Die Schattenseiten des Martin Luther

(hpd) Der ehemalige Professor für Wirtschafts- und Zivilrecht Bernd Rebe legt in seinem Buch "Die geschönte Reformation. Warum Martin Luther uns kein Vorbild mehr sein kann" zwei Aufsätze vor, welche sich mit der Legitimationskrise der Religionen und der Schattenseite des Martin Luther beschäftigen.

 

Auch wenn die beiden Texte den Kennern der Materie kaum etwas neue bringen, verdient der Band vor dem Hintergrund des doch sehr weit verbreiteten positiven und unkritischen Bildes von Luther besondere Aufmerksamkeit.

Bereits jetzt laufen die Vorbereitungen für das "Lutherjahr 2017", jährt sich dann doch der - historisch allerdings mehr als nur umstrittene - Thesenanschlag zum fünfhundertsten Mal. Allgemein wird das Bild des Reformators auch von den meisten Nicht-Protestanten eher positiv gesehen, zumindest finden kritische Einwände zu seinem Denken und Wirken nur geringe öffentliche Aufmerksamkeit.

Dieser affirmativen Perspektive will Bernd Rebe, ehemaliger Professor für Wirtschafts- und Zivilrecht, mit seinem Buch "Die geschönte Reformation. Warum Martin Luther uns kein Vorbild mehr sein kann. Ein Beitrag zur Lutherdekade" eine kritische Sicht entgegen stellen.

Indessen muss bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich nur gut die Hälfte des schmalen Werkes mit knapp über hundert Seiten eben mit dieser titelgebenden Thematik beschäftigt. Das Buch besteht im Grunde genommen nur aus dem Nachdruck zweier früherer Aufsätze in der Zeitschrift "Merkur", die vom Autor um diverse Aspekte ergänzt und erweitert wurden.

Zunächst geht es um die Frage "Was dürfen wir glauben?", wobei Rebe die Krisen und Umbrüche der Religionen thematisiert. Hierbei fragt er zunächst nach den Ursachen für die sinkende Bedeutung: Lebensweltliche Faktoren wie die Dynamik der materiellen Wohstandsorientierungen, ideenpolitische Einwände gegen wirklichkeitsfremde Legenden und Mythen sowie die Folgen der wissenschaftlichen Aufklärung über Gesellschaft und Natur gelten ihm als die wichtigsten Gründe. Gleichzeitig sei aber ein Anstieg von Fundamentalismen auszumachen. Als zentrale These seiner Auffassungen formuliert der Autor dann mit einem Plädoyer für einen wirklichkeitsverbundenen Glauben: "Beides, der Bedeutungszuwachs des Religiösen und sein Bedeutungsverlust, sind Ausdruck derselben Malaise, nämlich dem Fehlen einer wirklichkeitsverbunden Glaubens, der den Menschen Halt und Orientierung geben und ihnen nachvollziehbare Hinweise auf die Beantwortung der Fragen geben kann, die für sie in ihrem Leben und Erleben wirklich wichtig sind" (S. 20).

Der zweite Beitrag beschäftigt sich geht dann dezidiert mit Luther und dem positiven und unkritischen Bild von ihm. Rebe will insbesondere dessen dunkle Seiten betonen. Dabei geht es um Antijudaismus, Glaubensenge, Hexenwahn, Sündenauffassung und Teufelsangst bei dem Reformator. Insbesondere der Hass auf die Juden findet große Aufmerksamkeit, wobei Rebe deutlich macht: "Luther war sein Leben lang Judengegner. Allerdings hat sich die Intensität dieser Gegnerschaft mit zunehmendem Alter zu zerstörerischer Feindschaft gesteigert und er hat parallel hierzu zunehmend rabiatere Methoden zur Eliminierung 'der Juden' vorgeschlagen" (S. 72).

Während des "Dritten Reichs" griffen nicht nur hochrangige Repräsentanten der Evangelischen Kirche diesen ausgeprägten Antisemitismus positiv auf. Nach 1945 versuchten sich viele Theologen in der Relativierung und Verharmlosung. Gegen Ende des Textes vollzieht Rebe dann einen thematischen Sprung und plädiert thesenartig als Alternative zum Christentum für den Pantheismus.

Beide Abhandlungen bringen den Kennern der Materie nicht unbedingt neue Erkenntnisse. Gleichwohl legt Rebe interessante und systematische Reflexionen zur Entwicklung der Religionen im Allgemeinen wie zum Wirken des Reformators im Besonderen vor. Gerade angesichts des unkritischen Lutherbildes in der öffentlichen Wahrnehmung verdient wohl jede kritische Stimme besondere Aufmerksamkeit. Hier kann sogar noch angemerkt werden, dass Rebe andere Schattenseiten des Reformators gar nicht benannte. Dazu gehört etwa seine Positionierung im Konflikt zwischen Bauern und Fürsten auf der Seite von Letztgenannten, verbunden mit den Tötungsaufrufen gegen die protestierenden Unterdrückten. Auch Luthers Forderung, sich im weltlichen Raum der Obrigkeit kritiklos zu unterwerfen, hätte noch thematisiert werden können. Unabhängig davon verdient der kleine Band aber Interesse, auch und gerade hinsichtlich der Skizzierung eines Alternativmodells im Sinne eines Pantheismus, dessen humanistische Grundlagen in der Goethe-Zeit entwickelt wurden.

 

 


Bernd Rebe, Die geschönte Reformation. Warum Martin Luther uns kein Vorbild mehr sein kann. Ein Beitrag zur Lutherdekade, Marburg 2012 (Tectum-Verlag), 108 S., 19,90 €