Wie die EKD Verfassungsrichter manipuliert

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Berliner Dom / Foto: Holger Weinandt (wikimedia commons)

BERLIN. (hpd) Der Kritik an ihren Privilegien haben die beiden Großkirchen argumentativ nichts entgegenzusetzen. Was macht man in einer solchen Situation? – Man ruft jemanden, der sich mit so etwas auskennt. In einer Situation ohne Argumente sind dies Theologen. Lassen Sie sich einladen zu einem Erkundungsgang in die Welt der Petra Bahr, Kulturbeauftragte der EKD.

Ein Kommentar von Matthias Krause.

Seit 2007 veranstalten die beiden Großkirchen mehrmals im Jahr in Karlsruhe einen institutionalisierten „Dialog“ mit Vertretern der höchsten deutschen Gerichte (Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof) und der Bundesanwaltschaft. In seiner Einweihungsrede forderte der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, den Vorrang des Christentums im deutschen Staatskirchenrecht nicht anzutasten. Die Leiter des „Foyers Kirche und Recht“ bestätigten damals dem Tagesspiegel, dass dies „sicher der Generalbass“ der Treffen werde. Auch der Name scheint Programm zu sein: Ein anderes Wort für „Foyer“ ist „Lobby“.

Die Giordano-Bruno-Stiftung kritisierte dies bereits als „religiöse Beeinflussung der Gerichte“ und forderte die eingeladenen Juristen auf, im Sinne ihrer richterlichen Unabhängigkeit den Veranstaltungen des Foyers fernzubleiben.

Noch bedenklicher ist allerdings, dass das Foyer neulich unter dem Motto „Salafisten, Atheisten und Co.“ eine Veranstaltung über die weltanschauliche Konkurrenz der Kirchen durchführte, ohne deren Vertretern eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Und vollkommen unakzeptabel ist die demagogische Art, in der dies erfolgte, durch die EKD-Kulturbeauftragte Petra Bahr. In ihrem Vortrag zeichnete sie Karikaturen derer, deren Positionen sie wiederzugeben behauptete.

Für ein Forum, das dem Meinungsaustausch zwischen kirchlichen Lobbyisten und Vertretern der höchsten Gerichte dienen soll, fällt zunächst auf, dass Frau Bahrs Vortrag bei oberflächlicher Betrachtung so gut wie keine staatskirchenrechtlichen Standpunkte enthält. Die Botschaft ist trotzdem deutlich: Frau Bahr ist gegen eine strikte Trennung von Staat und Kirche. Sie sagt das zwar nicht offen, es lässt sich aber zwei Passagen ihres Vortrags klar entnehmen: So spricht sie von

„einer christlich geprägten Religionskultur, die seit fünfzig Jahren auf die kritische Solidarität mit dem demokratisch verfassten Rechtsstaat setzte und umgekehrt bei den staatlichen Institutionen und Verfassungsorganen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit auf wohlwollendes Gehör stoßen konnte.“ [S. 4]

Diese „Selbstverständlichkeit, die auch mit biographischen Prägungen der Akteure zu tun hatte“, werde allerdings „zunehmend fraglich“:

„So ist längst nicht mehr sicher, dass ein junger Richter, der begeistert in der Kantorei seiner Stadtkirche singt, auch Gefallen am Kreuz im Gerichtssaal findet. Und Ministeriale, die aus Pfarrhäusern oder der katholischen Jugendarbeit kommen, sind noch nicht zwangsläufig glühende Verfechter des konfessionellen Religionsunterrichts. Da nehmen sie als Referenz eher das prägende Studienjahr an einer amerikanischen Law-School und die Erfahrungen mit einem ganz anderen System von Religion, Staat und Gesellschaft.“ [S. 4]

Wem etwas an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung liegt, der kann eigentlich nur froh sein, dass Richter und Verwaltungsbeamte heute nicht mehr automatisch ihre religiöse Sozialisation in ihre beruflichen Entscheidungen einfließen lassen. Frau Bahr hingegen scheint der „guten alten Zeit“ eher nachzutrauern.

Und der letzte Satz soll wohl heißen: Eine strikte Trennung von Staat und Kirche wie in den USA (wo religiöse Symbole in öffentlichen Gebäuden und auf öffentlichem Grund verboten sind) sei für Deutschland nicht geeignet, weil wir ein „ganz anderes System von Religion, Staat und Gesellschaft“ hätten.

Deutlicher wird Frau Bahr, wenn sie von der „Versuchung des Laizismus“ spricht, der bei der Piratenpartei sogar „durchaus stalinistische Züge“ angenommen haben soll. Wikipedia zufolge beschreibt Laizismus „religionsverfassungsrechtliche Modelle, denen das Prinzip strenger Trennung von Kirche und Staat zu Grunde liegt“. Frau Bahr hingegen bezeichnet den Laizismus als „Weltanschauung“: Denn die „laizistische Versuchung“ verlangt Frau Bahr zufolge:

„Der Staat soll sich nämlich die laizistische Weltanschauung zu Eigen machen.“ [S. 8]

Wenn Frau Bahr so formuliert, dann signalisiert sie natürlich: Der Staat darf sich keine Weltanschauung zu Eigen machen, also darf der Staat auch nicht laizistisch sein.

