechen zu lassen.
Er hat irgendwann die Erkenntnis gewonnen “Nur Du kannst Dein Leben leben, keiner kann Deinen Weg für dich gehen. Sprich: Du bist allein. Die Erkenntnis war deprimierend. Und heilsam. Weil sie die letzten Schlupflöcher für Ausflüchte verstopfte, die letzten Zuckungen von Selbstmitleid und Schuldzuweisungen…” (S. 240)
Altmann liest konzentriert, unterbricht immer wieder, um den Zuhörern, die das Buch nicht kennen, in kurzen Rückblenden zu erklären, worum es geht und worauf sein Vorgelesenes sich bezieht. Im Raum ist es still, bei manchen Passagen wird laut gelacht. „Das ist mir sehr recht“, sagt er später dazu, „manches kann man nur mit Humor ertragen.“
„Wenn man meinen Vater gefilmt hätte und ihn in einen Film eingeblendet hätte, der in der Irrenanstalt gedreht worden ist: er wäre nicht aufgefallen.“ Und dann sagt er einen Satz, der sicherlich einige Zuhörer verunsicherte: „Aber mein Vater und meine Mutter konnten nicht anders sein als sie waren. Sie hatten kein Glück, ihre Träume zu leben. Ich kann das heute tun.“
F.N.
Zum Buch gibt es beim hpd bereits eine Rezension sowie einen podcast.