Patientenautonomie in Gesetzgebung und vor dem Bundesverfassungsgericht

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Gita Neumann
Gita Neumann

Die Leiterin der "Bundeszentralstelle Patientenverfügung" beim Humanistischen Verband Deutschlands (HVD), Gita Neumann, hat bei der KORSO-Pressekonferenz am vergangenen Freitag über die aktuelle Situation nach dem Erlass des "Sterbehilfeverbotsgesetzes" berichtet. Der hpd dokumentiert das dort vorgetragene Statement.

Die Durchsetzung der Patientenautonomie am Lebensende spiegelt beispielhaft einerseits den Erfolg der säkularen-humanistischen Bewegung wieder – und zwar mit dem Patientenverfügungsgesetz aus dem Jahr 2009. Andererseits haben wir durch das  Suizidhilfe-Verbotsgesetz mit dem 2015 neu eingeführten Strafrechtsparagraphen § 217 StGB eine herbe  Niederlage erlitten. Wir sehen in diesem Rollback durch kirchlich-konservative Kreise allerdings nur ein vorläufiges Ergebnis, welches auf Dauer nicht von Bestand sein kann. Wir sind durch Anfragen nach säkular-humanistischen Stellungnahmen durch das Bundesverfassungsgericht in die Auseinandersetzung um die Grundgesetzwidrigkeit des § 217 StGB einbezogen. Zu Jahresbeginn wurde sogar vom BVerfG. noch eine 2. Stellungnahme des Humanistischen Verbandes angefragt. Eine Entscheidung in Karlsruhe für Herbst 2017 avisiert. 

Gesetz zur Patientenverfügung 2009 

Zunächst zum zivilrechtlich Erreichten, dem liberalen Gesetz von 2009 zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen mit unbeschränkter Reichweite:  Im Vorfeld hatten sich die Kirchen zusammen mit  Professoren und Politiker/innen, die sich als Lebensschützemr begreifen, für eine deutlich restriktivere Regelung stark gemacht: Danach sollte nur im Sterbeprozess vorsorglich auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichten werden können, bzw. nur für einen irreversibel tödlichen Verlauf.  Im Vorfeld der Gesetzgebung zur Patientenverfügung hatte das damalige Bundesjustizministerium eine AG "Patientenautonomie am Lebensende" mit gesellschaftlich relevanten Gruppen ins Leben gerufen. Dem Gremium gehörten u. a. jeweils eine Vertreterin der beiden christlichen Kirchen und des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) an. Die Berufung des HVD erfolgte aufgrund von zwei Bedeutungszuschreibungen: Zum einen als Vertreter für eine säkulare Wertegemeinschaft, zum anderen als Vertreter von Patienteninteressen. Denn schon damals existiere bereits seit gut 15 Jahren die Bundeszentralstelle Patientenverfügung des HVD. Dort wurden und werden individuelle Patientenverfügungen ausschließlich nach den Wertvorstellungen der Betroffenen erstellt, hinterlegt und durchgesetzt.

Streit um die Reichweite bis heute

Wir zeigten im Vorfeld der Gesetzgebung von 2009 durch unsere Praxis die Möglichkeit auf, wie ethisch verantwortungsvoll vom Selbstbestimmungsrecht über die eigene Behandlung Gebrauch zu machen ist. Bis heute bringen die katholische und die evangelische Kirche als Gegenmodell die sog. christliche Patientenverfügung heraus und behaupten, dass der Lebensschutz, insbesondere die künstliche Ernährung auch bei jahrelangem Dauerkoma, der eigentliche Garant für die wahre Selbstbestimmung wäre. Argumentiert wird  längst nicht mehr mit dem lieben Gott oder dem Glauben, dessen geistig-moralische Bindungs- und Wirkungskraft bekanntlich zunehmend schwindet. Umso mehr wird kulturpessimistisch gemahnt und geunkt: Danach würde nachweislich in einer gott-, erbarmungs- und gewissenlos gewordenen Gesellschaft  der Druck auf die Schwachen, Alten und Schwerkranken zunehmen, dieser nicht länger zur Last zu fallen und der eigenen Entsorgung auch noch selbst zuzustimmen.

