Kindergeld „wenig effektiv”, „kontraproduktiv”?

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Symbolbild / Foto: erysipel /pixelio.de

BERLIN. (hpd) Ein Gutachten über die Leistungen auf ehe- und familienpolitischem Gebiet ist in Arbeit, welches das Familien- und Finanzministerium in Auftrag gegeben haben soll. Nachdem ein Zwischenbericht durchgesickert ist, werden Ausgaben wie Kindergeld, Ehegattensplitting und beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten in der gesetzlichen Krankenkasse als „unwirksame” Leistungen deklariert.

Nach Berichten im Spiegel, der Zeit, Focus und Süddeutscher Zeitung untersuchte das Gutachten für das Familien- und Finanzministerium in den letzten vier Jahren die 13 größten Posten der über 150 Einzelfinanzleistungen an Familien. Danach sollen ca. 200 Milliarden Euro nicht ihren gewünschten Zweck erfüllen, wobei völlig unberücksichtigt bleibt, dass ca. die Hälfte der Ausgaben die Familien über Steuern und Sozialbeiträge selbst tragen.

Schon allein dies ist fragwürdig. Welcher Zweck war denn überhaupt angestrebt? Hierbei kann es doch ausschließlich um eine rein ökonomische Betrachtungen gegangen sein, um den wirtschaftlichen Nutzen. Keinesfalls kann das Wohlergehen der Familien, der direkt Betroffenen, in Betracht gezogen worden sein.

In dem Gutachten wurden besonders das Kindergeld, die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen in der gesetzlichen Krankenkasse, das Elterngeld, die Witwen- und Waisenrente, Rentenleistungen für die Kindererziehung, Wohnraum- und Bildungsförderung und das Ehegattensplitting unter die Lupe genommen.

Das Kindergeld mit einem Ausgabevolumen von 40 Milliarden Euro steht dabei besonders im Fokus. Es wird gleichermaßen ohne weitere Bedingungen an Eltern monatlich in Höhe von 184 Euro für die ersten beiden Kinder und 190 bzw. 215 Euro für das dritte und vierte Kind ausgezahlt. Doch wie kommt es an? Nur die besser Verdienenden können über einen Kinderfreibetrag Ausgaben bei der Steuer geltend machen. Bei den Sozialhilfeempfängern wird das Kindergeld mit den anderen Sozialleistungen verrechnet. Also auf die bestehende Kinderarmut und die Geburtenrate hat diese Praxis der Auszahlung wohl keinen Einfluss. Hier sollte wohl eher darüber nachgedacht werden, wie dieses Geld tatsächlich bei den Bedürftigen ankommt.

Eine Analyse der Kindergelderhöhung im Jahr 1996 hätte ergeben, dass Frauen in der Folgezeit weniger gearbeitet hätten, was sich auf ihren Berufsweg und ihr späteres Einkommen negativ ausgewirkt habe, hat Frau Göring-Eckardt (Die Grünen) argumentiert. Damit entgingen dem Staat permanent Einnahmen.

Als „besonders unwirksam“ wird in dem Gutachten die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern und Kindern in den Krankenkassen bezeichnet. Aber gerade für die ärmeren oder nur durchschnittlich Verdienenden ist dies besonders wichtig, besonders wenn ein Elternteil wegen der Kinderbetreuung nicht arbeiten geht (gehen kann). Diese Leistungen kommen ja vor allem den Arbeitern und Angestellten zu Gute. Angeblich „entgehen” dem Staat dadurch ca. 27 Milliarden Euro, was für die Gutachter nur das Prädikat „besonders unwirksam” zuließ. Nach deren Einschätzung würden verheiratete Frauen deswegen keiner sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen. Welcher Zynismus in Anbetracht der Arbeitsmarktlage und dem CSU-Ansinnen, dass Frauen sich mehr zu Hause der Kinderbetreuung widmen sollten. Aber betrachtet man die Auswirkungen in der Realität, so stellt man fest, dass es wiederum nur die Armen trifft, die überlebensnotwendig auf diese Leistungen angewiesen sind.

Auch das Ehegattensplitting kommt mehr den Besserverdienenden zu Gute, wenn nämlich ein Partner wesentlich mehr verdient als der andere. Bei vielen Familien ist es jedoch so, dass beide Partner arbeiten gehen (müssen), der Unterschied im Einkommen nicht mehr so drastisch ausfällt und der Steuervorteil unerheblich ist.

