Nachkommen von Affen und Schweinen?

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Mohammed Mursi nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten / Foto: Jonathan Rashad (CC NC-SA/2.0)

BERLIN. (hpd) Wen meint der ägyptische Staatspräsident Mohammed Mursi, wenn er sagte, dass  "Zionisten Blutsauger sind, Kriegstreiber, Nachkommen von Affen und Schweinen"? Antisemitismus und Bündnispolitik im Nahostkonflikt überfordern die westliche Intuition. Doppeldeutigkeiten und Antisemitismen haben Tradition.

Die Aufregung war groß, als Bundeskanzlerin Merkel ihren Gast vor wenigen Tagen in Berlin empfing. Ausgerechnet am Jahrestag der Machtergreifung betrat der ägyptische Präsident Mursi deutschen Boden, den seit kurzem antisemitische Äußerungen aus der Vergangenheit verfolgen. Im Jahr 2010 hatte Mursi in einem Fernsehinterview geäußert, dass „Zionisten Blutsauger sind, Kriegstreiber, Nachkommen von Affen und Schweinen“. Der Chefredakteur des Spiegel hakte nach und sprach den Muslimbruder auf seine Äußerungen an. Doch Mursi wich den Fragen aus, wollte sich nicht genau festlegen. Er habe nur die „Zionisten“ und die Behandlung der Palästinenser angesprochen, jedoch keine Aussagen über das gesamte Judentum getroffen. Zudem respektiere er die Propheten anderer Religionen.

Selbst wenn Mursi die Wahrheit spricht, radikal sind seine Ansichten allemal. Dennoch gibt es Grund zur Annahme, dass er eben doch nicht ganz so fein differenziert. Die Raketen, die die radikalislamische Hamas nach dem Zufallsprinzip auf Israel feuert, unterscheiden nicht zwischen Juden und Zionisten, gelegentlich treffen sie sogar arabische Staatsbürger. Seit Mursis Amtsantritt, als Folge des arabischen Frühlings, haben sich die Waffenarsenale der palästinensischen Terrororganisation auf wundersame Weise vergrößert. Ob Mursi den Schmuggel iranischer Raketen über die ägyptische Sinai-Halbinsel in den Gaza-Streifen duldet, sei dahingestellt, vielleicht hat er auch nicht genug Macht, um sich gegen Hardliner in den eigenen Reihen durchzusetzen. Wenn also auch dieser Sachverhalt nicht zur Klärung beitragen kann, dann zumindest seine Formulierung von den „Affen und Schweinen“.

Immer wieder taucht sie in der islamischen Welt auf, wenn gegen Juden gehetzt wird. Wer hier nun weiterforscht, der merkt, dass  die „Affen und Schweine“ ihren Ursprung im Koran haben. Aus den entsprechenden Suren (2:63-66, 5:59-60 und 7:166)  geht hervor, dass die Wortwahl tatsächlich auf Christen und Juden abzielt. Dass Mursi nur den Zionismus attackiert haben will, kann man ihm kaum glauben. Aber was ist mit der religiösen Toleranz, die er anspricht?

In den vergangenen Jahren fesselte eine iranische Fernsehserie ihre Zuschauer. Thema der Handlung: Der Holocaust. Das Leid der Juden wird thematisiert, der Zuschauer soll Mitleid empfinden. Wenn man berücksichtigt, dass Präsident Mahmud Ahmadinedschad den alten Holocaust leugnet und einen neuen, wenn auch nur verklausuliert, ankündigte, scheint dies erstaunlich. Vertritt das  Staatsoberhaupt nur eine Minderheitenposition, oder umgekehrt, gibt es eine Pressefreiheit im Iran, die sogar Sympathien für das jüdische Volk zulässt? Tatsächlich aber fügen sich beide Fakten zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammen. So seltsam es klingt, sogar der größte Antisemit kann sich selbst als zweiten Oskar Schindler sehen, der die Juden vor der Gaskammer retten will.

Mahmud Abbas: "Die Juden waren’s!"

Denn wer waren die treibenden Kräfte hinter dem Holocaust, wie es die Serie suggeriert? Die Frage wird vielerorts in der islamischen Welt identisch gestellt, auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas beantwortete sie im vergangen Monat in einem Fernsehinterview. Die Juden waren's! In diesem Fall schränkte er sich aber ein, nur über Zionisten und nicht über das gesamte Volk zu reden. Was für ein Szenario beschreibt Abbas, wie im übrigen auch viele Muslimbrüder? Angeblich, so die Verschwörungstheorie, hätten Zionisten und Nazis einen geheimen Pakt geschlossen. Gemeinsam habe man sich auf die Ausrottung von 600.000 Juden verständigt, um einen Vorwand für die Gründung des Staates zu haben. Die 0, die die Verschwörungstheoretiker weglassen, hätten angeblich die Zionisten nach 1945 an die ohnehin schon beeindruckende Zahl dran gehängt, um ihren Argumenten mehr Gewicht zu verleihen. Den deutschen Medien schien diese These so absurd, dass sie keine weitere Kommentierung erfuhr. Dem Leser würde angesichts derart unrealistischer Schilderungen die antisemitische Intention schon von selbst auffallen.

