Fluch der falschen Moral

SCHARBEUTZ. (hpd) Weil er die staatliche Justiz und Regierung bei der Aufklärung des Missbrauchs von Kindern außer Stande sieht, will Norbert Denef nun den deutschen Staat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) an den Pranger stellen.

Das Ziel einer angekündigten Sammelklage gegen die Bundesrepublik Deutschland sind die Verjährungsfristen für Opfer von Verletzungen des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung – oft Missbrauch genannt. Die Fristen sollen endlich weg. Gegenüber der ZEIT sagte Denef gestern außerdem, er wolle von der Politik eine „Wahrheitskommission“.

Die Klageanträge aus Anlass von Straftaten der Vertreter der katholischen Kirche bei den internationalen Gerichtshöfen in Europa häufen sich allmählich. Nachdem Opferanwälte von Missbrauchsbetroffenen im vergangenen Februar eine 59 Seiten umfassende Strafanzeige gegen den Papst persönlich beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereicht hatten, wird als Nächstes eine Sammelklage gegen die Bundesrepublik Deutschland beim EGMR in Straßburg eingehen.

Norbert Denef, Gründer und Sprecher des "Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt" (netzwerkB), kündigte in einem gestern veröffentlichten ZEIT-Interview einen entsprechenden Schritt des Netzwerks an. Auf die unzähligen Fälle vertuschten Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche während vergangener Jahrzehnte ist das Anliegen von netzwerkB nicht beschränkt; aber für Denef und viele andere bilden die schreckliche Ereignisse unter den Fittichen der Kirche  – genau dem Verein, welcher heute auch einer der größten und aus staatlichen Mitteln finanzierten Arbeitgeber in Deutschland ist – das tragende Motiv.

Die deutsche Regierung sei nicht bereit, „ihre politische Fürsorgepflicht gegenüber den Opfern sexualisierter Gewalt zu erfüllen“, bilanzierte jedenfalls Denef die Ergebnisse des Runden Tischs Sexueller Missbrauch.

Er wurde erstmals als 9-jähriger Messdiener im sächsischen Delitzsch von einen katholischen Pfarrer missbraucht. Das war 1958, in der DDR. Norbert Denef übt am Wort Missbrauch Kritik, „denn es handelt sich bei einem Menschen nicht um einen Gebrauchsgegenstand, den man auch gebrauchen könnte“. Er gab seine Erlebnisse 1993 im Familienkreis bekannt.

Die Sammelklage soll den deutschen Staat nun „für sein weiterhin massives Versagen im Hinblick auf den Schutz und die Entschädigung von Opfern sexualisierter Gewalt anprangern“, hieß es in einer gestern dazu veröffentlichten Erklärung.

Es wäre nicht das erste Schreiben dieser Art an den EGMR. Bereits 2009 reichte Norbert Denef eine Beschwerde ein, da aus Sicht des heute 62-Jährigen „die Bundesrepublik Deutschland ihre Verpflichtungen aus (…) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt, weil die zivilrechtlichen Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, die ihm nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch gegen den Schädiger zustehen, wegen der kurzen Verjährungsfristen nicht effektiv sind.“ Zuvor war eine 2007 von ihm eingereichte Petition an den Deutschen Bundestag auf Aufhebung der Verjährungsfristen im Zivilrecht vom zuständigen Ausschuss abgelehnt worden. Das Beschwerdeverfahren dagegen laufe noch, berichtete Denef im Interview mit der ZEIT.

Das Urteil Denefs über den Runden Tisch der Bundesregierung zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch, der am 30. November 2011 zum letzten Mal tagen will, könnte deutlicher kaum sein: „Gescheitert“ sei das Gremium. Denn erst auf Druck sei dieser Runde Tisch überhaupt zustande gekommen und er hob schließlich „die Kirchen in den Stand der Aufklärer, die dann zusammen mit der CDU den Kurs bestimmten, während die Opfer zuerst gar nicht repräsentiert waren“, doch damit durfte „die Täterorganisation Kirche das Signal aussenden: Wir klären auf!“