Weltweite Verfolgung von Christen?

DIE ZEIT für Propaganda?

HAMBURG. Religionsfreiheit und Pressefreiheit gehören zu den europäischen Grundrechten. Obwohl sich beide in dem Aspektder Meinungsfreiheit ähnlich sind, haben sie dennoch ein entscheidendes Trennkriterium: die Wahrheit. Wenn also eine Zeitung in einem Zeitungsartikel - ohne Hinweis darauf - die Auffassungen von Religionen unkommentiert verbreitet, verringert sich zumindest ihre eigene Seriosität.


Unter der Überschrift „Stille Unterdrückung" berichtete die DIE ZEIT in ihrer Ausgabe 24/2007: „Die Verfolgung von Christen nimmt immer größere Ausmaße an. Sie findet weltweit statt, vor allem aber in muslimischen Ländern."
Nach einer kurzen Einleitung - dass die säkularen Kultureliten in Europa „mit dem Christentum ihren gnadenlosen Spott treiben" und das aus dieser Weltsicht heraus Christen als Opfer unvorstellbar seien, während die Muslime sich als Opfer von Islamophobie und Diskriminierung darstellen würden -, schreibt der Autor: „Die Wirklichkeit sieht anders aus. Nirgends genießen Muslime mehr religiöse und politische Freiheit als in den liberalen Demokratien der westlichen Welt. Dagegen werden Christen in wachsendem Maße rund um die Welt verfolgt. ‚Open doors', eine wohltätige Organisation, die sich für bedrängte christliche Gemeinden und Individuen einsetzt, spricht von einer der ‚gravierendsten Ungerechtigkeiten' der Welt, die gleichwohl kaum wahrgenommen werde. Rund 200 Millionen Christen in mehr als 60 Ländern werden wegen ihres Glaubens verfolgt oder erleiden schwere Nachteile in ihrem privaten wie beruflichen Leben."

Die erste Irritation ist, dass mit „Verfolgung von Christen" – in dieser Kombination mit „Christenverfolgungen" im klassischen Rom assoziiert –, auch alle möglichen subjektiven privaten oder beruflichen Nachteile gemeint sein können. In dieser Hinsicht könnte sich auch eine große Zahl der in Deutschland lebenden Muslime als „Verfolgte" betrachten.

Die zweite Irritation ist die Verkürzung auf „muslimische Länder", denn Open Doors schreibt selber: „Das geschieht vorwiegend in islamischen, hinduistischen oder buddhistischen Ländern, totalitären Staaten oder in Gebieten, in denen Gewalt herrscht." Mit anderen Worten, in allen Ländern auf der Welt, in denen die Christen nicht in der Mehrheit sind.

Entschiedener Widerspruch ist jedoch gegen die Darstellung der Organisation einzuwenden. Open Doors ist nicht – wie DIE ZEIT schreibt – eine „wohltätige Organisation, die sich für bedrängte christliche Gemeinden und Individuen einsetzt" sondern ein Missionswerk und Mitglied der Evangelischen Allianz, ein Zusammenschluss so genannter „bibeltreuer" evangelikaler Christen, die Mission und Evangelisation als ihre Hauptaufgabe betrachten.

In einer feindlich gesinnten Umwelt das Evangelium verkünden

Das „Hilfswerk" Open Doors wurde 1955 durch einen Holländer initiiert, der unter dem Namen „Bruder Andrew" oder der „Schmuggler Gottes" bekannt wurde, da er in seinem VW-Käfer Bibeln in die Staaten des Ostblocks schmuggelte. Der Name der Organisation leitet sich aus der Bibel ab: „Werde wach und stärke das andere, das sterben will!" (Offb. 3,2) und „Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und niemand kann sie zuschließen." (Offb. 3,8)

In der Selbstdarstellung der Organisation heißt es: „Im Mittelpunkt steht der Dienst an verfolgten oder benachteiligten Christen. Ziel ist, sie in ihrem Glauben zu stärken, damit sie auch in einer feindlich gesinnten Umwelt das Evangelium verkünden." Und als Auftrag von Open Doors wird als erstes genannt: „Wir stärken die Kirche, den Leib Christi, wo sie verfolgt und unterdrückt wird, indem wir für ihre Bedürfnisse sorgen: mit Bibeln, Schulungsmaterial, Ausbildungskursen und sozialer und humanitärer Hilfe."

