Shitstorm wegen Tötung eines Giraffenjungen

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Foto: © Archiv GAP

TRAIN-St.JOHANN. (hpd) Am Sonntag, 9. Februar 2014, wurde im Zoo Kopenhagen eine 18 Monate alte Giraffe per Bolzenschuß in den Kopf getötet, da sie als “nicht reinrassig” bzw. “nicht ins Zuchtprogramm des Zoos passend” kategorisiert wurde. Die Tötung, so der Direktor des Zoos, solle gewährleisten, “dass wir auch in Zukunft eine gesunde Giraffenpopulation in Europas Zoos haben werden”.

 

In den sozialen Netzwerken erhob sich ein “Shitstorm” gegen den Zoo, wie ihn Dänemark noch nicht erlebt hatte. Zigtausende von Twitter- und Facebook-Usern verurteilten die Tötung des Jungtieres, Direktor Bengt Holst erhielt, eigenen Angaben zufolge, tausende von SMS und eMails, in denen er auf‘s Wüsteste beschimpft wurde. Eine eigens eingerichtete Facebook-Seite “Close Copenhagen Zoo” hatte nach wenigen Stunden bereits 20.000 Fans.

Schon in den Tagen bevor der finale Bolzenschuß gesetzt wurde, hatte es im Netz eine Welle der Sympathie für den jungen Giraffenbullen gegeben: In kürzester Zeit hatten fast 30.000 Menschen rund um den Globus eine Petition unterzeichnet, ihn am Leben zu lassen und gegebenenfalls an einen anderen Zoo oder Safaripark abzutreten; zugleich wurde die Frage aufgeworfen, weshalb man das völlig gesunde Tier nicht einfach sterilisieren würde, wenn es denn “für Zuchtzwecke unbrauchbar” sei; und natürlich die Frage, weshalb man seine Eltern überhaupt “verpaart” hatte, wenn ein einfacher Blick in das “Zuchtbuch” genügt hätte, um zu sehen, dass mit dem zu gewärtigenden Nachwuchs gemäß zoointerner Richtlinien nicht “weitergezüchtet” werden könne?

Entgegen der Behauptung des Zoos, es habe keine Möglichkeit gegeben, den jungen Giraffenbullen in einen anderen Zoo zu verbringen, meldete der Zoo von Frösö im schwedischen Östersund, er sei durchaus bereit gewesen, das Tier zu übernehmen; auch der Yorkshire Wildlife Park in England und andere Zoos hatten sich angeboten. Eine Privatperson bot dem Zoo sogar 50.000 Euro, sollte das Jungtier am Leben bleiben dürfen.

Ungeachtet aller Proteste, Petitionen und Angebote entschied sich der Zoo für die Tötung der Giraffe, die am Sonntagvormittag demonstrativ, sprich inmitten der zufällig anwesenden Zoobesucher, vollzogen wurde. Medienberichten zufolge wurde MARIUS, so hieß der junge Giraffenbulle, mit einem Stück Brot aus seiner Herde herangelockt: während er sich herabbeugte, um das Brot aufzunehmen, wurde ihm von einem Zooangestellten ein tödlicher Bolzen in den Kopf geschossen. Das zusammengebrochene Tier wurde an Ort und Stelle aufgeschnitten, ausgeweidet und in Einzelteile zerlegt. Den unmittelbar dabeistehenden Zuschauern, darunter zahlreiche Kinder im Alter von drei bis vier Jahren, lief, wie im Internet veröffentlichte Bilder zeigen, buchstäblich das Blut über die Schuhe. Einer der hauseigenen Metzger, ausgestattet mit einem Ansteckmikrophon, erläuterte dem Publikum die jeweils entnommenen Organe und Körperteile. Nachdem der Giraffenkörper in dreistündiger Prozedur zerlegt war, wurden die Einzelteile von Helfern weggeschleift; einige der Teile wurden direkt in ein benachbartes Löwengehege geworfen, wo sie von den Großkatzen verzehrt wurden. Wie der Zoo verlautbarte, sei die Giraffe bewußt per Bolzenschuß und nicht per Giftinjektion getötet worden, um sie für eine anschließende Verfütterung an die Raubkatzen nicht unbrauchbar zu machen.

Zoodirektor Holst betonte den besonderen pädagogischen Wert der Tötungsaktion: er sei “stolz” darauf, dass die Kinder, die die Schlachtung aus nächster Nähe hätten beobachten dürfen, einen “großen Einblick in die Anatomie einer Giraffe” bekommen hätten. Gerade die öffentliche Zerlegung des Tieres habe dazu beigetragen, dass die Zoobesucher ihr Wissen über Tiere, aber auch ihr “Wissen über Leben und Tod” hätten erweitern könnten. Beigepflichtet wurde ihm vom Direktor des Nürnberger Tiergartens, Dag Encke, der über dpa kundtat, eine Giraffe zu schlachten sei im Grunde nichts anderes als ein Schwein zu keulen: “Wir Zoos sind auch da, um den Menschen zu zeigen, das ist etwas ganz Natürliches.”

