Herr Sarrazin fühlt sich verfolgt

sarrazin_bei_der_fpoe.jpg

Herr Sarrazin zu Gast bei der FPÖ, Foto: VIPevent/Flickr (CC BY-SA 2.0)

WIEN. (hpd) Alle sind sie hinter ihm her. Alle grenzen sie ihn aus und schweigen ihn tot. Meint Thilo Sarrazin. Aus diesem diffusen Gefühl hat er ein Buch gemacht (siehe Rezension) und er posaunt es weitgehend unwidersprochen in Talkshows und Interviews hinaus. Christoph Baumgarten wagt einen persönlichen Blick in die Untiefen des Sarrazinschen Geistes.

 

Thilo Sarrazin hetzt sich von Talkshow zu Podiumsdiskussion zu Talkshow, hat einen Interviewtermin nach dem anderen, Tageszeitungen wie die FAZ widmen ihm ihre Titelseiten, Spiegel Online mehrere Kolumnen.

Nebenbei hat sein erstes Buch die Schwelle von 1,5 Millionen verkauften Exemplaren überschritten und ist der erfolgreichste politische Titel im deutschsprachigen Raum nach “Mein Kampf”. Sein neuestes Werk über den angeblichen Tugendterror hat eine Startauflage von 100.000 Stück.

So totgeschwiegen, ausgegrenzt, tugendterrorisiert und den Mund verboten bekommen wie der Mann möchte ich einmal werden. Er hat mein vollstes Mitgefühl.

Die Parolen der zu Recht zu kurz gekommenen

Sarkasmus beiseite, fragt man sich, woher Sarrazin die Chuzpe nimmt, von Tugendterror und Sprachverboten zu faseln. Er darf seit Jahren öffentlich nach Lust und Laune Leute anpöbeln, die sich nicht wehren können, in Stammtischparolen, die haarscharf an der Bezeichnung Gossenjargon vorbeischrammen. Dass er jetzt öffentlich sein Selbstmitleid zum Maßstab der Welt erklärt, wäre traurig, wenn es nicht so lächerlich wäre.

Der Mann presst in seiner Geldgier die Parolen aller zu Recht zu kurz Gekommenen zwischen zwei Buchdeckel und hofft - leider zu Recht – , noch einmal groß Kasse zu machen. Wenn jemand was dagegen sagt, sieht sich dieser Ritter der traurigen Gestalt in seiner Meinungsfreiheit bedroht. Selbige steht vermutlich nur ihm zu.

Ein Mysterium der Menschheit

Wie Sarrazin auf die Idee kommen kann, in Deutschland gebe es ein linkes Meinungskartell, fällt unter die Kategorie “Die großen Mysterien der Menschheit”. Die einzigen halbwegs linken Medien in der BRD mit etwas Einfluss auf den öffentlichen Diskurs sind die taz und die Zeit. Der (hervorragend gemachte) Freitag spielt schon in der zweiten Reihe. Sorry, Jakob Augstein, so ehrlich muss man sein. Ich hoffe ja auch, dass sich das ändert.

Alle anderen Qualitätsmedien wie Süddeutsche, FAZ und Spiegel sind aufgeklärt bürgerlich, allenfalls liberal, und keinesfalls links. Die öffentlich-rechtlichen Sender dito. Die BILD (nicht nur Qualitätsmedien haben Einfluss) kann nur ein Geisteskranker in ein “linkes Meinungskartell” einordnen.

Grob gesagt geht im Diskurs Deutschlands die Logik der schwäbischen Hausfrau vor ökonomischem Sachverstand. Was das mit “links” zu tun haben soll, kann man nicht einmal mehr erahnen.

Das eigene Scheitern weglügen

Sarrazin muss entweder unter kognitiver Dissonanz in einem Ausmaß leiden, dessen Offensichtlichkeit jede zuständige Behörde in Deutschland von Amts wegen zur Einleitung eines Besachwaltungsverfahrens verpflichten würde, oder er abonniert nur die Junge Welt und das Neue Deutschland, in der festen Überzeugung, das seien die beiden einzigen zugelassenen Medien des Landes.

