Eine Messe für Atheisten?

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Symbolfoto; Wells Cathedral, Foto: seier+seier (CC, Wikipedia)

LONDON. (hpd) Es erscheint der Redaktion des hpd fragwürdig, ob man Atheismus wie eine Religion zelebrieren soll. Es ist deshalb umstritten, weil "zelebrierende Atheisten" schnell in den Ruf kommen, sich nicht von ihren religiösen Denkmustern verabschieden zu können. In England sind Einige anderer Meinung. So berichtet das BBC-Magazin in seiner Onlineausgabe über die jüngst eröffnete "atheistische Kirche" in London.

Letzten Monat öffnete in London die erste "atheistische Kirche" ihre Pforten. Bereits jetzt erfreut sie sich größter Beliebtheit unter nichtgläubigen Besuchern. BBC-Reporter Brian Wheeler war vor Ort und beschreibt seine Ersteindrücke. Für ihn stellt sich die Frage, ob das, was er erlebt hat, den Anfang einer neuen Religion kennzeichnen könnte.

Eine Predigt darüber, dass es kein Leben nach dem Tod gibt, dass kriegt man in keiner normalen Kirche zu hören, aber bei der vor einem Monat gegründeten "Sunday Assembly" (Sonntags-Versammlung) handelt es sich auch keine orthodoxe Kirche.

Eine Sonntags-Versammlung dieser Kirche müsse man sich am besten wie eine Mischung aus einem Teil atheistischer Kirchenpraxis und einem Teil Unterhaltungs- und Musikprogramm, in den alle Besucher eingebunden sind, vorstellen, erläutert Kirchengründer und oberster Zeremonienmeister Sanderson Jones. Das Ziel des Ganzen bestehe darin, das Leben zu feiern und zu bejahen.

Mehr als 300 Menschen drängen sich an diesem Sonntagmorgen in das Schiff des nicht mehr geweihten Kirchegebäudes.

Statt zu Kirchenchorälen stehen die Nichtgläubigen auf, um gemeinsam zu Liedern von Stevie Wonder und Queen zu singen.

Auf eine Lesung von "Alice im Wunderland" folgt eine PowerPoint-Präsentation von Physiker Dr. Harry Cliff, der die Entdeckung der Anti-Materie Theorie erläutert.

Die Sonntagsversammlung fühlt sich ein bisschen wie ein Comedy-Improvisations-Programm an. Jones und die Mitgründerin Pippa Evans machen miteinander Scherze und heizen die Stimmung damit auf; ganz wie man es von den erfahrenen Kabarettisten, die sie sind, erwarten würde.

Aber zwischen all dem Trubel gibt es auch immer wieder ernsthafte Momente.

"Wunder" und die Behauptung, dass ein Atheist keine kennen würde, sind das Thema der frühmorgendlichen Versammlung, wie Sanderson Jones erklärt.

Also neigen wir unseren Kopf, um für zwei Minuten in uns zu gehen und über das Wunder des Lebens nachzudenken. In seiner Abschluss-"Predigt" spricht Jones darüber, wie der Tod seiner Mutter seine persönliche Entwicklung beeinflusst hat, wie er ihn in der Überzeugung bestärkt hat, dass man das Beste aus jedem Lebensmoment ziehen müsse. Denn jeder Tod verdeutliche, laut Jones, dass das Leben nur allzu kurz ist und dass danach nichts mehr kommt.

Das zum Großteil aus Jugendlichen der weißen Mittelschicht bestehende Publikum ist begeistert. Sie fühlen sich als Teil von etwas Neuem und Aufregendem und sprechen über die Leere, die sie, seit sie sich entschlossen haben, ihren christlichen Glauben abzulegen, jeden Sonntagsmorgen verspürt hatten. Nur wenige Teilnehmer verstehen sich als reine Atheisten.

"Es ist schön einen Grund zum zusammenzukommen zu haben", sagt Jess Bonham, ein Fotograf und Besucher der Sonntagsversammlung. "Es gefällt mir etwas Gemeinschaftsgeist erleben zu können, ohne mich dafür auf die ganzen religiösen Aspekte einlassen zu müssen. Sie (die Sunday Assemlby) ist keine Kirche, sie ist eine Zusammenkunft Nichtreligiöser."

Ein weiterer Teilnehmer, Gintare Karalyste, erzählt: "Ich denke die Leute suchen nach dieser Art von gegenseitiger Verbundenheit, weil in unser heutigen Zeit, jeder so isoliert für sich lebt. Teil von etwas zu sein und diese Beteiligung aktiv mitzuerleben, dass ist es wonach sich die Menschen der Welt heutzutage sehnen."

Laut der letzten Volkszählung in England und Wales, ist die Zahl der Bürger, die sich keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, seit 2001 um mehr als sechs Millionen auf heute 14.1 Millionen Bürger angestiegen. Damit sind England und Wales zwei der am wenigsten religiösen Länder der westlichen Welt.

