Schulsystem in der Privatisierungszange

2-615514_web_r_by_heike_berse_pixelio.de_.jpg

Kinder / Foto: Heike Berse (pixelio)

FRANKFURT. (hpd/nds) Ein kleiner Verein greift mit einer neuen Publikation in die Debatte um die Privatisierung öffentlicher Bildung ein. Neben der “Verbetriebswirtschaftlichung” von innen, beispielsweise mittels New Public Management, und Privatisierung von außen, etwa mittels der Austrocknung des öffentlichen Schulsystems bei gleichzeitigem Boom privater Träger, verorten die Autoren der Streitschrift eine dritte Flanke des Angriffes auf das staatliche Bildungsmonopol.

 

Jens Wernicke sprach hierzu mit Reinhard Frankl, Vorsitzender des GEW-Bezirksverbands Unterfranken und Mitglied im Vorstand von KLARtext e.V.

 

Herr Frankl, unter Ihrer Federführung entstand gerade im Verein KLARtext e.V. eine Broschüre, die sich gegen zunehmende Liberalisierungs-, Dezentralisierungs- und Deregulierungstendenzen im Bildungswesen, die Sie unter dem Stichwort “Kommunalisierung” zusammenfassen, richtet. Was ist das Anliegen der Streitschrift und worum geht es genau?

Mit der neoliberalen Wende Anfang der 1970er Jahre setzten die Angriffe auf die öffentlichen Versorgungs- und Vorsorgesysteme inklusive des öffentlichen Bildungssektors ein. Dazu gehörte seit den ersten “Freilandversuchen” von Pinochets Chicago Boys auch die Übergabe der Grund- und Mittelschulen an die Kommunalverwaltungen mit den bekannten Folgen von Privatisierungen.

Seit den neunziger Jahren sehen wir auch in Deutschland diese Angriffe. Zunächst in einer Zangenbewegung von internationalen Diensthandelsabkommen wie zum Beispiel GATS einerseits und der mittlerweile flächendeckenden Einführung der “Neuen” Verwaltungssteuerung andererseits. Nun macht mit dem Diskurs um “kommunale Bildungslandschaften” Pinochets Kommunalisierung auch bei uns Schule: eine dritte Angriffsflanke ist eröffnet.

Mit unserer Broschüre wollen wir mittels kritischer Beiträge Menschen in der direkten Auseinandersetzung um “Bildungspolitik vor Ort” Argumente an die Hand geben, mit denen bei der herrschenden polit-ökonomischen Großwetterlage diese dritte Angriffsvariante zurückgewiesen werden kann. Die Auswahl unserer Beiträge macht dabei vielleicht schon deutlich, dass uns die Manier eines Besinnungsaufsatzes mit Pros und Contras dabei nicht als das angemessene Mittel im Verteidigungskampf der Interessen der abhängig Beschäftigten und Bildungsteilnehmenden erscheint.

 

Warum soll im Bildungsbereich Kommunalisierung denn schlecht sein, wo sie doch in anderen Versorgungsbereichen, man denke an Energie oder Wasser, von Kritikern der herrschenden Politik gerade angestrebt wird? Auch im Bildungsbereich heißt es doch zu Recht: Bildung geschieht vor Ort…

Die Kommunalisierungs- bzw. Re-Kommunalisierungsinitiativen bei Energie, Wasser oder Müll haben das Ziel, aufgrund der für die lohnabhängigen Menschen sehr teuren Privatisierungserfahrungen diese Bereiche über die Kommunalisierung und Dezentralisierung den großen Konzernen – am besten der Profitorientierung überhaupt – zu entreißen, die Versorgungskreisläufe kürzer, direkter und somit übersichtlicher und ökologischer zu gestalten, ja, sie in öffentliche Kontrolle zurückzuführen.

Die derzeit diskutierte Kommunalisierung im Bildungsbereich wird jedoch, auf die schlechte Kassenlage der Kommunen schielend, von Kräften insbesondere aus den konzernnahen großen Stiftungen vorangetrieben, um umgekehrt mittels einer Dezentralisierung und Deregulierung der Bildungszuständigkeiten ganz explizit den roten Teppich für eine spätere Privatisierung gerade im Schulbereich auszurollen, nachdem diese in anderen Bildungsbereichen, man denke nur an die Erwachsenen- und Weiterbildung, an die Hochschulen, aber auch an die Vorschulische Bildung, ja bereits wesentlich weiter vorangeschritten ist.

