Trennung von Staat und Kirche in der Praxis

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Scan (Ausschnitt) der Titelseite der B.Z. vom 30.8.2013

BERLIN. (hpd) Der verfassungskonforme Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin, religionsinterne Verdienste nicht mehr staatlich mit Medaillen zu würdigen, blieb erst unbemerkt, dann regte sich kirchlicher, medialer und politischer Widerstand. Chronologie (k)einer Provinzposse in der Hauptstadt.

In der Geschäftsordnung für die Auslobung und Verleihung der staatlichen Bezirksmedaille von Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin hatte es unter 1. Auslobung, Punkt d) u. a. geheißen, dass die Ehrung auch für ein Engagement im Gesellschaftsbereich Religion erfolgen könne.

Auf Antrag der Fraktion Die Piraten vom 20.2.2013 (Drucksache DS/0554/IV) wurde mit Beschluss vom 27.2.2013 bei den „Gesellschaftsbereichen“ die Religion gestrichen und es heißt nun: „Geehrt wird ein gemeinwohlorientiertes und aktiv gestaltendes ehrenamtliches Engagement, das durch Einsatz und Kreativität Dinge möglich macht, die den Bürgerinnen und Bürgern des Bezirks zugute kommen und eine Bereicherung und Verbesserung für das Leben miteinander in Friedrichshain-Kreuzberg darstellen. Die zu ehrende Person/Gruppe/Initiative soll sich durch ein herausragendes Engagement über einen längeren Zeitraum in Gesellschaftsbereichen wie zum Beispiel Jugend und Familie, Kultur, Soziales, Sport, Umwelt, Entwicklung, Innovation, Wirtschaft und ein friedliches Miteinander verdient gemacht haben.“

Auch wenn die Fraktionen nicht einheitlich abstimmten, fand der Beschluss eine Mehrheit von SPD, Bündnis/Grüne, Linkspartei und Piraten. Die CDU stimmte komplett dagegen und informierte den evangelischen Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte. Es dauerte bis Mitte Juni und dann schrieb der stellvertetende Superintendent Peter Storck am 15. Juli (angeblich wütend) an die Bezirksvorsteherin Kristine Jaath, „Seitens der evangelischen Kirche gestalten weit über tausend Bürgerinnen und Bürger unseres Bezirkes dessen öffentliches Leben aktiv mit und sollten (…) nicht von der Verleihung der Bezirksmedaille ausgeschlossen werden.“ Und grundsätzlich: „Staatliche Neutralität gegenüber Religion und Kirche darf nicht als ,Freiheit von der Religion‘ missverstanden werden; diese Forderung ist vielmehr ein Kennzeichen diktatorischer Staaten.“

Diese, anscheinend von der CDU übermittelte Falschinformation, wurde dann von Gunnar Schupelius in der BZ-Berlin (aus dem Hause Axel Springer) am 19. August aufgegriffen und realitätsfern zu einem „Kulturellen Bruch“ und „Kreuzberger Kirchenkampf“ hochstilisiert.

Die BVV-Vorsteherin Kristine Jaath reagierte umgehend und erklärte dazu: „Herr Schupelius' Schilderung, die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg würde die Bezirksmedaille nicht mehr an Bürgerinnen und Bürger verleihen, die sich in einer religiösen Gemeinschaft engagieren, ist falsch.
Selbstverständlich können auch religiöse Menschen mit der Bezirksmedaille geehrt werden. Einziges Kriterium für die Auszeichnung ist, dass sie sich im ehrenamtlichen Engagement um Friedrichshain-Kreuzberg und seine Bewohnerinnen und Bewohner besonders verdient gemacht haben. Dies kann in allen möglichen Bereichen geschehen, wie zum Beispiel Jugend und Familie, Soziales, Kultur, Sport, Bildung und vielem anderen mehr.
Kriterium soll dagegen nicht sein, sich um eine bestimmte Religion besonders verdient gemacht zu haben. Welche Religion besonders auszeichnungswürdig ist, kann nicht Gegenstand der Beratung für die Verleihung einer Bezirksmedaille sein. Es würde gegen die gebotene staatliche Neutralität gegenüber Weltanschauungen verstoßen. Deshalb die Präzisierung in der Geschäftsordnung zur Verleihung der Bezirksmedaille von Friedrichshain-Kreuzberg. […]“

Der Tagesspiegel setzt am 20.8.2013 nach und Sidney Gennies konstruiert einen „Religionsstreit in Kreuzberg“ und konstatiert dazu: „Kirche und CDU fürchten nun auch in Kreuzberg ein Klima der Antireligiosität“, wobei sich das „auch“ auf die DDR bezieht und es wird sich, ohne Datumsangabe, auf einen angeblichen Beschluss (aus dem Jahr 2008) bezogen, dass Weihnachtsmärkte nur noch Winterfeste heißen dürften. Ein derartiger Beschluss existiert nicht.

