Mehrere Beschwerden gegen § 217 StGB beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht

Kriminalisierte Palliativmediziner müssen Patienten im Stich lassen

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Es handelt sich um das ethisch heikelste Strafgesetz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands. Wer weiterhin als Palliativmediziner seinen Patienten zu Hause hinreichend Medikamente gegen Durchbruchschmerz oder gefürchtete Erstickungsnot überlässt, kommt möglicherweise ins Gefängnis.

Bestraft werden soll mit bis zu drei Jahren, was vorher in Deutschland straffrei war, nämlich die Hilfe zum Suizid. Der im Dezember 2015 in Kraft getretene § 217 StGB bestraft dabei sogar die Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheiten zur Selbsttötung, auch wenn es zu einer solchen dann gar nicht kommt. Dagegen haben acht Palliativ- und Hausärzte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht. Die Schriftsätze wurden dem Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) aus Karlsruhe zugestellt, versehen mit der Bitte, bis zum 28.2. dazu Stellung zu nehmen.

Kritiker, darunter das Bündnis für Selbstbestimmung bis zuletzt, hatten von Anfang an ausgeführt, dass die Strafnorm auch Palliativ- und Hausärzte treffen würde. Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten wollte nichts hören von solchen Mahnungen, die sich leider voll bestätigt haben. In vier Beschwerden haben mittlerweile insgesamt acht Ärzte und Ärztinnen Klage in Karlsruhe eingereicht. Sie sehen ihr Grundrecht auf Freiheit der Berufsausübung und des ärztlichen Gewissens verletzt. Sie argumentieren, durch die Neuregelung werde ihre Betreuung von Schwerstkranken und Sterbenden erheblich erschwert und sie müssten ihre Patienten in größter Not jetzt oft alleine lassen.

Karl Lauterbach für Reform der Reformen

Das Gesetz kann als zumindest "angeschlagen" gelten, allerdings gibt es ernstzunehmende Versuche, es doch noch als verfassungsgemäß zu retten – darunter einen von der Generalbundesanwaltschaft in einer ausführlichen Stellungnahme. Immerhin wurden andererseits alle Verfassungsbeschwerden vom Bundesverfassungsgericht zugelassen – eingegangen sind noch neun weitere, abgesehen von den vier ärztlichen. In letzteren etwa beklagen die Palliativmediziner Matthias Thöns und Benedikt Matenaer, das Gesetz erweise sich "geradezu als 'Palliativmedizin-Erschwerungsgesetz'". Am 24. Januar war Thöns vom Humanistischen Pressedienst und der Bundeszentralstelle Patientenverfügung des HVD eingeladen. In den großen Saal der Urania Berlin strömten gut 450 Zuhörer/innen – einige sprachen vom Beginn einer Bewegung.

Thöns ist Autor des Buches "Patient ohne Verfügung – das Geschäft mit dem Lebensende". Der Fraktionsvize und Gesundheitspolitiker der SPD, Karl-Lauterbach, hat dazu das Vorwort geschrieben. Lauterbach, der selbst Mediziner ist, fordert darin dringende gesundheitspolitische Reformen bei Regelungen im Abrechnungswesen an, wie sie vor Jahren eingeführt worden waren. Auch hatte er sich im Bundestag eindeutig gegen das Strafgesetz zum Suizidhilfeverbot positioniert und stellt sich nun hinter Thöns und die anderen Palliativmediziner. Lauterbach sagte dem SPIEGEL in der Ausgabe vom 4. Februar, es müsse durch das BVerfG für Rechtsicherheit gesorgt werden. Andernfalls müsse der Bundestag in der nächsten Legislaturperiode "über eine Reform der Reform nachdenken" und das Strafgesetz überprüfen. (Mit welcher Mehrheitsaussicht zu einer Änderung sei hier dahingestellt). Denn, so Lauterbach weiter: "Wenn ein Arzt heute auf Fragen nach einer Suizidassistenz eingeht, geht er ein hohes Risiko ein."

Bloß kein heikles Thema mehr ansprechen

Das bestätigt der Palliativarzt Benedikt Matenaer, der zusammen mit seinem Kollegen Thöns die Verfassungsbeschwerde durch die renommierte medizinrechtliche Kanzlei von Wolfgang Putz formulieren ließ. Putz rät seinen ärztlichen Mandanten eindringlich, im Zweifel auch schon vom Gespräch bezüglich eines Suizidwunsch abzusehen – solange das Gesetz besteht, welches Delikte bereits im Vorfeld bestraft.

Matenaer betreut jedes Jahr ca. 500 Schwerstkranke. Er beschreibt im SPIEGEL den Fall eines vollständig gelähmten Schlaganfallpatienten, der nur noch seinen Kopf und die Finger der rechten Hand steuern sowie mit einem Strohhalm noch trinken kann. Der hatte weinend mitgeteilt, er "brauche eine Option". Früher hätte er, so Matenaer, als Arzt dazu nicht geschwiegen, sondern das Signal ausgesendet, "dass man über alles reden kann" – auch darüber, dass ein Patient sein Leiden nicht mehr ertragen kann und will. Heute ist Matenaer nach eigenen Worten "froh um jeden Tag, an dem mir niemand solche Fragen stellt." Dabei ist auch die Anfrage von Patienten betroffen, ob der Arzt ein gezielt zum Tode führendes Sterbefasten palliativmedizinisch begleiten und es somit gemäß § 217 StGB fördern würde, in dem er Gelegenheit dazu verschafft.