Sie beruft sich damit allerdings gleichzeitig direkt auf das Prinzip des Laizismus – die Trennung von Staat und Weltanschauung – um seine Ablehnung zu begründen, und damit z.B. Kreuze in Schulen und Gerichtssälen hängen zu lassen. Dazu muss sie freilich den Laizismus als Weltanschauung darstellen statt als verfassungsrechtliches Modell. (Weshalb sich der Staat allerdings – wenn er sich schon den Laizismus nicht zu eigen machen darf, das Christentum dann doch zu eigen machen soll, wird wohl das Geheimnis von Frau Bahr bleiben.)

Ihre Wortwahl ermöglicht ihr auch, bei diesem Thema von einem „Weltanschauungskonflikt“ zu sprechen, obwohl es sich tatsächlich um einen verfassungsrechtlichen Konflikt handelt, bei dem die Kirchenkritiker lediglich die Einhaltung des Grundgesetzes fordern, während die Kirchen auf ihren Privilegien beharren. Laizismus ist unabhängig von der Weltanschauung – wie man sehr schön daran erkennen kann, dass selbst in den christlichen USA eine strikte Trennung von Staat und Kirche herrscht. (Zumindest auf dem Papier.) Laizismus nützt allen. Jedenfalls, wenn er erst einmal eingeführt ist. Ist er das nicht, haben natürlich durch die Einführung des Laizismus diejenigen etwas zu verlieren, die bisher besonders „wohlwollend“ behandelt wurden. Man könnte geradezu sagen: An ihrer Position zum Laizismus kann man erkennen, ob eine Religionsgemeinschaft derzeit Privilegien genießt oder nicht.

Was Frau Bahr sich wünscht (und was wir in Deutschland immer noch haben) läuft praktisch auf einen „Laizismus light“ hinaus: „Hinkende“ Trennung von Staat und Christentum, strikte Trennung für alle anderen Weltanschauungen. Statt Laizismus für alle – Laizismus für alle anderen. Oder mussten sich schon einmal Ladenöffnungszeiten oder Tanzverbote nach den Feierlichkeiten anderer Religionen richten? Wurde an den Wänden von Gerichtssälen schon mal ein Symbol einer anderen Weltanschauung gesichtet? Hat die Bundeswehr schon mal nichtchristliche Militärseelsorger bezahlt?

Frau Bahrs verfassungsrechtliche Position fügt sich also nahtlos in die angekündigte Stoßrichtung des Foyers Kirche und Recht, nämlich das bisherige Verhältnis von Staat und Kirche unangetastet zu lassen. Nur: Argumente führt sie dafür nicht ins Feld. Laizismus als Weltanschauung zu bezeichnen ist ja kein Argument, ebenso wenig wie der Verweis auf die USA.

In Ermangelung von Argumenten zielt Frau Bahrs Vortrag offensichtlich darauf ab, seine Wirkung über negative Assoziationen zu erzielen. So beginnt Frau Bahr ihren Vortrag mit „Eindrücken“, die sie am Ostersamstag in Berlin gesammelt haben will. Mit „ungezielter Neugier und ohne festgelegte Perspektiven“, wie sie ankündigt.

Aus Platzgründen beschränke ich mich auf die Darstellung des Kirchenkritikers:

„Fünfzig Meter weiter [nachdem sie einen Koran erhalten hat] drückt mir jemand ein Papierbord in die Hand. Ich bin auf der Höhe des Berliner Doms angekommen. […] „Treten Sie aus der Kirche aus“, ermuntert mich ein junger Kerl mit rotem T-Shirt. „Gott ist tot“, steht da in den Lettern, die normalerweise Coca-Cola für seine Werbung nutzt, auf seiner Brust. „Die Kirche ist eine Zwangsanstalt. Befreien Sie sich!“, ruft der Knabe den Passanten zu, als sei die Kirchenmitgliedschaft mit Zwängen und der Austritt mit Sanktionen belegt. Dann lädt er noch zur nächsten Party ein und erzählt stolz von den Karfreitagsstöraktionen des letzten Tages. „Heidenspaß statt Todesangst“ heißt die Bewegung, die im ganzen Bundesgebiet kein anderes Ziel hat, als die Karfreitagsruhe zu torpedieren. Auf meinen Einwand, man könne doch an 350 Tagen im Jahr ungehemmte Heidenfreuden genießen, lacht er schief und sagt: „Aber dann macht es ja keinen Spaß, weil sich keiner ärgert.“ [S. 2]

Ob sich dies tatsächlich so abgespielt hat, erscheint ebenso fragwürdig wie die Broschüre „Weg mit den Moscheen. Wie die Muslime versuchen, den Kölner Dom zu kaufen“, die Frau Bahr wenig später von einer älteren Dame erhalten haben will. Im Internet findet sich jedenfalls weder etwas dazu, dass Muslime den Kölner Dom kaufen wollen, noch, dass eine Gruppe davor warnt. Solche bizarren Geschichten bleiben im Internet üblicherweise nicht lange verborgen.

Und obwohl vielfach berichtet wurde, die Salafisten hätten vor Ostern in vielen deutschen Städten – darunter auch Berlin – Korane verteilt, vermitteln u.a. die Berichterstattung der Berliner Morgenpost und des rbb Eindruck, dass Koranverteilungsaktionen in Berlin erstmals für den Samstag nach Ostern (14.4.2012) angemeldet und durchgeführt wurden. Also nach Frau Bahrs angeblichem „Osterspaziergang“. Und die angemeldeten Verteilplätze (Potsdamer Platz, Kurfürstendamm und Alexanderplatz) lagen auch nicht 50 Meter vom Berliner Dom entfernt, wie es der Erzählung von Frau Bahr zufolge der Fall gewesen sein soll.