"Dein Licht, wer kann es rauben?"

(hpd) Dieses Buch war überfällig: ein leicht lesbares, unterschiedliche Wissensgebiete vereinendes, aufklärerisches Grundlagenwerk mit positiver Botschaft und starkem Begeisterungspotenzial für religionsfreie Menschen.

 

Der Autor ist in der säkularen Szene kein Unbekannter. Er hat seit Jahren von sich reden gemacht als Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung, durch Aufsätze, Bücher, künstlerische Einlagen, Auftritte auf Tagungen, in Rundfunk und Fernsehen. Dabei hat er oftmals polarisiert, provoziert, auch polemisiert. So zumindest erschien es jenen braven Angehörigen des Bildungsbürgertums, die entweder selbst vom Glauben nicht lassen mögen oder die um des lieben Friedens willen Klartext vermeiden, weil andere beleidigt sein könnten.

Das vorliegende Buch schlägt neue Töne an. Es polemisiert nicht, es versöhnt. Es provoziert nicht, es macht Hoffnung. Es beschimpft nicht die Weltsichten anderer, sondern schärft die eigene. Der Autor hat dabei nicht seinen Standpunkt verloren, und er umarmt nicht jeden. Aber seine Bewertungen sind ausgewogener geworden, der Blickwinkel weiter, der Anspruch tiefer, mit einem Wort: Ein Anflug von Weisheit wird spürbar.

Im Mittelpunkt des Buches steht der Mensch. Was als “conditio humana” die Schriften der Gelehrten seit Jahrhunderten durchdringt, wird hier schnörkellos aufbereitet für Leser, denen es um die Sache selbst und nicht um ihre akademische Verpackung geht. Buchumschlag und Kapitelanfänge sind durch kleine Wolken verziert. Man lasse sich davon nicht täuschen: Weder die Gedankenführung noch die Formulierungen dieses Buches sind wolkig, sondern im Gegenteil klar und luzide.

Im ersten Kapitel werden die empörenden Rahmenbedingungen und die vielfach empfundene Absurdität der menschlichen Existenz schonungslos vorgeführt. Nicht nur Schopenhauer, Nietzsche, Camus und Sartre, der Skandal des Todes und die Ungerechtigkeit der Natur sind Thema, sondern auch der “humane Kern der Religion” (S. 38), die durch Bereitstellung eines überindividuellen Sinnangebots vor der Erfahrung des Absurden schützt – wenn auch auf illusionärer Grundlage.

Kapitel 2 skizziert ein biologisch informiertes Menschenbild, das den umstrittenen Topos des “nackten Affen” produktiv aufgreift, um die kulturelle Entwicklung des Menschen durch soziale Weitergabe von Lernerfahrungen naturalistisch zu verankern. Der Humanismus in der Antike (Cicero) und seit der Renaissance, sowie in neuer Form bei Julian Huxley wird geschildert – und dabei besonders die menschliche Entwicklungsfähigkeit in Abgrenzung zu starren Weltanschauungen betont.

Kapitel 3 zeichnet den Wandel des physikalischen Weltbildes bis hin zu kosmologischen Hypothesen der Gegenwart nach und gibt einen soliden Überblick über die wesentlichen Erkenntnisse verschiedener Teilbereiche der Biologie. Außerdem wird das schwer zu beschreibende Verhältnis von Geist und Materie diskutiert, wobei der Autor neben dem Emergenzbegriff auch das angreifbare Konzept der “abwärtsgerichteten Verursachung” zwischen verschiedenen Systemebenen bemüht (S. 154–156).

Kapitel 4 ruft die atemberaubende Entwicklung der technischen Möglichkeiten in Erinnerung, etwa im Bereich der Informationsübertragung und -verarbeitung, aber auch der Medizin. Die vielen historischen Einzelfakten und Namen fügen sich mit etwas Abstand zu einem imposanten Bild der menschlichen Leistungsfähigkeit – ein vom Autor sicherlich beabsichtigter Effekt. Gleiches gilt für die Vielfalt der Kunst, der das nachfolgende Kapitel 5 gewidmet ist.

Zwar wird die evolutionäre Erklärung menschlichen Kunstschaffens durch sexuelle Selektion, erweiterte Phänotypen, teure Signale und soziale Kommunikation nicht jeden Kulturtheoretiker ansprechen, aber solch ein naturalistischer Perspektivwechsel vermag ästhetischen Diskursen dennoch neuen Schwung zu geben. Ein 20-seitiger musikgeschichtlicher Überblick zeichnet beispielhaft die Fülle künstlerischer Leistungen nach. Dass bei über 50 namentlich genannten klassischen Komponisten kein Platz für Mendelssohn[1] war, darf als punktuelles Ärgernis gewertet werden.