 

Attac, wo Sie selbst ja organisiert sind, skandiert “Think global, act local!”. Insofern scheint mir mehr Bildungsinitiative in den Kommunen, mehr Vernetzung und Engagement vor Ort doch tatsächlich angezeigt zu sein.

Die Attac-Parole bedeutet für mich, bei lokalen Aktionen immer auch die globalen Zusammenhänge zu berücksichtigen. Gerade das habe ich eben versucht, und das tun auch die Autoren der Broschüre. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, lokale Verwaltungsstrukturen zu vernetzen und übersichtlicher zu machen. Auch übersichtlichere Bildungs- und insbesondere Schulstrukturen sind angesagt.

Im schulischen Bereich plädieren wir allerdings dafür, endlich die Sache an der Wurzel anzupacken und den Weg eines öffentlichen Schulsystems aus einem Guss zu gehen, statt die Zergliedertheit immer weiter zu treiben. Damit wäre neben dem nötigen und einzig konsequenten Schritt in Richtung Inklusion auch sehr viel an verwaltungstechnischer Übersichtlichkeit gewonnen, wie man unschwer in den Ländern beobachten kann, wo eine Schule für alle seit Jahrzehnten normal ist.

Dieser Strukturwandel ist allerdings weniger über lokale Einzelaktionen als vielmehr auf dem Weg einer landesweiten beziehungsweise sogar bundesweiten bildungspolitischen Reform zu erreichen. Er könnte auch gerne von unten, also aus den Gemeinden, unterstützt werden – die derzeitigen Prozesse in Sachen “Kommunalisierung” oder “Bildungsregionen” bilden das aber eben ausdrücklich nicht ab, sondern zielen mit ihrem Vernetzungsaktionismus eher darauf, bereits vorhandene private Bildungsinstitutionen und -trägerschaften gleichberechtigt neben die öffentlichen Angebote zu stellen, wenn nicht sogar schon öffentliche Angebote zugunsten privater abgebaut worden sind. Das Ziel solcher “lokaler Aktionen” scheint uns recht eindeutig zu sein. Hier geht es letztlich um die Gewöhnung daran, dass die Kostenstellen für die sozialen Bedürfnisse des Gemeinwesens entweder billig ins Ehrenamt abgedrückt oder von privatwirtschaftlichen “Lösungen” aufgefangen, sprich der privaten oder Gebührenfinanzierung und damit der Profitorientierung preisgegeben werden. Das ist auch das Ziel der genannten Stiftungen, die diesbezüglich bereits in den Kommunen aktiv geworden sind.

 

Haben Sie denn einen Beleg hierfür, dass das, was Sie attestieren, die Strategie im Hintergrund solcher Bemühungen ist?

Die Unterfinanzierung des öffentlichen Sektors, insbesondere im Bildungsbereich, ist seit Mitte der Neunziger schlicht Fakt. Und der vor einigen Jahren verstorbene Stiftungspatriarch Reinhard Mohn, dessen neoliberal ausgerichtete Stiftung auch das Schlagwort der “Kommunalen Bildungslandschaften” prägte, hat damals bereits ganz offen und deutlich gesagt, es wäre ein Segen, dass den öffentlichen Kassen das Geld ausgehe, denn nun könne endlich das notwendige Umdenken – nämlich in Richtung Zurückdrängen des Staates und damit der Privatisierungen – in Gang gesetzt werden.

Entsprechend sind die Aktivitäten nicht nur seiner Stiftung denn auch ausgerichtet. Im Aufsatz “Marktbereitung im Bildungssystem” der Broschüre wird mehrfach aus Papieren des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zitiert, der ebenfalls eindeutig in diese Richtung zielt. Ganz offen wird dort angesprochen, dass es zur Zusammenarbeit vor allem der Bereiche Jugendhilfe, Schule und Wirtschaft im Bildungsbereich vermeintlich gar “keine Alternative” gäbe.