Oberlandesgericht: Grenzen bei Beschneidung

pro-kinderrechte-quadrat300_4.jpg

Logo der Kinderrechtskampagne / Foto © Evelin Frerk

HAMM. (hpd) Bereits am 30. August hat das Oberlandesgericht Hamm in II. Instanz (rechtskräftig) einer Mutter untersagt, ihren sechsjährigen Sohn beschneiden zu lassen. Das OLG hat damit eine vorhergehende Entscheidung des Familiengerichts Dortmund bestätigt. Der Mutter wurde vorläufig die elterliche Befugnis entzogen, in die nichtmedizinisch indizierte Beschneidung des Kindes rechtlich wirksam einzuwilligen.

Diese Befugnis wurde stattdessen dem Jugendamt übertragen.

Die Mutter wollte den Sohn beschneiden lassen, damit er bei Besuchen in Kenia, ihrem Heimatland, von der dortigen Verwandtschaft als "vollwertiger Mann angesehen und geachtet werde." Sie befürwortete die Beschneidung zudem aus hygienischen Gründen. So das OLG Hamm in einer am Mittwoch veröffentlichten Presseerklärung. Hintergrund der Anrufung des Gerichts war ein Streit zwischen den geschiedenen Eltern des Jungen, wobei der Mutter das alleinige Sorgerecht zusteht.

Das OLG Hamm hat in seiner Entscheidung, die auf Grundlage des Gesetzes vom Dezember 2012 ergangen ist, auf folgende Gesichtspunkte abgestellt:

  • Auch bei einem erst sechsjährigen Jungen sind die Eltern und auch der Arzt gesetzlich verpflichtet, mit ihm in einer alters- und entwicklungsgerechten Art und Weise die vorgesehene Beschneidung zu erörtern und dessen Wünsche zu berücksichtigen.
  • Eine von den Sorgeberechtigen erteilte Einwilligung in eine Beschneidung ist nur rechtswirksam, wenn diese selbst zuvor ordnungsgemäß und umfassend aufgeklärt worden seien.
  • Es ist nicht ersichtlich, dass die Intimhygiene des Jungen ohne Beschneidung gefährdet ist.
  • Die Motive der Mutter sind nur von geringem Gewicht, weil der Junge ständig in Deutschland lebt, nur selten Kenia besucht und zudem evangelisch getauft ist.

Das OLG hat geurteilt, dass eine Beschneidung des Jungen, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt, gegen das Kindeswohl verstößt, und es hat richtigerweise das Jugendamt eingeschaltet, das nun gutachterlich die evtl. Folgen der Beschneidung in psychischer Hinsicht überprüfen lassen wird.

Erfreulich an dieser Entscheidung ist, dass gerichtlich die Grenzen der elterlichen Einwilligungsbefugnis bei Knabenbeschneidungen deutlich markiert und eng gezogen worden sind. Umfassende Aufklärung von Eltern und Kind wird in jedem Fall verlangt, wobei der Wille des Jungen (auch schon im Alter von 6 Jahren) von erheblicher Bedeutung ist. Das Gericht verlangt eindeutig, dass (auch) der Arzt diesen Willen ermitteln und zuvor den Jungen aufklären muss. Und Gesichtspunkte der Intimhygiene (ohne eine medizinische Indikation) sind völlig unbeachtlich als rechtlich zu respektierendes Motiv des Elternwunsches auf Beschneidung ihres Sohnes.

Auch bei Geltung des im Dezember 2012 von der Mehrheit des Bundestages beschlossenen Paragraphen 1631d BGB, den das OLG berücksichtigen musste, sind Jungen nicht völlig rechtlos gegenüber den Wünschen ihrer Eltern. Einer uferlosen Ausweitung von Knabenbeschneidungen tritt das OLG deutlich entgegen. Besonders wichtig ist dem OLG die Aufklärung des Jungen und die Bildung seines Willens. Hier werden weitere Klärungen erforderlich sein, es ließe sich daran denken, in jedem Fall eine Kontrolle über das Jugendamt vorzunehmen.

Jedenfalls, so lässt sich das Urteil deuten, genießen minderjährige männliche Kinder diesen Schutz der Rechtsordnung der Bundesrepublik, sofern sie nicht in muslimischen und jüdischen Familien leben.

Die Wehrlosesten sind die Rechtlosesten

Der Beschluss des OLG Hamm lenkt allerdings auch den Blick auf diese beiden Communities: Wie wird hier mit den Wünschen des betroffenen Jungen umgegangen? Wer klärt ihn in welcher Weise auf über die Bedeutung und die Risiken der Vorhautentfernung? Welche Möglichkeiten hat der junge Muslim oder Jude, einen eigenen von den Vorgaben der Eltern und des sozialen Umfeldes nicht rigoros dominierten Willen zu entwickeln? Und wer kontrolliert die Beachtung eines eigenen Willens des Minderjährigen? Oder anders: wer hilft ihm, wenn er nicht beschnitten werden will?

Und: dass von all den Überlegungen, die das OLG angestellt hat, Kleinstkinder unter sechs Monaten nicht tangiert werden, ist Entscheidung der Mehrheit des Bundestags gewesen. Die Wehrlosesten sind die Rechtlosesten. Traurig, aber wahr in Mitteleuropa im 21. Jahrhundert.

Walter Otte