Möglichkeit Nummer drei: Der alte Herr lügt sich die Welt zurecht, um guten Gewissens allen anderen die Schuld an seinem eigenen Scheitern zu geben – und am Untergang einer Welt, die Vertreter des kleinbürgerlichen Mittelmaßes wie ihn in Machtpositionen gespült hat, für die sie auch nicht die geringste Kompetenz hatten, solange sie nur gut genug politisch vernetzt waren.

Wie landete Sarrazin eigentlich in der SPD?

Der Mann hat seine Karriere einzig und allein der SPD zu verdanken, die ihn – wohl aus Personalmangel – in Positionen gehievt hat, in denen er bei Lichte betrachtet nicht das Geringste verloren hatte. Auch der einzige Grund für ihn, dieser Partei beizutreten. Ihre Grundsatzpositionen hat er nie geteilt. Sie war für den Kleinbürger Sarrazin nur das einzige Ticket nach oben. (Der Bedarf der CDU an mittelmäßigen Volkswirten war vermutlich schon gedeckt.) Ein Opportunist, wie er im Buche steht. Charakter- und ideenlos.

Einzig nennenswerte Leistung: Ostdeutsche Wirtschaft mitruiniert

Die einzig nennenswerte Leistung im Leben des Thilo Sarrazin war es, als Mitverantwortlicher im Bundesfinanzministerium für die Währungsunion nach der Wende in der DDR die funktionierenden Teile der ostdeutschen Wirtschaft so schnell wie möglich zu ruinieren.

Angesichts seiner ausgesprochenen ökonomischen Inkompetenz wundert es beinahe, dass er nicht noch mehr angerichtet hat.

Ökonomischer Unfug zum Quadrat

So analysiert Sarrazin in seiner “Abschaffung” das Wachstum der deutschen Wirtschaft. Er kommt zum Schluss, das Volkseinkommen pro Kopf der gesamtdeutschen Wirtschaft habe 2009 den Stand der westdeutschen Wirtschaft von 1990 wieder erreicht.

Er hat auch noch die Chuzpe zu schreiben: “In den letzten zwei Jahrzehnten hat Ostdeutschland im wiedervereinigten Deutschland stark aufgeholt.” Mathematisch nicht unrichtig. Nur, warum zum Teufel musste die ostdeutsche Wirtschaft so stark aufholen? Könnte das daran liegen, dass die Einführung der D-Mark zu Massenkonkursen im Osten geführt hat? Und wer war saß in den verantwortlichen Gremien?

Nobel breitet Sarrazin den Mantel des Schweigens über die Sache. Lieber suggeriert er, dass die Deutschen nicht reicher seien, läge daran, dass sie zu wenig arbeiten würden.

Diese Interpretation würde jedem Erstsemestrigen der Volkswirtschaft die Schamesröte ins Gesicht treiben. Sarrazin macht seine Interpretation der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands zur Prämisse seiner “Abschaffung”. Was das über die Dinge aussagt, die er daraus ableitet, kann man sich vorstellen. Dass er sich in diesem Machwerk offensichtlich zu einer geistigen Elite zählt, ist ein Treppenwitz der Geschichte.

Ein Verbrechen am An- und Verstand

Spätestens danach konnte niemand von auch nur durchschnittlichem Verstand diesen Menschen mehr ernst nehmen. Das hat nur ihn überrascht und offenbar gekränkt. Der Herr kann offenbar besser austeilen als einstecken.

Dass er daraus ein neues Buch macht und sich zum Opfer dunkler Machenschaften stilisiert und nicht des eigenen – wenn auch vorhersehbaren – intellektuellen Versagens, dass er seine Wehleidigkeit in Stammtischparolen kleidet, die er noch für Produkte seines eigenen Geistes hält, das ist ein Verbrechen am An- und Verstand.

Der Sozialschmarotzer auf hohem Niveau

Um es in den Stammtischparolen zu sagen, derer er sich befleißigt: Thilo Sarrazin ist ein geistiger Minderleister und war Zeit seines Lebens Sozialschmarotzer auf hohem Niveau, ein Parteibonze, wie er im Buche steht und hält das alles für seine eigene Leistung. Er ist eine lächerliche und widerliche Figur, die allen, die nicht seiner Meinung sind, den Mund verbieten will.

Das wird man doch noch sagen dürfen.

 

Christoph Baumgarten