Persönlichkeiten wie Richard Dawkins und der Komiker Ricky Gervais haben es in England salonfähig gemacht, offen mit dem eigenen Mangel an religiösem Glauben umzugehen Außerdem haben sie dazu angeregt, darüber nachzudenken, was es bedeutet, ein Atheist zu sein.

Autor Alain de Botton veröffentlichte vor kurzem ein Manifest für Atheisten, in dem er 10 Tugenden (oder Gebote) für die Glaubenslosen formulierte. Weil de Botton der Meinung ist, dass die Phrase "tugendhaft sein" heutzutage einen angestaubten und irgendwie depressiven Beigeschmack bekommen habe, hat er in seine Tugendliste ansonsten häufig übersehene Charaktereigenschaften wie "resilience" (Ausdauer, Nachgiebigkeit, Belastbarkeit) und Humor aufgenommen. Damit vertritt er eine Ansicht, die mit der der Sunday Assembly übereinzustimmen scheint, denn deren Mantra lautet: "live better, help often, wonder more" (lebe besser, sei oft behilflich und sei häufiger verwundert).

De Botton tritt für die Idee ein, dass man eine gänzlich neue Form säkularer Therapeuten ausbilden sollte, die die Funktionen von Priestern übernehmen sollen. Er denkt, dass der Atheismus seine eigenen Kirchen haben sollte. Nur sollte man diese Einrichtungen laut Weil de Botton nicht als "Atheistische Kirche" bezeichnen, denn: "Atheismus ist keine Ideologie um die sich eine Schar von Anhängern versammelt. Es wäre besser wenn man dieses Konzept vielmehr als einen kulturellen Humanismus bezeichnen würde."

Aber nicht alle sind über die derzeitigen Entwicklungen erfreut. Manche Nichtgläubige befürchten, dass der Atheismus dabei ist, sich in eine Religion, mit eigenem Moralkodex und selbsternannten Hohepriestern zu verwandeln.

Sanderson Jones betont, dass er keineswegs versuche, eine neue Religion ins Leben zu rufen, aber einige seiner "Messe"-Besucher sind da anderer Ansicht.

"Es wird eine organisierte Religion werden, dass ist unausweichlich. Ein selbstständiges Glaubenssystem mit eigenen Strukturen wird sich entwickeln und dieses System wird die ethischen Ansichten seiner Mitglieder beeinflussen" meint Architekt Robbie Harris. Er ist der Überzeugung, dass den Gründern der Sunday Assembly "große Verantwortung" zukommen wird, wenn die Kirche ihren derzeitigen Erfolg beibehalten kann. "Es besteht die Gefahr, dass das ganze kultartig auf eine Person zentriert werden könnte. Man könnte sich selbst als einen charismatischen Prediger etablieren und das wäre gefährlich."

Sarah Aspin, ein anderer Teilnehmer, sagte dazu: "Ich glaube Sanderson sollte Abstand nehmen und sich selbst nur noch als Mediator und Initiator verstehen. Er sollte sich also auf die Sachen konzentrieren in denen er offensichtlich gut ist und Leute damit anregen selbst zu reden oder zu lesen."

Kirchengründer Sanderson Jones wehrt sich gegen die Behauptungen, dass er einen neuen Kult ins Leben rufen würde. Sanderson zufolge sei die Sunday Assembly noch in einer sehr frühen Phase. Zukünftige Versammlungen würden sich weniger um ihn und stattdessen mehr um die persönlichen Erfahrungen der anderen Mitglieder drehen kündigte er an.

"Ich denke nicht, dass ich ein charismatischer Prediger bin. Ich begeistere mich nur stark für bestimmte Themen und möchte dieses Gefühl dann mit anderen teilen. Ich wollte das machen, weil ich dachte dass es eine tolle Sache sei", erläuterte Sanderson Jones seine Motivation. Er selbst sei von der öffentlichen Aufmerksamkeit, die die Sunday Assembly seit ihrer Eröffnung erfahren habe, überwältig gewesen sagte Sanderson. Derzeit untersuche er, wie die Chancen stehen, weitere Versammlungen dieser Art im ganzen Land zu initiieren.

Die Sunday Assembly schnitt an diesem Wochenende weit besser ab als die St. Jude oder St. Pauls Kirche nebenan. Dort hatten sich ungefähr 30 Gläubige versammelt um Kirchenlieder zu singen und Bibellesungen zu lauschen. Bischoff Harrison, der bereits seit 30 Jahren das Priesteramt bekleidet, sieht in seinen neuen Nachbarn dennoch keine Bedrohung. Er sei vielmehr zuversichtlich, dass ihre Geistige Reise sie letztendlich zu Gott führen würde. "Sie müssen ja irgendwo anfangen", sagte er.

(Übersetzung aus dem Englischen: Andrej Swidsinski)