Das Elterngeld, welches nicht mehr pauschal über zwei Jahre lang in Höhe von 300 Euro an Mütter oder Väter gezahlt wurde, wird seit 2007 nach der Höhe des letzten Einkommens vor der Geburt bemessen. HartzIV-Empfänger sind davon gänzlich ausgeschlossen. Von Familienförderung kann da wohl kaum die Rede sein, denn junge Paare überlegen es sich danach schon, wann sie das Kinderkriegen „einplanen”, zumindest werden sie eine Zeit mit höherem Verdienst abwarten. Und das wird kaum gleich nach der Ausbildung oder dem Studium sein. Das heißt, Kinder werden in den Familien immer später geboren und dann wegen des Zeitfaktors meist nur eins höchstens zwei. Eine höhere Geburtenrate ist damit kaum zu erreichen. Die zynisch beklagte niedrige Geburtenrate wird weiter sinken, weil viele junge Menschen nur schlecht bezahlte und befristete Arbeitsplätze finden und keine langfristige Familienplanung machen können. Andere müssen hart arbeiten, um ihren Job zu behalten oder mobil sein und weit entfernte Stellen annehmen und verzichten daher lieber auf Kinder.

Alles in allem kann man kaum von einer guten Familienpolitik in Deutschland sprechen. Die Mehrheit der Familien mit Kindern müssen sich alltäglich sorgen. Viele Millionen Kinder leben in Armut, Frauen können kaum einen Job finden, der ihnen ausreichenden Lebensunterhalt gewährleistet, vorausgesetzt sie finden eine Tagesbetreuung ihrer Kinder. Und auch das Bildungssystem lässt Kinder aus ärmeren Familien auf der Strecke liegen.

Der  AWO-Vorsitzende Wolfgang Stadler sprach hinsichtlich des Gutachtens von einer „schallenden Ohrfeige, die aber niemanden mehr überraschen konnte”. Es sei offensichtlich, dass es nicht an Geld, sondern am politischen Willen fehle, die familienpolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts anzuerkennen und dementsprechende Unterstützung anzubieten, meinte er.

Andererseits werden Investitionen in Betreuungsplätze in Kindertagesstätten, Krippen und Tagesmütter hoch gelobt. Wenn Mütter arbeiten gingen, fließen dem Staat Steuern und Sozialversicherungseinnahmen zu. Damit würden knapp 50 Prozent der staatlichen Ausgaben für Kinderbetreuung an den Staat zurückfließen. Bei Ganztagsschulen finanziere sich der Aufwand des Staates sogar zu 66 bis 69 Prozent selbst.

Es wäre also tatsächlich an der Zeit, die Sozialausgaben zu reformieren. So wie sie derzeit gestreut werden, kommen sie fast ausschließlich den Besserverdienenden zu Gute. Arme Familien haben kaum etwas vom Kindergeld, vom Ehegattensplitting und vom Erziehungsgeld.

Man kann nur hoffen, dass die Reform nicht genauso ausfällt wie die Arbeitsmarktreformen unter Bundeskanzler Schröder, durch die viele dauerhaft in Armut gestoßen wurden. Wenn nach dem Muster der HartzIV-Reformen vorgegangen wird, wird es die soziale Ungleichheit weiter verschärfen.

Statt darüber nachzudenken, diese Leistungen gänzlich abzuschaffen, sollte eine Möglichkeit gefunden werden, die Armen und Durchschnittsverdiener mit Sozial- und Familienleistungen tatsächlich abzusichern, wirksame Instrumente zu schaffen, die bei den Bedürftigen ankommen und dem Namen Familienförderung gerecht werden.

Wenn man etwas in die jüngere Vergangenheit zurückschaut, dann ist auch bei den Änderungen zu Arbeitslosengeld und -hilfe eine derartige Vorgehensweise praktiziert worden. Man bezeichnet etwas als „ineffektiv und kontraproduktiv”, streut es in die Medien und entfacht damit eine Diskussion. Rechtzeitig vor den Bundestagswahlen im September wird jetzt die Reaktion getestet. Diese dient dazu, die umfangreichen Kürzungsmaßnahmen bei den Sozialausgaben für arme und Arbeiterfamilien nach der Bundestagswahl vorzubereiten.

Für die Familienministerin Kristina Schröder (CDU) ist das Gutachten vor der Bundestagswahl besonders unangenehm, obwohl zu einem Großteil ihre Vorgänger für dieses Desaster verantwortlich sind. Die Sprecherin des Ministeriums spielte deshalb den Bericht herunter. Es handle sich dabei um eine Studie von Wissenschaftlern und nicht um einen Regierungsbericht. Die Sprecherin ließ offen, ob es noch in dieser Legislaturperiode veröffentlicht werde, da das Gutachten noch nicht fertig sei.

Bleibt im Moment nur zu hoffen, dass durch die Diskussion auch in der Öffentlichkeit, die anstehende Reform in die richtigen Bahnen gelenkt werden und die Belange von bisher benachteiligten Kindern und Familien tatsächlich in die Betrachtung einfließen.

Elke Schäfer