Europawahl 2014

Warum ist Europa wichtig? (9)

(hpd) In dieser Interview-Serie geht es jeden Mittwoch um den Einfluss der Europawahl auf Menschenrechte und selbstbestimmtes Leben und Sterben.

Ulrike Lunacek ist Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament und deren Spitzenkandidatin für die Europawahl sowie Vizepräsidentin und außenpolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament. Als Ko-Präsidentin der Intergroup on LGBT Rights setzt sie sich für sexuelle Selbstbestimmung ein. Hier berichtet sie von den Vorgehensweisen radikal-religiöser Gruppierungen.

 

Hallo Ulrike Lunacek,

die Intergroup on LGBT Rights ist die größte der 27 parlamentarischen Arbeitsgruppen im Europäischen Parlament und besteht aus über 150 Europaabgeordneten. Heißt das, Sie haben auch viel zu sagen?

Ulrike Lunacek: Grundsätzlich handelt es sich bei den „Intergroups“ um informelle Arbeitsgruppen, die keine offiziellen Organe des Europäischen Parlaments sind und im parlamentarischen Prozess somit keine konkret zugewiesene Rolle einnehmen. Trotzdem können sie durchaus bedeutend sein, wie das bei der LGBT-Intergroup aus drei Gründen der Fall ist:

1. Die Intergroup ist ein fraktionsübergreifender Zusammenschluss von Parlamentariern, was die Akzeptanz für das Anliegen in den einzelnen Fraktionen erhöht.
2. Dadurch, dass rund ein Viertel der Europaabgeordneten unserer Intergroup angehören und viele weitere mit uns sympathisieren, fühlt sich ein beträchtlicher Teil der Abgeordneten unserer Agenda verpflichtet und lässt LGBT-Anliegen somit bei allen Themenbereichen in die tägliche Arbeit einfließen.
3. Die Intergroup hat ein eigenes Sekretariat, betreibt eine Website und hält regelmäßig Veranstaltungen ab. Dadurch trägt sie nicht nur zur Bewusstseinsbildung bei, sondern ist durch ihr Fachwissen eine wichtige Ansprechpartnerin bei LGBT-Fragen.

Somit kann die Frage mit einem klaren JA beantwortet werden.

 

Die wichtigsten Aufgaben der Intergroup ist das „Beobachten“ der europäischen Gremien und das Einbringen von Problemen bzw. Vorschlägen zur Verbesserung der Lage von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transidentischen nicht nur in Europa, sondern weltweit. Schauen wir zunächst auf Europa: Welche Projekte stehen hier gerade auf der Tagesordnung?

Das sind in der neuen Legislaturperiode eine ganze Menge wichtiger Themen. Ganz oben steht mein Bericht für einen EU-Fahrplan gegen Homophobie und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität, den das Europäische Parlament im Februar dieses Jahres mit breiter Mehrheit verabschiedet hat. Damit wird die Europäische Kommission aufgefordert – so wie zur Roma-Minderheit und zu Menschen mit Behinderung – endlich eine EU-Roadmap gegen die alltägliche Verachtung europäischer Werte durch homophobe Gesetze und homophobe Praxis zu erstellen. Genau das muss die Kommission in der neuen Legislaturperiode auch tun, woran wir sie unnachgiebig erinnern werden.

Im Jahr 2008 hat die Kommission einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vorgelegt. Damit soll unter anderem die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in den Bereichen Bildung, Soziales, Gesundheit und beim Zugang zu Gütern sowie Dienstleistungen (einschließlich Wohnungswesen) verbieten. Das Europäische Parlament hat der Richtlinie bereits 2009 zugestimmt. Seither wird sie insbesondere auf Drängen Deutschlands im Rat blockiert. Als Grund wird angegeben, dass die Richtlinie zu viel Geld koste und über die Zuständigkeiten der Union hinausgehe. Für die LGBT-Intergroup bzw. das Parlament wird es in der neuen Legislaturperiode also wichtig sein, weiterhin Druck auf den Rat auszuüben, damit diese Richtlinie endlich verabschiedet werden kann.

Ein weiteres wichtiges Anliegen der LGBT-Intergroup ist es, dass „Hassreden“ und Verbrechen aus homophoben oder transphoben Beweggründen entsprechend höhere Strafen nach sich ziehen müssen, wie dies nach EU-Recht auch bei rassistischen und xenophoben Taten der Fall ist.

Wir setzen uns dafür ein, LGBT-Personen und ihren Familienangehörigen innerhalb der Union gleiche Bewegungsfreiheit zukommen zu lassen wie heterosexuellen Paaren. Hier gibt es zahlreiche Probleme wie etwa bei der Anerkennung von Dokumenten.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) vertritt die Ansicht, dass das EU-Recht es verbietet, transgender Personen zu diskriminieren, die eine Geschlechtsumwandlung durchführen lassen möchten oder dies bereits getan haben. Diese Interpretation erfasst aber nicht jene Personen, die nicht an eine Operation denken. Dies muss rechtlich geändert bzw. auf sichere Beine gestellt werden.

Untersuchungen haben ergeben, dass die Diskriminierung von LGBT-Personen besonders im Gesundheitsbereich ein großes Problem ist. Besonders schwer haben es hier Personen, die zusätzlich einen Migrationshintergrund haben. Diese Barrieren gilt es zu überwinden.

Im Juni 2013 hat der Rat bahnbrechende LGBT-Richtlinien verabschiedet. Diese weisen EU-DiplomatInnen rund um den Globus an, die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersex-Personen zu verteidigen und voranzutreiben. Eine wichtige Aufgabe des Parlaments wird auch in der neuen Legislaturperiode sein, die Einhaltung dieser Richtlinien zu überwachen.

 

Fassade und Empfang Europäische Kommission in Brüssel.
Fotografie, Illustration ©Evelin Frerk

 

Geht es bei außereuropäischen Themen eher um Verurteilungen der Gesetze und Menschenrechtsverletzungen in Russland, Uganda usw.?

Vorrangig ist sowohl die LGBT-Intergroup als auch das Parlament bemüht, durch Unterstützung und Know-How die Situation für LGBT-Personen in anderen Ländern der Welt zu verbessern. Die EU stellt dafür auch finanzielle Mittel zur Verfügung. Wenn sich die Lage aber zum schlechteren wendet, LGBT-Personen immer mehr ausgegrenzt und zum Teil sogar mit drakonischen Strafen bedroht werden, ist eine deutliche Verurteilung des Handelns der jeweiligen Regierung natürlich unerlässlich.