Sachbezogen dagegen am 21.8.2013 das christliche pro-medienmagazin in dem Anna Lutz feststellt, dass es nicht Aufgabe der Stadt sei, ausschließlich religiös motivierte Aktivitäten auszuzeichnen und grundsätzlich klärt: „Neutralität in Sachen Religion steht dem Staat gut an, auch und gerade in Berlin.“

Weltanschauliche Neutralität des Staates ist zu gewährleisten

In der Sitzung der BVV vom 28.8.2013 setzt jedoch die CDU nach und Timur Husein stellt drei Fragen, die der Stadtrat Dr. Beckers beantwortete (Mitschnitt, 34:30 – 43:07).

Frage 1: Auf welcher Rechtsgrundlage verbietet das Bezirksamt Ramadanfeste und Weihnachtsfeste auf öffentlichen Straßen und Plätzen in Friedrichshain-Kreuzberg?

Antwort Stadtrat: (Nach Verweis auf die Rechtsgrundlagen, inhaltlich:) In Friedrichshain-Kreuzberg gibt es jährlich rund 150 Veranstaltungen auf den öffentlichen Straßen und Plätzen. Das ist eine derartige Überlastung, so dass keine neuen Genehmigungen mehr erteilt werden. Genehmigt werden noch, als Ausnahme von der Regel, Kiezfeste mit Nachbarschaftsbezug. Als die Islamische Föderation für 2007 und 2008 die Genehmigung für ein weitflächiges Fest zum Fastenbrechen beantragte, habe das Bezirksamt mitgeteilt, dass es für derartige größere Veranstaltungen (Dauer: 1 Monat) keinen öffentlichen Raum zur Verfügung stellen könne. Entsprechend der Gleichbehandlung wurden die Anträge auch kleinerer islamischer Verbände ebenfalls abgelehnt. Um generell niemanden zu bevorzugen oder zu benachteiligen und die weltanschauliche Neutralität des Staates zu gewährleisten wurde 2008 vom Bezirksamt entschieden, keinerlei Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen zu genehmigen, die vorrangig der religiösen Selbstdarstellung dienen.

Frage 2: Sieht das Bezirksamt darin keine Verletzung des Art. 4 GG und der religiösen Gefühle von Christen und Muslimen, die ein solches Fest gerne auf öffentlichen Straßen und Plätzen feiern würden?

Antwort Stadtrat: Neben den bereits genanten Gründen ist die Frage, ob die derzeitigen christlichen Weihnachtsmärkte überhaupt noch etwas mit der Religion zu tun haben? Überwiegend sind sie doch dem Kommerz zuzuordnen und bei Nicht-Genehmigung dürften deshalb wohl auch keine religiösen Gefühle verletzt werden. Nach 2008 wurden für ein öffentliches Fastenbrechen der Muslime keine Anträge mehr gestellt. Die Freiheit der Religionsausübung wird durch den Beschluss des Bezirks nicht beeinträchtigt, solange genügend private und andere Flächen dafür genutzt werden können.

Frage 3: Warum ist es in Mitte oder Neukölln möglich, solche Feste auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu feiern aber nicht in Friedrichshain-Kreuzberg?

Antwort Stadtrat: der Bezirk hat die höchste Einwohnerdichte mit den geringsten Grünflächen. Ansonsten siehe Antwort auf Frage 1.
Zudem sei die Umbenennung der Feste auf dem Mehringplatz (Ramadanfest in ein Sommerfest, wie auch der Weihnachtsmarkt in Winterfest) darin begründet, weil man damit verdeutlichen wolle, dass es ein Fest für alle Bürger sei, für religiöse wie nicht-religiöse, eben ein Gemeinschaftsfest des Bezirks und des Quartiersmanagement.

CDU auf dem Kreuzzug?

Diese Erläuterungen eines Beschlusses aus dem Jahr 2008 wurde von dem bereits genannten Gunnar Schupelius in der BZ-Berlin am 30.8.2013 mit der Überschrift versehen: Kreuzberg: Weihnachts- und Ramadan-Verbot.

Die Piratenfraktion nennt am 30.8.2013 die eigentlichen Drahtzieher und fragt: CDU auf dem Kreuzzug? und erklärt dazu: „Wenn den jüngsten Schlagzeilen der Boulevardpresse noch eine weitere folgen soll, müsste sie lauten: „ Wegen Volksverdummung: Kreuzberg verbietet die CDU“.

C.F.