Ein weiteres Problem stellt die bisher von Thöns seinen Patienten zur Verfügung gestellte Notfallbox dar. Sie ist mit einer Kindersicherung versehen. Darin befinden sich Medikamente, die bei plötzlichem Ausbruch schweren Leidens in der Wohnung zur Verfügung stehen, bevor der Arzt eintreffen kann. Diese Mittel reichen in Dosierung und Kombinationsmöglichkeit allerdings auch aus, um dem bevorstehenden Tod zuvorzukommen. Es wird also laut § 217 StGB die geschäftsmäßige Gelegenheit dazu verschafft, denn prinzipiell ist jede ärztliche Handlung geschäftsmäßig.

Gesetz soll zwischen moralisch Guten und Bösen unterscheiden

Verschiedene Gesetzesbefürworter und -verteidiger bemühen sich derzeit, das Gesetz zu retten, da es ja die "bösen" Sterbehilfeorganisationen erfolgreich verboten hat. Dass auch die "guten" Palliativmediziner trifft, wird in Abrede gestellt. Die Bundesärztekammer hat in ihren "Erläuterungen zum § 217 StGB" vom 20. Januar acht blütenreine Fallkonstellationen vorgestellt, die alle darauf hinauslaufen, dass Ärzte sich doch gar nicht strafbar machen würden. Voraussetzung ist jedoch, sie müssten die angeblich glasklare Unterscheidung zwischen böser, strafbarer "Hilfe zum Sterben" und guter, gebotener "Hilfe beim Sterben" beachten – eine ideologische Figur, die sich tatsächlich auch in der Gesetzesbegründung findet. Allerdings hat sie mit den kaum sauber abgrenzbaren Fällen in der Praxis, die ja das Problem darstellen, nichts zu tun.

Einen anderen Rettungsweg schlagen juristische Stellungnahmen vor. Danach soll das BVerfG. den Wortlaut des Gesetzes so durch Interpretation umdeuten, dass die klageführenden Ärzte im Wesentliche bei ihrer Berufsausübung nicht darunterfallen. Zudem wird eine "vernünftige" Einzelfallprüfung durch Richter und auch schon durch Ermittlungsbehörden in Aussicht gestellt, um nur als "böse" geltende Sterbehelfer zu bestrafen. Das wird allerdings kaum möglich sein, da der Gesetzestext von einem "wer" ohne vorherige moralische Bewertung der Person oder ihrer Motive ausgeht: "Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern …" heißt es dort.

Vom Humanistischen Verband angeforderte Stellungnahme

Offensichtlich wird vom zuständigen 2. Senat in Karlsruhe die Prüfung des angegriffenen Gesetzes recht sorgfältig vorgenommen. Schon einmal, terminiert zum Herbst 2016, waren die ersten Stellungnahmen von relevanten gesellschaftlichen Gruppen erbeten worden, darunter der Kirchen. Damals zählte der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) ebenfalls zu den Angefragten. In der ersten Runde ging es um die Bewertung der Verfassungsbeschwerden der Sterbehilfe-Organisationen Dignitas und Sterbehilfe Deutschland e.V. sowie von deren betroffenen, bereits schwerkranken Mitgliedern. Diese hatten schon das sogenannte grüne Licht zur möglichen Suizidhilfe durch die Organisationen erhalten. Gerade solchen "Dienstleistungen" Einhalt zu gebieten, war und ist der oberste Zweck des § 217 StGB.

Gita Neumann, Referentin des HVD Berlin-Brandenburg (Foto: © Evelin Frerk)
Gita Neumann ist die zuständige Referentin des HVD Berlin-Brandenburg (Foto: © Evelin Frerk)

Anfang Januar wurde der HVD von der Bitte des Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle überrascht, eine zweite Stellungnahme abzugeben. Sie wird, wie schon die erste, federführend von mir als der zuständigen Referentin des HVD Berlin-Brandenburg verfasst. Mir wurde vom KORSO, dem Koordinierungsrat säkularer Organisationen, im Januar die Möglichkeit eingeräumt, Umstände sowie die Zielrichtung des HVD dazu öffentlich zu erklären.

Im KORSO ist auch der HVD Mitglied. Es wird als Anerkennungserfolg angesehen, dass unter den weltanschaulich-ethisch argumentierenden Gruppen nicht nur die Kirchen vom Bundesverfassungsgericht um Stellungnahme gebeten worden sind. Spannend wird die Positionierung des Bundesjustizministeriums unter Heiko Maas sein – welches angekündigt hat, sich auf die Bitte von Voßkuhle ebenfalls bis zum 28.2. erstmalig zum § 217 StGB zu äußern. Maas galt vor Jahren als Befürworter der Sterbehilfe bei schwerem Leiden – aber was mag das heute schon heißen.

In seiner Stellungnahme wird der HVD deutlich machten, dass es sehr wohl im Sinne des Gesetzgebers ist, dass auch die klageführenden Ärzte wegen organisierter, d.h. professionell-geschäftsmäßiger Suizidhilfe mit Strafe bedroht werden sollen. Alles andere ist Augenwischerei, die bereits das ganze Gesetzgebungsverfahren ausgemacht hatte.