Stuttgart nicht mehr evangelisch dominiert

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Denkmal Christoph von Württemberg in Stuttgart
Denkmal Christoph von Württemberg in Stuttgart

DEUTSCHLAND. (hpd/fowid) Stuttgart gehörte zu den protestantisch geprägten Großstädten Deutschlands. Im Laufe der Zeit, besonders intensiv im 20. Jahrhundert, veränderte sich die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung durch Zuzug und Säkularisierung. Besonders die Anonymität der Großstadt ermöglicht vielen Menschen, unabhängig, nach eigenen Vorstellungen zu leben und sich auch von althergebrachten religiösen Bindungen zu lösen. Der Anteil der evangelischen und katholischen Kirchenmitglieder hat sich jeweils auf ca. ein Viertel der Bevölkerung reduziert.

Stuttgart wurde bereits um 945 gegründet und entwickelte sich bis 1219 zur Stadt. Es dehnte sich rasch aus und in der Folge entstanden zahlreiche Vorstädte. Im Jahre 1495 wurde Stuttgart von Kaiser Maximilian I. zur Herzogsresidenz erhoben. 1534 ließ Herzog Ulrich die Reformation einführen. Nach den Napoleonischen Kriegen und der Gründung des Rheinbundes wurde Stuttgart 1806 Hauptstadt des Königreichs Württemberg. 1815 wurde der neue württembergische Staat durch den Wiener Kongress bestätigt. Stuttgart entwickelte sich im 19. Jahrhundert von einer evangelisch geprägten Kleinstadt zur multikulturellen Metropole Württembergs.

Fowid beobachtet die Entwicklung der Bevölkerung Stuttgarts und es ist eine aktuelle Datenfortschreibung zu diesem Thema veröffentlicht.

Heute gibt es nahezu gleich viele Protestanten wie Katholiken in der Landeshauptstadt. Nur noch ca. 51 Prozent der gemeldeten Einwohner gehören der römisch-katholischen (24 Prozent) oder evangelischen Kirche (27 Prozent) an. Stuttgart hatte 1950 noch ca. 72 Prozent evangelische Kirchenmitglieder. Im Laufe der vergangenen Jahre ist der Status als evangelisch geprägte Stadt immer mehr verloren gegangen, da die Zahl der Einwohner mit einer anderen oder keiner Religionszugehörigkeit deutlich zugenommen hat. Der Rückgang liegt zum Einen in den Austritten aus den beiden Kirchen, zum Anderen im Alterungsprozess der Kirchenmitglieder und vor allem im Zuzug von Einwohnern, die keiner der beiden Kirchen angehören, begründet.

Bereits Ende der 1950er Jahren kamen als Folge des Arbeitskräftemangels die ersten Gastarbeiter in die Region Stuttgart. Mit ihnen kamen auch die verschiedenen Religionen ihrer Heimatländer (z. B. Italien, Griechenland, Türkei, Marokko, Tunesien und Jugoslawien) ins Land. Neben den beiden christlichen Großkirchen gibt es viele weitere Glaubens- und Religionsgemeinschaften, wie die Evangelischen Freikirchen, Griechisch-, Russisch- und Serbisch-Orthodoxe, Jüdische und Islamische Gemeinden, sowie auch Buddhisten, Zen, Quäker und Sikh.

Nach einer Erhebung im Jahr 2009 lebten in Stuttgart rund 60.000 Muslime aus über 50 verschiedenen Ländern. Insgesamt macht die muslimische Bevölkerung damit zehn Prozent aller Stuttgarter Einwohner aus. Rund 19.000 Muslime besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Mehrheit der in Stuttgart lebenden Muslime sind Ausländer, etwa ein Drittel der Ausländer gehören der muslimischen Glaubensrichtung an.

Inzwischen sind 30 Prozent der Familien in Stuttgart keine Deutschen und damit größtenteils auch keine Anhänger der katholischen oder evangelischen Kirche. Dieser Anteil der Bevölkerung hat aber auch einen Anteil von Kindern unter 18 Jahren von ca. 32 Prozent.

Beispielbild
Stuttgart, Religionszugehörigkeit nach Alter

Auch daraus resultiert, dass die junge evangelische und katholische Bevölkerung (bis 18 Jahre) zwischen 1975 und 2012 um ca. zwei Drittel geschrumpft und die Zahl der Anhänger sonstiger Religionen oder religionsfreien auf das reichlich Zweieinhalbfache angestiegen ist. In den Altersgruppen 18–64 Jahre haben die Protestanten in diesem Zeitraum ca. die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Bei der älteren Generation sind dies nur 20 Prozent.

Während bei den bei den großen Kirchen das durchschnittliche Alter ansteigt, das heißt die Mitglieder immer älter werden, sinkt es bei den Sonstigen und Religionsfreien. Das bedeutet: Immer mehr junge Leute sind nicht mehr Mitglied einer der beiden Kirchen. Offen ist dabei der Anteil der tatsächlich Religionsfreien (der Zuzug aus anderen Ländern betrifft auch mehrheitlich jüngere Leute). Bei den Katholiken, die von vornherein nicht so stark vertreten waren, ist der Mitgliederschwund nicht ganz so hoch, beträgt aber bei den ganz jungen Bürgern auch 62 Prozent, sowie in den mittleren Jahrgängen bis 44 Jahre ca. 35 Prozent. Und hier ist bereits bei den 45–64-Jährigen ein höheres Bindungspotential zur Kirche zu bemerken, dort beträgt der Verlust nur 20 Prozent und bei den über 65 Jährigen ist sogar ein Zuwachs zu verzeichnen. Das könnte heißen, dass von der Gruppe, die 1975 zwischen 30 und 44 Jahre alt waren, nur ein geringer Prozentsatz aus der katholischen Kirche ausgetreten ist.

2005 wurde während der Bundestagswahl eine Befragung zur Religion und Kirchgangshäufigkeit bei den Wählern durchgeführt. Der Besuch des Gottesdienstes als Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer Religion und Stärke der Bindung daran, gibt einen Einblick, wie stark die jeweiligen Mitglieder ihre Religion praktizieren. Danach gehen katholische Christen insgesamt öfter in die Kirche als evangelische. Deutlich mehr als die Hälfte aller Kirchenmitglieder gehen selten oder nie zur Kirche. Die Kirchgangshäufigkeit ist in beiden großen Konfessionen relativ stark vom Alter abhängig: So gehen ältere Kirchenmitglieder häufiger als jüngere in die Kirche. Während aber bei den katholischen Kirchgängern die Kirchgangshäufigkeit ab 35 Jahre ansteigt, ist bei evangelischen Kirchgängern erst bei den über 60-Jährigen eine höhere Kirchgangsneigung festzustellen.