Problemfall Religionskritik

ZWICKAU. (hpd) Beim Humanistischen Pressedienst sind zwei überwiegend lobende Rezensionen von Achim Pfahl-Traughber und Siegfried R. Krebs des neuen Werkes von Gerhard Czermak “Problemfall Religion” erschienen. In ihnen werden Inhalt wie Gliederung des Buches angemessen vorgestellt und gewürdigt, der eingesetzte Religionsbegriff hingegen wenig problematisiert. Wegen der Bedeutung des wichtigen Buches und des bekannten Autors für die “säkulare Szene” sind aus Sicht der noch jungen Humanistik einige Hinweise nötig.

 

Ein Kommentar von Horst Groschopp

Religionen sind vor allem geschichts- und kulturmächtige große Menschheitserzählungen. So vielfältig und different wie Religionen sind interne und externe Religionskritiken, die sich dazu noch hinlänglich raumzeitlich unterscheiden, je nachdem, um welche Religion es sich handelt, die kritisiert wird, und welches Religionsverständnis der Kritik zugrunde liegt, je nachdem, welche Seiten einer Religion kritisiert werden, deren rationale oder irrationale, mystische oder mythische, soziale oder emotionale, moralische oder utopische Aufgabe, Bedeutung oder Funktion, ob Träger- oder Priesterschicht, Kult oder Feierlichkeit.

Kritiken an Religion schlechthin sind neueren Datums. Als Einheitsbegriff entstand “Religion” wohl in der Renaissance. Seine Entstehung setzte die moderne Vergleichbarkeit von Religionen und die Zusammenfassung von vorhandenen Religionen zu einer einzigen, lediglich untergliederten voraus, wesentlich befördert durch die Abwehr der arabischen Invasion, dann des Humanismus. Die weiteren Ausformungen des Begriffs gingen in der Folgezeit mit den modernen Geistes- und Sozialwissenschaften sowie mit Reformen innerhalb der Theologien selbst einher. Parallel zu den Natur- und Sozialwissenschaften, inklusive der “Völkerkunde”, als geistiger Begleiterscheinung der Kolonialpolitik, entstand gegen Ende des 19. Jahrhundert auch eine Religionswissenschaft (Durkheim, Weber …).

Religionskritiken wiederum sind in unseren Breiten weitgehend freidenkerischen Ursprungs. Sie waren seit John Tolands “Free Thinker” (um 1711) zunächst Teil der Philosophie, haben aber ihre eigenen Varianten hervorgebracht und sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts – als Philosophenklubs und freie Religiöse – auf verschiedene Weise organisiert, bis dann eine Freidenkerbewegung entstand. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts neigen viele Religionskritiker zur Rigorosität, aber auch zu Weltanschauungskonstrukten, zunehmend zum Szientismus sowie zu grundsätzlichen Kulturdeutungen, eingeschlossen Offerten zur Rettung der Welt vor Religion schlechthin. Letzteres hat sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit dem “neuen Atheismus” verstärkt, umso mehr, je näher die Verfasser solcher Schriften und ihre Anhängerschaft den Säkularisten / Laizisten standen und stehen.

Das von Gerhard Czermak vorgelegte umfängliche Werk fasst viele der hier gewachsenen, verbreiteten und von der Anhängerschaft geglaubten, d.h. für wahr genommenen Thesen zusammen, inklusive die hierzulande in den letzten 150 Jahren vorgestellten Annahmen, wie Religionen entstanden sein könnten und wie Religion abzuschaffen ist. Der Autor hat wohl auch deshalb das Wort “Kompendium” in den Untertitel seines anregenden Buches genommen, um der “säkularen Szene” eine Art Bündelung und Richtschnur ihres religionskritischen Denkens und Handels vorzuhalten.

Hinzu kommen als wesentliche Motive die vom Autor eingangs in seinem Buch angeführten biographischen Erkenntnisse eines Menschen, der die Gründe seiner Abkehr von der katholisch-christlichen Sozialisation anderen mitteilen möchte. Wohl ist daraus der ständige, oft wiederholte Affront des geläuterten Intellektuellen gegen jeden “Glauben” (als Gegenteil von Wissen) und “Glauben” als Kerneigenschaft von Religion zu erklären: “Glaube ist irrational” (S. 43).

Der Autor betont, nicht objektiv sein zu wollen (vgl. S. 8). Gleichzeitig beansprucht er für sich Wissenschaftlichkeit. Das Ergebnis ist Weltanschauungsbildung in einem doppelten Sinn: Er bildet eine (seine) Weltanschauung weiter aus, lässt uns daran teilhaben; und er bildet die Leserschaft weltanschaulich, gibt ihnen ein Bild von der Welt, wie er sie und wie er Religion darin sieht. Für eine “Weltanschauungsgemeinschaft” ist dieses Herangehen kein Makel, wenn man sich der Begrenztheit der eigenen Mitteilungen bewusst bleibt und den Leser an seinen Zweifeln teilhaben lässt. Letzteres ist hier weniger der Fall.

