Ein Pastor lässt das Frömmeln nicht?

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Ansprache Bundespräsident Gauck auf dem Katholikentag / Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

MANNHEIM. (hpd/sb) Bundespräsident Gauck wünscht sich mehr Christen in der Politik, die sind in der Politik aber bereits überrepräsentiert. Der gesellschaftliche Fortschritt der letzten fünf Jahrzehnte ist durch eine “Entchristlichung” des Rechts geprägt. Der Bundespräsident sollte lieber Konfessionslose zu mehr politischem Engagement ermuntern.

Ein Kommentar von Matthias Krause

Der ehemalige Pastor und jetzige Bundespräsident Hans-Joachim Gauck wünscht sich offenbar noch mehr Christen in der Politik. Der evangelische Pressedienst epd meldet: „Bundespräsident Joachim Gauck hat die Bedeutung des christlichen Glaubens für die deutsche Gesellschaft hervorgehoben. Er sei der Auffassung, dass Deutschland seine Stärke und seinen Wohlstand auch daher habe, dass der christliche Glaube immer wieder politisches Handeln provoziert habe, sagte Gauck bei einem Empfang für die Organisatoren des Mannheimer Katholikentages, der am Sonntag zu Ende ging. Das Engagement aus dem Glauben spiele eine wichtige Rolle. […] Der Bundespräsident forderte die Christen zu verstärktem politischen Engagement auf.“

Zwar wählte Gauck in seiner Ansprache weniger angreifbare Formulierungen, aber der evangelische Pressedienst dürfte die Intention des Bundespräsidenten doch recht gut wiedergegeben haben.

Auch der Saarländische Rundfunk meldete: „Mannheim: Gauck ruft Christen zu politischem Engagement auf. Zum Abschluss der Deutschen Katholikentages hat Bundespräsident Gauck die Christen aufgerufen, sich stärker in der Politik zu engagieren.“

WELT ONLINE schreibt: „An die Christen appellierte [Gauck], sich stärker in der Politik zu engagieren.“

BILD meldet sogar: Gauck will mehr Christen in der Politik. (Mittlerweile wurde die Überschrift offenbar geändert, sie ist in der URL allerdings immer noch zu erkennen.) BILD schreibt: [Gauck] wünscht sich mehr Christen in der Politik: „Denn die Politik braucht Menschen, die an eine Sache glauben, die größer ist als sie selbst. Sie braucht Menschen, die eine Haltung haben und dafür mutig eintreten. Sie braucht jene überzeugten und deshalb überzeugenden Persönlichkeiten, wie sie oft und zu unserem Wohl aus kirchlicher Heimat und aus christlichem Engagement gekommen sind.“

Man fragt sich allerdings, wie Gauck, der ja immerhin Präsident aller Deutschen sein soll (und das sind neben rund einem Drittel Protestanten und einem Drittel Katholiken eben auch ein Drittel Konfessionslose), diesen Wunsch begründen will?

Christen sind bereits überrepräsentiert

Zum einen scheint es, dass Christen in der Politik ohnehin bereits überrepräsentiert sind. Dies zeigt sich besonders in den neuen Bundesländern, wo zwar nur etwa 25 % der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehören, aber alle Ministerpräsidenten Christen sind – darunter sogar eine Theologin.

Im Bundestag geben 29 % der Abgeordneten als Konfession „evangelisch“ an und 30 % „katholisch“. Damit sind die Christen im deutschen Parlament mindestens so stark vertreten, wie es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. (Höchstwahrscheinlich sind sie sogar überrepräsentiert, da gut ein Drittel der Abgeordneten keine Angabe zur Konfession macht.) Die größte Regierungspartei trägt ein „C“ im Namen und stellt die Kanzlerin. Und der Bundespräsident ist ein ehemaliger Pastor.

Während m.W. alle im Bundestag vertretenen Parteien christliche Arbeitskreise haben, existiert nur bei den Linken eine Arbeitsgemeinschaft „Laizismus“. In der SPD wurde die Gründung einer offiziellen laizistischen Arbeitsgruppe schlichtweg verboten.