“Damit, dass die Proteste so weite Kreise ziehen”, so der Pressesprecher des Kopenhagener Zoos, “haben wir nicht gerechnet. Schließlich machen wir so etwas 20 bis 30 Mal im Jahr.” Gazellen, Nilpferde, Leoparden, Braunbären würden aus den gleichen Gründen getötet wie nun der Giraffenbulle: “Es ist ein Standardverfahren in vielen europäischen Zoos”.

Populationsmanagement

In deutschen Zoos dürfen grundsätzlich keine Tiere getötet werden, mit Ausnahme eigens gezüchteter “Futtertiere” (Mäuse, Hamster, Kaninchen, Schafe, Ziegen etc., auch bestimmte Vögel). Die zahllosen Jungtiere, die alljährlich aus Gründen der Umsatzsteigerung nachgezüchtet werden – Tierbabies sind einer der wesentlichen Attraktionsfaktoren der Zoos – müssen, wenn kein ausreichender Platz für sie vorhanden ist, anderweitig entsorgt werden: sie werden zu Ramschpreisen an Tierhändler veräußert, die sie an Labore, Zirkusse, Restaurants, Metzger, auch an Jagdfarmen (canned hunting) in Südafrika weiterverhökern.

Der Verband Deutscher Zoodirektoren spricht sich für eine rechtliche Befugnis der Zoos aus, “überzählige” Tiere nach Bedarf und Gutdünken selbst töten zu dürfen. Da gemäß § 17 Nr 1 TierSchG das Töten von Tieren nur bei Vorliegen eines “vernünftigen Grundes” erlaubt ist, plädiert der VDZ dafür, die Notwendigkeit von “Bestandsregulierung” - in betriebswirtschaftlicher Terminologie auch “Populationsmanagement” genannt - als ebensolchen Grund für die Tötung von Zootieren nach § 42 Abs.8 Satz 3 BNatSchG anzuerkennen. Der oben erwähnte Nürnberger Zoodirektor Encke schreibt dazu: “Im Sinne einer artgemäßen Haltung der Tiere ist die Bereitschaft zur Tötung überzähliger Tiere ein den natürlichen Verhältnissen entsprechender, verantwortungsvoller und damit ethisch-moralisch einwandfreier Weg”.

Getötete Tiere, so der VDZ, sollen “wenn immer möglich in den zoointernen Nahrungskreislauf” eingebracht, sprich an andere Tiere verfüttert werden dürfen (was die Tötung gewissermaßen doppelt rechtfertigen würde, da das Töten von “Futtertieren” nach dem TierSchG erlaubt ist): “Das wird in vielen europäischen Ländern so gehandhabt und ist dort gesellschaftlich akzeptiert.”

Ganz im Sinne des VDZ, gleichwohl nach geltendem Recht illegal, entledigte sich im Jahr 2008 der Zoo Magdeburg dreier “unbrauchbarer” Sibirischer Tiger. Die drei Tiere - Angehörige einer akut vom Aussterben bedrohten Art - wurden getötet, da sie nicht die “genetische Variabilität einer Unterart” aufwiesen, sprich: nicht “reinrassig” und damit zuchtuntauglich waren. (Der zuständige Zoodirektor sowie drei seiner Mitarbeiter, darunter der angestellte Zootierarzt, wurden in der Folge auf Grundlage von § 17 Nr 1 TierSchG rechtskräftig verurteilt, da es bei der Tötung der Tiger an einem “vernünftigen Grund” gefehlt habe; diese sei, so das Landgericht Magdeburg, bestätigt vom OLG Naumburg, weder erforderlich noch angemessen gewesen. Der Verband Deutscher Zoodirektoren nahm das Urteil “mit Befremden” zur Kenntnis und verwies darauf, dass der Weltzooverband WAZA sich “eindeutig hinter das Vorgehen des Magdeburger Zoos” gestellt habe.

Wie das “Befremden” des VDZ über das Gerichtsurteil in Einklang zu bringen ist mit der Forderung an jedes Verbandsmitglied, also auch an den Magdeburger Zoo, sich strikt an geltendes Recht zu halten, bleibt unerfindlich. Ob die Tötung des 18 Monate alten Giraffenbullen MARIUS im Zoo von Kopenhagen nach dänischem Recht statthaft war, bedarf noch der Klärung. (Interessanterweise fand just an dem Wochenende, an dem MARIUS öffentlich geschlachtet wurde, in Dresden die alljährliche Konferenz der Zoobetreiber “ZooKunft 2014” statt, auf der eine “klarere Auslegung” des TierSchG gefordert wurde mit Blick darauf, was als “vernünftiger Tötungsgrund” für Zootiere zu gelten habe.)

Es versteht sich, dass in den europäischen Zoos jährlich zigtausende Tiere getötet werden, nach denen, sofern es sich nicht um publikumsattraktive und insofern individuell bekannte Großsäuger handelt, in aller Regel “kein Hahn kräht”. Einen Zoo, so Tierhändler Harald Brinkop in unverblümter Offenheit, könne man mit Fug und Recht als “modernen Schlachthof” bezeichnen.