Rückkehr zum Konkordat?

FRANKREICH. (hpd) Der Vorschlag des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande, die Prinzipien des Gesetzes zur Trennung von Kirche und Staat von 1905 in die Verfassung aufzunehmen, führt zu einer erneuten intensiven politischen Diskussion des Laizitätsthemas in Frankreich.

Der Vorschlag wird nicht nur von den rechten politischen Gegnern des sozialistischen Kandidaten, sondern auch von Verteidigern einer strikten Trennung von Staat und Kirche kritisiert.

Unmittelbarer Auslöser der Debatte war das spezielle Statut der drei Departements des Gebietes Elsass-Mosel. Die Departements Mosel, Bas-Rhin und Haut-Rhin wurden nach dem französisch-preußischen Krieg von 1870 Preußen zugeschlagen und gingen nach 1918 erneut an Frankreich. Nach der Restituierung dieser Territorien und ihrer Bildung als französische Departements widerspiegelt das im Gebiet Elsass-Mosel gültige lokale Recht heute noch die komplexe Geschichte dieses Landesteiles. Es enthält französisches Recht, das von den deutschen Behörden im Jahr 1871 übernommen wurde, im gesamten „Reich“ anwendbares deutsches Recht aus der Zeit der Annexion, lokalspezifische Rechtsregeln des damaligen Reichslands Elsass-Lothringen und französische Bestimmungen aus der Zeit nach 1918, die aber nur für die Departements Elsass und Mosel gültig sind.

Infolge der Übernahme der Resultate des sozialen Kampfes der entstehenden Sozialdemokratie in Preußen bestehen hier vor allem günstigere soziale Gesetze als in Frankreich. Erst etwa 15 Jahre später finden z.B. die Prinzipien der sogenannten Bismarckschen Sozialgesetzgebung auch Eingang in Frankreich. Beispiele noch immer von Frankreich abweichender Regelungen sind z.B. die sechs Wochen volle Lohnzahlung bei nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit, fast absolutes Verbot von Sonntagsarbeit, zusätzliche Feiertage (Karfreitag und der Sankt Stephanstag – 26. Dezember), höhere Arbeitgeberbeiträge für die soziale Sicherheit, 100% Rückzahlung von Krankenhauskosten, günstigere Regelungen bei der Unfallversicherung etc.

Klar, dass diese lokalen sozialen Privilegien insbesondere aus wahltaktischen Gründen nicht durch den sozialistischen Vorschlag infrage gestellt werden können. Deshalb formulierte Hollande seinen Vorschlag auch auf folgende Weise:

Ich werde vorschlagen, die Grundprinzipien des Gesetzes von 1905 über die Säkularisierung in die Verfassung aufzunehmen, indem im 1. Artikel ein zweiter Unterabsatz eingefügt wird: „Die Republik gewährleistet die Gewissensfreiheit, garantiert die freie Ausübung der Kulte und respektiert die Trennung von Kirche und Staat gemäß dem ersten Titel des Gesetzes von 1905, vorbehaltlich der anwendbaren besonderen Regeln in Elsass und Mosel.“

In Elsass-Mosel herrscht die katholische Kirche

Das nun aber bringt die Verteidiger der Laizität auf die Barrikaden, weil, sollte die Formulierung so in die Verfassung aufgenommen werden, damit auch die vom französischen Recht abweichende Regelung der Kulte in diesem Gebiet als konform mit der Verfassung deklariert werden würde. In Elsass-Mosel ist nämlich, bestätigt durch eine Stellungnahme des Staatsrates vom 24. Januar 1925 und im Widerspruch zu der Verfassung von 1985, noch immer das bonapartistische Konkordat von 1801 gültig und somit gilt der Katholizismus als Staatsreligion, als „die Religion der Mehrheit der französischen Bürger“. Genauer gesagt, das Gesetz von 1905 wird hier nicht angewendet, und die vier als öffentlich anerkannten Religionen genießen einen öffentlichen Status. Es existiert immer noch „das Verbrechen der Gotteslästerung" mit einer drohenden Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Auf der Basis des Gesetzes vom 22. Juli 1923 werden die Gehälter, Renten und Sozialbeiträge von 1460 Priestern, Laien, Pfarrer und Rabbiner staatlich, d.h. durch die französische Bevölkerung nach Tarif A des öffentlichen Dienstes, finanziert. Darüber hinaus erhalten sie eine freie Wohnung oder Wohngeld von der Gemeinde und eine Reihe weiterer Vergünstigungen in materieller Form.

Zur Reproduktion dieser Privilegien verfügen die drei Departements auch über einen Sonderstatus im Bereich der Bildung. Explizit werden hier die Schulen auf ein konfessionelles oder interkonfessionelles Statut verpflichtet, was den Religionsunterricht obligatorisch macht. Konfessionslose Eltern können ihre Kinder davon nur durch einen jährlich zu stellenden Antrag befreien, sonst verlieren sie das Recht auf Kindergeld. Religion ist obligatorischer Bestandteil der Ausbildung der Lehrer, Theologielehrstühle gibt es an den öffentlichen Universitäten etc., etc., etc.