Doch Abbas als Geschichtsfälscher hinzustellen, hilft nicht, wenn man ihn widerlegen will. Wer seine Thesen analysiert, kommt nicht umhin, das Fünkchen Wahrheit zu entdecken dass die übrigen Lügen zu einem Gesamtbild zusammenkittet.

Theodor Herzl und Wilhelm II.

Hätte aber Theodor Herzl sich wirklich auf einen Pakt mit Hitler eingelassen? Diese Frage wird man nie beantworten können, denn als der Vater des Zionismus 1904 starb, war Hitler gerade einmal 15 Jahre alt. Mit dem damaligen Staatsoberhaupt Kaiser Wilhelm II. verstand er sich aber prächtig. Herzl, der einer deutschnationalen Burschenschaft beigetreten war, hätte sich wohl nie zu der bedeutenden historischen Persönlichkeit entwickelt, wenn ihn nicht eben genau diese Burschenschaft wegen seines Judentums ausgestoßen hätte. In seinem Wunsch, ein jüdisches Vaterland zu errichten, traf er sich 1898 mit Wilhelm II. in Jerusalem.

Ausgerechnet im antisemitischen Herrscher fand er einen seiner treuesten Verbündeten. Ihre Interessen waren nicht verschieden, sondern deckungsgleich. Denn, so Wilhelm: „Ich bin sehr dafür, daß die Mauschels nach Palästina gehen, je eher sie dorthin abrücken, desto besser. Ich werde ihnen keine Schwierigkeiten in den Weg legen.“ Nichts sorgt zuverlässiger für ein „judenreines“ Deutschland als der Zionismus. Und, wie ein kaiserlicher Berater hinzufügte, würde dies die gefürchteten Sozialdemokraten in Deutschland schwächen. Auch die antisemitischen Vorstellungen über das Judenkapital bestärkten den Kaiser in seinen Ansichten. Die jüdischen Kaufleute auf der ganzen Welt würden als Dankeschön an Deutschland die englische Wirtschaft in die Knie zwingen. Überhaupt verstand Wilhelm II. sein Eintreten für den Judenstaat als Fortführung seiner Kolonialpolitik. Denn wenn er freundschaftliche Beziehungen in die Region unterhielt, würde er ein Gegengewicht zum Britischen Empire etablieren können.

Angedacht war damals im noch hypothetischen Israel Deutsch als Amtssprache einzuführen. Für die Juden des Kaiserreichs und Österreich-Ungarns war dies die naheliegende Alternative und für die jiddisch-sprachigen Juden Osteuropas wäre die Umgewöhnung erträglich gewesen. Herzl, der mit seinen dürftigen Hebräischkenntnissen kaum den Zugang zu orthodoxen Rabbinern fand, zeigte sich hocherfreut: „Unter dem Protektorat dieses starken, großen, sittlichen, prachtvoll verwalteten, stramm organisierten Deutschland zu stehen, kann nur die heilsamsten Wirkungen für den jüdischen Volkscharakter haben.“ 

Auch das Verbündete osmanische Reich werde sich laut Wilhelm II. freuen, wenn die fleißigen Juden Europas ihr Know-How in den arabischen Raum transportierten. So könne es industriell aufsteigen und in einer künftigen militärischen Auseinandersetzung von großem Nutzen sein. Herzl war ebenso fest davon überzeugt, dass die Palästinenser die Juden mit offenen Armen empfangen würden, da sie ihnen die kulturellen Segnungen der westlichen Welt nahebringen könnten. Mit Blick auf die merkwürdige Allianz schloss er: „Die Antisemiten werden unsere verläßlichsten Freunde.

Dass die Pläne der beiden dennoch nicht fruchteten, lag daran, dass der osmanische Sultan weit weniger freudig auf die Masseneinwanderung von Juden reagierte, als geplant. Auch Großbritannien hätte stark entgegengesteuert. Kaiser Wilhelm II., der nur kurzzeitig mit dem Zionismus liebäugelte, wandte sich bald darauf anderen außenpolitischen Abenteuern zu.

Abbas' Ausführungen erscheinen nun zumindest ein Stück weit plausibler.