Winfried Kretschmann und der Laizismus

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Foto: Bündnis 90/Die Grünen NRW (CC-BY-SA-2.0)

BERLIN. (hpd) Der hpd hat bereits ausführlich über die jüngsten öffentlichen Stellungnahmen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten berichtet. Einer der Sprecher des "Bundesweiten Arbeitskreises Säkularer Grüner" kommentiert die Aussagen des ebenfalls Grünen Winfried Kretschmann.

In der vorletzten Woche hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine Positionen zum "Religionsverfassungsrecht" bekräftigt: Anstelle einer Trennung von Religion und Staat will er eine "neue Ausbalancierung" herbeiführen, wobei er auch eine Stärkung der Religionen/Religionsgemeinschaften fordert. Er nimmt die nachlassende Ausstrahlung und Wirkung des Religiösen in Deutschland zur Kenntnis, will sich damit aber nicht arrangieren, sondern versuchen, mit staatlichen Mitteln entgegenzusteuern. Die Gesellschaft brauche sinnstiftende Gemeinschaften – und die sieht Kretschmann ausschließlich bei den Religionsgemeinschaften verortet. Allenfalls kleinere Korrekturen am "Religionsverfassungsrecht" schweben ihm vor.

Mit der Kooperationstagung des baden-württembergischen Staatsministeriums mit der (katholischen) Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart am 19.10.2013 hat Winfried Kretschmann bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr seine religionspolitischen Vorstellungen in die Öffentlichkeit vermittelt. Bereits im Juni hatte er gemeinsam mit Sven Giegold (grüner Europaabgeordneter) Thesen zur Religionspolitik in Stuttgart vorgestellt. Sowohl die damalige als auch die jetzige Veranstaltung zeichneten sich durch Einseitigkeit bei den ReferentInnen aus – fast ausnahmslos aus dem religiösen Bereich, wenn auch in Teilaspekten kritisch; der auf die Kooperationstagung geladene Philosoph Michael Schmidt-Salomon (gbs) hatte wohl eher eine Alibifunktion. Von einem Dialogangebot seitens Winfried Kretschmann an Religiöse, Humanisten und Religionsfreie gleichermaßen kann keine Rede sein.

So sieht sich der baden-württembergische Ministerpräsident, wie im Zitat: "Wenn ich nicht aufpasse, fasst meine Partei immer laizistische Beschlüsse" erwähnt, offenbar vor allem als Bremser gegenüber säkularen Forderungen, polemisch von ihm als "laizistisch" eingeordnet, und als Verteidiger religiösen Besitzstandes nicht nur, aber insbesondere der christlichen Großkirchen. Die Ansichten von Winfried Kretschmann entsprechen nicht der Mehrheitsmeinung innerhalb von B90/Die Grünen – wie er selber durchaus einräumt.

B90/Die Grünen haben sich, wie auch ein Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz vom 20.10.2013 zeigt, ein ehrgeiziges Projekt für die nächste Zeit vorgenommen: eine grundsätzliche Debatte des Verhältnisses von Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat. Die Diskussion soll in der gesamten Partei geführt und durch eine Kommission des Bundesvorstandes vorbereitet werden. Diese Kommission wird noch im Jahr 2013 ihre Arbeit aufnehmen.

Einen "Aufpasser" wird es dort nicht brauchen – wohl aber umfassende Erörterungen dessen, was religionspolitisch in Deutschland im 21. Jahrhundert notwendig ist. Auch die Thesen von Winfried Kretschmann und Sven Giegold sind legitime Positionen innerhalb von B90/Die Grünen, die erörtert werden sollen. Vorfestlegungen für die Debatte aber gibt es keine – auch nicht, wenn vor deren Eröffnung medienwirksam Veranstaltungen durchgeführt worden sind und mit Hilfe des baden-württembergischen Staatsministeriums der Anschein eines besonderen Gewichts in der innerparteilichen Debatte erweckt werden sollte.

Walter Otte