Es kann also keine Rede davon sein, dass Christen zu wenig Einfluss in der Politik hätten.

Gesellschaftlicher Fortschritt ist durch „Entchristlichung“ geprägt

Zum anderen ist aber auch die Idee, die hinter Gaucks Wunsch steckt, begründungswürdig: nämlich dass die Betätigung von Christen die Gesellschaft und das Recht vor allem positiv voranbringen würden.

Gauck scheint hier „Kleinigkeiten“ auszublenden wie den Umstand, dass deutsche Soldaten in zwei Weltkriegen mit der Aufschrift „Gott mit uns“ über andere Länder hergefallen sind. Die katholische Zentrumspartei hat durch ihre eigene Auflösung die Machtübernahme der Nationalsozialisten erst ermöglicht.

Sind deshalb alle Christen faschistische Kriegstreiber? Natürlich nicht. Aber genauso wenig kann sich Gauck angesichts dieser Punkte einfach nur das Positive herausgreifen.

Überhaupt lässt sich ganz klar feststellen, dass das deutsche Recht seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ganz klar von spezifisch christlichen Komponenten bereinigt wurde, was allgemein als Fortschritt angesehen wird: Aufhebung des Verbots der Homosexualität und des Kuppelparagrafen, die Gleichstellung von Frauen und unehelichen Kindern, oder die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft für Homosexuelle.

Gleichzeitig wurden mehrere allzu kirchenfreundliche Praktiken durch das Bundesverfassungsgericht verboten, z.B. Kirchensteuer für Unternehmen, die Besteuerung von Nicht-Kirchenmitgliedern (Ehepartnern) oder das Aufhängen von Kruzifixen in Klassenräumen ohne Widerspruchsmöglichkeit.

Der gesellschaftliche Fortschritt der letzten fünf Jahrzehnte ist meines Erachtens ganz klar durch eine „Entchristlichung“ des Rechts geprägt.

Was zugenommen hat, ist sind kirchliche Privilegien

Was allerdings tatsächlich zugenommen hat, ist die Kirchenfreundlichkeit der Gesetze. Mit dem Recht auf eigene Kirchensteuern und Religionsunterricht war das Grundgesetz ohnehin schon ausgesprochen kirchenfreundlich. Zwar sollen die Staatsleistungen an die Kirchen dem Grundgesetz zufolge abgelöst werden, in vielen Länderverfassungen werden sie aber tatsächlich festgeschrieben, und in den entsprechenden Staat-Kirche-Verträgen ist auch noch festgelegt, dass die Zahlungen des Staates an die Kirchen immer weiter steigen.

Bereits unter den Nationalsozialisten wurde der Einzug der Kirchensteuer den Arbeitgebern übertragen, was einen klaren Verfassungsverstoß darstellt. („Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“) Leider nicht klar genug für das Bundesverfassungsgericht – aber da dürften ja wiederum auch überwiegend Christen sitzen.

Aus der Vorgabe des Grundgesetzes, dass Gottesdienst und Seelsorge beim Heer „zuzulassen“ sind, wurde eine institutionalisierte Militärseelsorge für die evangelische und die katholische Kirche, mit verbeamteten und staatlich bezahlten Militärpfarrern, für 30 Millionen Euro pro Jahr.

Selbst das von Gauck in seiner Rede positiv hervorgehobene „Subsidiaritätsprinzip“ der „christlichen Soziallehre“ dürfte wohl in erster Linie den Kirchen nutzen, nicht den Menschen. Carsten Frerk schreibt dazu in seinem „Violettbuch Kirchenfinanzen“ (S. 219): „Dieses ‚Subsidiaritätsprinzip‘ wurde insbesondere von der organisierten katholischen ‚Nächstenliebe‘ (Caritas) und der evangelischen ‚Brüderlichkeit‘ (Diakonie) genutzt, um zum größten privaten Arbeitgeberverbund in Europa aufzusteigen.“

Caritas und Diakonie sind die Arbeitgeber von rd. 1 Million hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, denen ganz legal elementare Arbeitnehmerrechte vorenthalten werden und die z.B. wegen eines Kirchenaustritts oder unehelichem Zusammenleben entlassen werden dürfen. Auch in Einrichtungen wie Krankenhäusern, deren Zweck überhaupt nicht religiös ist und die komplett öffentlich finanziert werden.