Kapitel 6 ist der Ethik gewidmet und erläutert eindrucksvoll die menschliche Fähigkeit zur Empathie. Als zentrales ethisches Problem wird die gegenseitige Ausgrenzung durch jeweils festgefügte Gruppen identifiziert. Folglich stellt die Erweiterung des “Kreises der Empathie” einen emanzipatorischen Fortschritt und eine vorrangige Kulturaufgabe dar, die ausführlich geschildert wird.

Kapitel 7 fasst zehn wichtige Menschheitsprobleme zusammen, skizziert jedoch auch “Wege aus der Krise”: 1. Wirtschafts- und finanzpolitische Reformen, die u.a. im ursprünglich(!) neoliberalen Sinne den Ordnungsrahmen für das Marktgeschehen einfordern (S. 288f.), 2. intelligentere Technologien, insbesondere zur Umsetzung des “Cradle to cradle”-Prinzips (S. 290ff.), sowie 3. eine transkulturelle, humanistische Perspektive, die eine kooperative “Globalökonomie” (S. 297) und die universelle Geltung der Menschenrechte ermöglicht.

Der Mensch als “Retter der Artenvielfalt”, als “Immunabwehr” des Planeten Erde (S. 308), das ist der weitgespannte Horizont, in dem sich das Handeln der Zukunft vollziehen soll. Hier, in Kapitel 8, entsteht das Bild einer verantwortungsbewussten Menschheit, die nicht auf wohlfeile Appelle, sondern auf technische Lösungen setzt, ohne falsche Berührungsängste gegenüber Gentechnik, Nanotechnik und Robotik, aber auch ohne den übertriebenen Versprechungen mancher US-amerikanischer Transhumanisten in naiver Weise zu erliegen.

Eine letzte Reflexion auf das Erbe der Religion, auf seine längst im Gang befindliche “Konversion zur Menschlichkeit” (S. 329), auf die existenzielle Herausforderung, dem eigenen Leben Bedeutung zuzuschreiben, beschließt und überhöht diesen kühnen Ritt durch die gewaltige Landschaft des menschlichen Wissens und Wollens. 25 Seiten Anmerkungen verleihen dem Buch eine nützliche Anbindung an die einschlägige wissenschaftliche und populäre Literatur. Trotzdem wird es Kritiker geben, die vieles besser wissen. Sie sollen es besser machen.

Schmidt-Salomon sieht sein jüngstes Werk als Abschluss einer viersätzigen Sinfonie, die das “Manifest des evolutionären Humanismus” (2005, 2. Aufl. 2006), das Buch “Jenseits von Gut und Böse” (2009) und die Streitschrift “Keine Macht den Doofen” (2012) umfasst. Das Vorwort von “Hoffnung Mensch” ruft zum Abschied vom Zynismus auf. Der Ruf tönt hell. Sein Widerhall bleibt abzuwarten.

Am Ende steht ein persönliches Bekenntnis zur Zukunft unserer Art (“Ich glaube an den Menschen”), ein hübsches Beispiel säkularer Spiritualität. Hier wird keine Hilfe “von oben” versprochen, und doch regiert die Hoffnung über den Verdruss. Das letzte Wort des Buches, und damit auch der viersätzigen Buchsinfonie, erscheint jedoch gewagt, wenn nicht misslungen. Es lautet “Amen” und steht in Klammern und mit Fußnote. Als religiöse Bekräftigungsformel vertraut, bannt es (sonst) den Zweifel. Hat den Autor hier sein Stilgefühl verlassen? “Amen” verträgt keine Klammern. Die Fußnote soll retten, was nicht zu retten ist. Gewiss hätten sich andere Lösungen finden lassen. In einem selbstbewussten “So soll es sein” hätte jeder ohne Peinlichkeit die metaphysikfreie Alternative zum “Amen” erkannt. Doch letztlich bleibt das eine Kleinigkeit. Den Wert des Buches kann es nicht schmälern. Eher wird es dazu beitragen, dass man über seinen Inhalt redet. Und das ist gut – denn die Aufklärung wird weitergehen, sie muss weitergehen, neuen Zielen entgegen, die in ihrem Kern doch die alten geblieben sind: Menschlichkeit und Recht und Freiheit.

Auf diesen Wegen des Fortschritts liefert Schmidt-Salomons neuestes Werk eine wichtige Orientierung für zukunftsoffene Zeitgenossen, die die Menschheitsprobleme nicht verleugnen oder verharmlosen, und auch nicht als mahnende Geschichtszeichen vor sich hertragen, sondern lösen wollen. Kein Zweifel: “Hoffnung Mensch” ist ein zutiefst humanistisches Buch. Möge es viele Leser finden, die sich das Licht der Aufklärung nicht rauben lassen!

Helmut Fink

 

Hinweis: Diese Rezension erscheint auch gedruckt in "Aufklärung und Kritik", Heft 1/2014, S. 265-267.


  1. Die Überschrift ist ein Zitat von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809–1847) aus “Die erste Walpurgisnacht” (MWV D3, 1832/1843).  ↩