Ein drittes Motiv, das die Feder des Autors führt, ist Aufklärung – und zwar eine ganz spezielle, nämlich die Verbreitung der Erkenntnis, wie gefährlich Religionen sind, besonders monotheistische. Da kann einem richtig angst werden. Über diese vielen tausend Jahre hinweg … fast nur Übel. Dass sich die Menschheit das hat gefallen lassen, spricht für die Schwäche ihrer Selbstrettungskräfte oder für Religion als Kulturmacht.

Es spricht aber vor allem einiges gegen das Konzept des Autors. Er schreibt Religionen eine kulturelle Macht zu, die sie von sich aus nicht haben, nicht hatten, die ihnen aber gesellschaftlich gegeben bzw. zugeschrieben wird, die sie sich durchaus institutionell erobern und sichern. Die Ursache für diese Engführung von Religion (und damit der Gegenkräfte, worauf noch eingegangen wird) ist deren Definition als “religiöses Sinngebungssystem” (S. 22). Das erklärt Religion durch das Adjektiv “religiös”, was nicht sehr erhellt (abgesehen davon, dass der Sinn wenig “sinnlich” erscheint). Der Autor meint, durch Gegensetzung zu “Nichtreligion” erklären zu können, was ihm Religion ist. Da Czermak aber die “Nichtreligion” mit “Naturalismus” nahezu gleich setzt, ohne die Dimensionen des Natur-Begriffs auszuleuchten, wird auch dieser überfordert durch Einengung auf “natürliche Phänomene”, die allein der Naturalismus anerkenne (ebd.) und woraus sich Wahrheit ableite.

Ein drittes Kennzeichen von Religion ist bei Czermak die Transzendenz. Der Profession des Autors als Jurist geschuldet ist deren – hier nicht diskutierter – Gegensatz zur Immanenz, der Unterscheidung etwa von Religionsgesellschaften (transzendente Welterklärung) und Weltanschauungsgemeinschaften (immanente Deutungen). Das ist auf dieser Ebene sehr hilfreich. Doch es erklärt nicht die in den letzten Jahren aufkommende Kritik innerhalb des organisierten Humanismus an diesen Einengungen und dem Bedürfnis nach einer dem Humanismus eigenen immanenten Transzendenz (etwa bei Peter Schulz-Hageleit), einer eigenen Spiritualität (etwa Joachim Kahl) oder die Suche nach eigenen Mythen (etwa Hubert Cancik).

In den weiteren Ausführungen des Autors kommt die ältere freidenkerische Sicht auf Religion immer wieder durch, sei es, wenn die Entstehung von Religionen erklärt wird, wenn es um Menschenopfer geht, um aktuelle Religionskonflikte usw. Czermak findet keinen Zugang zur modernen Religions- als einer Kulturwissenschaft, dies auch, weil er auch in seiner Kritik der Religionswissenschaft – bei aller Berechtigung – vor allem deren Religionsnähe sieht. Diejenige Religionswissenschaft, die eine modernere Kulturanalyse pflegt (nur zwei Beispiele: Jan Assmann und Richard Faber) bleibt ihm fremd und damit auch ein aufgeklärteres Verständnis von Religion, das ein anderes ist als das in der deutschen säkularen Szene historisch gewachsene und immer wieder gern gelesene. Noch immer dominiert in der “Szene” ein Religionsverständnis, das den “cultural turn” verpasst hat.

Religionen werden von Menschen gemacht und getragen. Die Beteiligten, auch die Funktionärsschichten der Priester, so Religionen sie haben, sind nicht nur treibende, sondern auch getriebene Kräfte, eingebunden in soziale und ökonomische, demographische und soziologische, kultische und kulturelle Strukturen, Konflikte und Abläufe. So sehr gebildeten Mitteleuropäern Heiligenverehrung (um ein Beispiel zu nehmen) missfällt und sie von einem rationalen Standpunkt aus deren Dummheiten und Funktionsweisen entlarven, hilft doch dieses reine Erkennen denjenigen nicht viel weiter, die ohne Religion leben wollen, aber der Emotionen, der Rituale, der gefühlten Gemeinschaft, des spirituellen Erlebnisses nicht entbehren möchten.

Wer ist denn das “Wir”, von dem der Autor in seinem eigentlich pessimistischen Resümee so viel erwartet (S. 96)? “Wir” sind sehr verschiedene Subjekte. Ein “Wir” darin lebt in Zeiten und Gegenden, wo Schalke eine Religion sein kann und Madonna eine Heilige, kurz: wo wir über Religionen mehr wissen können und sollten als das traditionelle freidenkerische Bild uns davon vermittelt. Wie viele Atheisten entrücken doch förmlich, wenn Deutschland Weltmeister wird, in welchem Sport auch immer.