Logisch, dass die religiösen Institutionen von Elsass-Mosel seit Jahrzehnten die ausdrückliche Anerkennung dieses Ausnahme-Systems durch die Verfassung von 1958 fordern bzw. zumindest im § 1 der Verfassung die Bestimmung der Republik als „laizistisch“ durch den Begriff „neutral“ ersetzen wollen. Würde Hollandes Verfassungszusatz akzeptiert, würde das den endgültigen Sieg der Klerikalen bedeuten. Es sei denn, man interpretiert es als einen ersten Schritt zur Beseitigung des Konkordats. Das ist es jedoch auf keinen Fall: In diesem Sinne durch Sarkozy hinterfragt, hat Hollande nämlich bestätigt, dass er das Konkordat wirklich verfassungskonform machen will.

Für die wirkliche Beseitigung der Konkordatsbestimmungen

Im Sinne von etlichen laizistischen Kritikern Hollandes sagt z.B. Henri Pena-Ruiz, Philosoph und Spezialist für laizistisches Recht, daher, dass, indem man die Konkordatsausnahme in die Verfassung aufnimmt, „man die Säkularisierung zurückdrängt, obwohl man behauptet, sie durch ihre Erhöhung in der Hierarchie der Normen voranzutreiben.“ Auch neun bekannte Wissenschaftler aus Elsass-Mosel veröffentlichten einen Aufruf. Ihre Schlussfolgerung: „Vernünftigerweise kann man sich nicht zum Gesetz von 1905 bekennen und gleichzeitig das Konkordat unterstützen. Es wäre unannehmbar, das Gesetz von 1905 in die Verfassung aufzunehmen und es zugleich in Elsass-Mosel nicht anwenden zu lassen.

Und natürlich hat der Präsidentschaftskandidat der Linken, Jean-Luc Mélenchon, den Fehdehandschuh sofort aufgehoben und wiederholt seine Forderung, die Anwendung des Gesetzes von 1905 sofort ohne Vorbehalte auf das ganze Gebiet der Republik auszudehnen. Und er weist darauf hin, dass nicht nur in Elsass-Mosel, sondern auch noch in Guayana, Neukaledonien, Wallis-et-Futuna und Polynesien das Konkordat und die Dekrete von Charles X noch gültig sind. Nach Mélenchon braucht es dazu keine Verfassungsänderung, sondern das kann mit einem einfachen Dekret geschehen. Und er schlägt außerdem vor, das besondere Statut von Elsass-Mosel im sozialen Bereich auf ganz Frankreich auszudehnen.

Demgegenüber verteidigen, in historischer Kontinuität des sozialdemokratischen Mainstreams seit Mitterrand und Laurent Fabius, zusammen mit fast allen Politikern der sogenannten bürgerlichen Parteien, eine Reihe von lokalen sozialistischen Funktionären die Aufrechterhaltung der Konkordatsbestimmungen. So Roland Ries, sozialistischer Bürgermeister von Straßburg und Senator für Bas-Rhin: „Diese Besonderheit hat den Wert einer kulturellen und sozialen Basis“. Die Befürchtungen der Konkordatsanhänger versucht er, als Mitglied des Wahlstabes Hollandes, in einem Rundschreiben zu zerstreuen, indem er Hollande zitiert: „Die Aufrechterhaltung des Konkordats muss mit Respekt und Verständnis für die Geschichte des französischen Territoriums verwirklicht werden.

Dies geschieht voll im Einklang mit Sarkozy, der „eine integrierte Interpretation der Laizität, welche jede kulturelle oder intellektuelle Referenz aus dem öffentlichen Raum ablehnt“, strikt verweigert. Eine Position, die von den laizistischen Republikanern als Kommunitarismus bemängelt und von La Libre Pensée scharf bekämpft wird.

Insgesamt macht die Diskussion über den Vorschlag von Hollande deutlich, wie wenig die theoretische Konzeption der Laizität die kulturelle und rechtliche Entwicklung der gesellschaftlichen Praxis in den letzten Jahren antizipiert hat. Die vorgeschlagene Änderung der Verfassung birgt somit die Gefahr, das sehr brüchige Gleichgewicht zwischen Kirche und Staat zu zerstören und das nur, um das seit Jahren bestehende defensive Stillschweigen der Sozialisten (und der parteipolitischen Linken insgesamt) in diesem Bereich aufzuheben. Für einen weiterführenden Schritt in Richtung der Stärkung der Laizität ist der Vorschlag zu undurchdacht und ist von zu großem rein symbolischen bzw. widersprüchlichen Wert.

Rudy Mondelaers