Religiöse Voreingenommenheit

Es ist bezeichnend, dass selbst das vom Bundespräsidenten selbst gewählte Beispiel für den christlichen Einfluss auf die Politik einen so gravierenden „Pferdefuß“ aufweist. Über die Vorteile schweigt sich Gauck übrigens aus, er empfindet es offenbar bereits als positiv, dass überhaupt die katholische Soziallehre „viele der politischen Grundentscheidungen und politischen Institutionen der Bundesrepublik entscheidend beeinflusst“ hat.

Nur: Wenn Gauck sein Urteil an der Christlichkeit des Einflusses festmacht und nicht an konkreten positiven Ergebnissen, dann erweckt er den Eindruck einer religiösen Voreingenommenheit, die man zwar von einem Pfarrer erwarten kann, aber eben nicht von einem Bundespräsidenten.

Wenn christliche Politiker mit Kirchenvertretern „verhandeln“ …

Die extreme Privilegierung der beiden großen christlichen Kirchen kann natürlich nicht verwundern. Denn was sonst soll dabei herauskommen, wenn über Jahrzehnte hinweg christliche Politiker mit Kirchenvertretern über das deutsche Staatskirchenrecht verhandeln? Immer wieder wird vor den Gefahren einer „Unterwanderung“ der Gesellschaft z.B. durch Scientology gewarnt. Die oben beschriebenen Punkte zeigen: In der Praxis lässt sich wohl eher von einer „christlichen Unterwanderung“ sprechen, die mittlerweile offenbar das Amt des Bundespräsidenten erreicht hat.

Gauck sollte Konfessionslose ermuntern

Der Bundespräsident sorgt sich um den religiös-weltanschaulichen Einfluss in der Politik? Dann sollte er sich mal über Folgendes Gedanken machen: Wie oben bereits erwähnt, geben 29 % der Bundestagsabgeordneten als Konfession „evangelisch“ an und 30 % „katholisch“. Das entspricht ziemlich exakt ihrem Anteil an der Bevölkerung.

Allerdings geben sich nur knapp 5 % der Abgeordneten als Atheist oder konfessionsfrei zu erkennen, obwohl sie die „größte Konfession“ stellen: nämlich ein Drittel der Bevölkerung. 36 % der Bundestagsabgeordneten machten keine Angabe zur Konfession. Wenn darin ein nennenswerter Anteil von Christen enthalten ist (die z.B. der Auffassung sind, dass die religiöse Überzeugung Privatsache ist), dann wären die Christen im Bundestag über- und die Konfessionslosen unterrepräsentiert. In diesem Fall sollte der Bundespräsident lieber die Konfessionslosen zu mehr politischem Engagement aufrufen.

Oder aber, bei den Abgeordneten, die keine Angabe gemacht haben, handelt es sich im Wesentlichen um Konfessionslose und Atheisten. Dann sollte sich der Bundespräsident die Frage stellen, weshalb christliche Politiker ihre Konfession alle angeben und Konfessionslose und Atheisten es offenbar vorziehen, ihre weltanschauliche Überzeugung nicht preiszugeben.

Auch dies würde auf einen unangemessen großen christlichen Einfluss auf die Politik hinweisen – und zwar auf einen sehr unschönen.

Ich habe Bundespräsident Gauck eine sachliche E-Mail mit meiner Kritik geschickt und angeregt: Am kommenden Wochenende ist übrigens eine internationale Atheistentagung in Köln. Es würde sich m.E. anbieten, hier – schon als „Ausgleich“ für seine obigen Ausführungen – ein Grußwort zu schicken, in dem auch Konfessionsfreie dazu ermuntert werden, sich politisch zu betätigen.