Dieses Bild entbehrt jeder empirischen Grundlage. Als sogenanntes Dammbruch-Argument wurde es jedoch erfolgreich für die Ende 2015 eingeführte Kriminalisierung der Suizidhilfe bzw. des ärztlich begleiteten Freitods ins Feld geführt.

Suizidhilfeverbot 2015 durch § 217 StGB als Rückschritt

Bemerkenswerterweise war die Hilfe zum Freitod bis dato in Deutschland kein Straftatbestand - und das seit über 175 Jahren. Wie konnte es zu diesem Rückschritt kommen, wo doch umgekehrt in fast allen europäischen und nordamerikanischen Staaten Liberalisierungstendenzen zu beobachten sind?  Und wo doch alle repräsentativen Meinungsbefragungen belegt haben, dass durchschnittlich 3/4 unserer Bevölkerung eine ärztliche Hilfe zur Verkürzung schwersten Leidens zumindest als Möglichkeit für sich wünschen?

Verantwortlich war die massive Einflussmöglichkeit der kirchlichen Lobby zunächst auf die Union und auch den Bundestag insgesamt. Gegen deren gebetsmühlenartige Behauptung, dass durch die in Deutschland erlaubte Suizidhilfe der Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet sei, erwies sich die Aufklärungsarbeit humanistischer Verbände als chancenlos. Sie hatten sich 2014 im "Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende" zusammengeschlossen. Dem Bündnis gehören außer den im KORSO vertretenen Verbänden weitere aus dem humanistischen Spektrum an, die sich teils überkonfessionell verstehen - als Bürgerrechtsorganisationen wie die Humanistische Union (HU) und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS).

Bündnis für Selbstbestimmung - das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Die Bündnis-Organisationen wiesen darauf hin, dass ein Verbot der "Förderung der Suizidhilfe" nicht nur auf diese selbst grundgesetzwidrige Auswirkungen hat, sondern darüber hinaus eine ergebnisoffene Suizidkonflikt-/verhütungsberatung, ärztlich begleitetes Sterbefasten oder auch indirekte Sterbehilfe in der Palliativmedizin kriminalisiert. Leider geben uns die zahlreichen Beschwerden Recht, die inzwischen von Palliativmedizinern, Hausärzten und betroffenen Patienten gegen den § 217 StGB beim Bundesverfassungsgericht eingebracht worden sind. In Karlsruhe finden immerhin unsere Argumente aus säkulaer Sicht insofern Gehör, als das Bundesverfassungsgericht im Sommer 2016 den Humanistischen Verband um eine Stellungnahme ersucht hat und zusätzlich die Giordano Bruno Stiftung (GBS) eine solche eingebracht hat - fristgerecht im zum 1. November 2016. 

Zwischenzeitlich wurde der Humanistische Verband vom Bundesverfassungsgericht um eine 2. Stellungnahme gebeten, einzureichen bis Ende Februar. Es geht dabei zum einen um die Klage eines querschnittgelähmten Patienten, der durch ärztlichen Behandlungsfehler in diese Lage geraten ist und sich nun der Möglichkeit einer legalen Hilfe etwa durch eine Suizidhilfeorganisation beraubt sieht. Zum anderen geht es um diverse Verfassungsklagen von insgesamt 8 Ärzten. Wie uns gegenüber verlautete, soll – vermutlich nach vorheriger Anhörung – noch im Herbst dieses Jahres eine Entscheidung des 2. Senats in Karlsruhe fallen.

Gita Neumann ist Bundesbeauftragte des HVD für Patientenverfügung, Hospiz und Humanes Sterben; Mitglied in der Akademie für Ethik in der Medizin; Verfasserin der vom BVerG. angefragten Stellungnahme des HVD zu diversen Verfassungsbeschwerden gegen den § 217 StGB