Die Wirtschaft wird zum Schlachtfeld der Laizität

Laut Professor Louis Christians von der Katholischen Universität von Louvain (Belgien) müsse man die Entscheidung des französischen Berufungsgerichtes zum Kopftuchtragen in einer KITA (hpd berichtete) in Zusammenhang mit der europäischen Diskussion über den sich zurückziehenden Staat und den Anstieg des privaten Unternehmertums als neues "Schlachtfeld" des Laizismus betrachten. Sie sind lt. Christians auch ein Hinweis auf einen tief greifenden Wandel in der europäischen Rechtsprechung zur Religionsfreiheit.

Am 15. Januar diesen Jahres hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auch eine Reihe von Entscheidungen getroffen und damit seinen bisherigen Ansatz komplett verändert. Bis jetzt ging der EGMR davon aus, dass, wenn ein Mitarbeiter einen Arbeitsvertrag unterschrieb, er weitgehend auf seine religiöse Praxis verzichtete. Jetzt ist es erforderlich die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen der Religionsfreiheit zu prüfen: eine Stewardess hat das Recht, ein kleines Kreuz zu tragen, aber eine Standesamtbeamtin kann sich nicht weigern, Partnerschaften zwischen homosexuellen Menschen zu legitimieren.

Diese Neuausrichtung der Rechtsprechung zur Religionsfreiheit ist ein wichtiger Schritt für Europa. Es reicht nun nicht mehr, dass eine Firma sich als weltanschaulich neutral definiert, sondern sie muss erklären, warum sie es ist, und wofür diese Entscheidung in Bezug zu ihren industriellen und kommerziellen Projekten relevant ist. Das überschreitet den Bereich der Religionsfreiheit: Jede Mitarbeiter hat jetzt das Recht, zu verstehen, warum sein Arbeitgeber dies oder jenes verlangt. Darüber hinaus wird dadurch auch die Autonomie der Unternehmen geschützt. Der Staat kann nicht erklären, dass sie alle neutral sind. Er kann nur sagen, dass diejenigen, die diese Möglichkeit haben wollen, dies zu rechtfertigen haben.

Grundsätzlich stehen sich hier zwei gegensätzliche Anschauungen zur Religionsfreiheit gegenüber. Einerseits diejenigen, für die die Religion eine persönliche Entscheidung ist, die es nicht verdient, wie andere Rechte geschützt zu werden, wenn sie die Beziehungen im Arbeitsprozess stört. Und diejenigen, für die die Freiheit der Religion oder der Weltanschauung nichts anderes ist als die Summe der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, und die es nicht für sinnvoll, halten, sie als solche in internationalen Konventionen aufzunehmen. Andererseits die Befürworter der Universalität - oder Unteilbarkeit - der Menschenrechte, die argumentieren, dass sie explizit in den Rechten enthalten ist und eine untrennbar Unterstützung verlangt.

Was passieren würde, wenn ein Unternehmen sich als religiös erklärt und ihre Mitarbeiter zu einer entsprechenden Kleidung oder Verhalten verpflichten würde, ist nach Christians noch offen. Sicher ist, dass eine Europäische Richtlinie aus dem Jahre 2000 über die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz den Bereich der sogenannten Tendenzunternehmen, die eine besondere Loyalität ihrer Mitarbeiter verlangen können, enorm erweitert. Bis dahin war für die Kommission der religiöse oder philosophische Wesensinhalt solcher Unternehmen (oder Verbände) maßgebend. Die Richtlinie ergänzt dies aber durch "berufliche Tätigkeiten von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Grundlage eine religiöse oder weltanschauliche Ethik ist." Ein katholisches Krankenhaus oder Klinik hat nicht das Evangelium als Wesensinhalt, wohl aber als Grundlage. Das gilt ebenso für eine Kita, oder ein Schuhgeschäft, ein "Quick halal" etc.

Die Debatte über die Rolle des Säkularismus in der Wirtschaft wird sich somit fortsetzen und insbesondere das dazu in Frankreich geplante Gesetz wird sicherlich sorgfältig von anderen Ländern beobachtet werden. In einer Zeit der Deregulierung und Rückzug des Staates wird die Unternehmenswelt das wichtigste Schlachtfeld für den Laizismus werden.