In einem „Porträt" der Organisation, die als Beilage über die Publikationen der Evangelischen Allianz verbreitet wird, gibt es einen historischen Überblick zu den Leistungen und Aktivitäten des Werkes. Open Doors nennt:

  • 1972: 25.000 Neue Testamente während der Kulturrevolution nach China gebracht, getarnt als Maos rotes Büchlein.
  • 1978: Kirchenleiter aus ganz Afrika werden geschult.
  • 1980: Open Doors wird in der islamischen Welt aktiv.
  • 1981: Lieferung von 1 Million Bibeln in einer Nacht nach China.
  • 1989: 1 Million Neue Testamente für die russisch-orthodoxe Kirche.
  • 1991: 1 Million Kinderbibeln für die Sowjetunion,
  • 1993: 50.000 Bibeln für Albanien;
  • 1994: Verteilung der ersten chinesischen Kinderbibeln in vereinfachter Schrift in China – ein Land, in dem Open Doors seit Gründung aktiv ist und in den letzten Jahren verstärkt ansetzt. „Open Doors hat seit Anfang der 1970er-Jahre eine Schlüsselrolle in der Versorgung Chinas mit Bibeln und christlichen Büchern."
  • 1998 bis 2001: Lieferung von 400 Tonnen Nothilfe für die hungernden Christen im Sudan.
  • 2001 bis 2004 verteilt Open Doors in China 8,6 Millionen Bibeln, Kinderbibeln und christliche Bücher.

Der Projektbericht 2005 nennt neben „Hilfsprojekten für mittellose Christen", „Biblische Leiterschulung" und „Ausbildungsprogrammen" folgende Aktivitäten: Verteilung von Bibeln und Christlichen Büchern 2005 (weltweit): 5.399.000 Stück.

  • 3.674.500 in China und Nordkorea
  •    933.700 im Mittleren Osten und Nordafrika
  •    511.300 in Zentralasien und der Golfregion
  •    120.200 in Afrika
  •     88.400 in Lateinamerika
  •     69.400 in Südostasien
  •       1.500 in Indien

In der Bilanz 2006 wird gemeldet: „Allein nach China gingen über fünf Millionen christliche Schriften wie Kinder- und Studienbibeln, Bibeln und Kindermaterial: Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg von rund 40 Prozent."

Insgesamt wurden, nach Angaben der Organisation, 6,9 Millionen Bibeln und andere Literatur verteilt. Auch in das isolierte Nordkorea „wurden 50.800 Schulungsmaterialien geschleust. Im kriegszerstörten Irak verteilten Christen 22.000 Kinderbibeln." (Abbildung im Anhang)

Ein Zusammenhang zwischen den Missionierungsaktivitäten und den „Verfolgungen" wird anscheinend nicht gesehen. Im Gegenteil, es sind, wie es in einer Einladung zu einer Informationsveranstaltung von Open Doors heißt: „Zeugnisse verfolgter Christen. Spannende Berichte aus verschiedenen Ländern geben Einblicke in das Wirken Gottes inmitten von Leid und Verfolgung." Spannende Berichte? Werden erst Menschen in Asien und Afrika missioniert, dann in den politischen Systemen vor Ort diskriminiert und schließlich von den Evangelikalen als „Opfer" instrumentalisiert? Schließlich finanziert man sich nur aus Spendengeldern und da muss es schon recht viel an Opferbereitschaft geben?

„Rette das Land China!"

Open Doors reklamiert für sich die Menschenrechte, denn: „In Staaten, in denen die Religionsfreiheit eingeschränkt wird, werden häufig auch andere Menschenrechte missachtet. Zwischen beiden Themen besteht ein enger Zusammenhang: Millionen von Menschen weltweit werden nur deshalb in ihren Menschenrechten verletzt, weil sie eine bestimmte Glaubensüberzeugung haben. Religionsfreiheit gehört zu den zentralen Menschenrechten."

So weit ist es richtig. Aber es ist stets Vorsicht geboten, wenn jemand so sehr die allgemeinen Menschenrechte bemüht, und es steht dort eindeutig nichts von einem politischen oder religiösen Missionierungsrecht, d.h. das vorsätzliche Eindringen in einen fremden Kulturkreis – mit der ausgesprochenen Absicht, diese Kultur zu zerstören.

Der Bericht über die Aktion, in einer Nacht eine Million Bibeln nach China zu bringen hat kriegerische und geheimdienstliche Züge.

Das „Projekt China" (Dokument im Anhang) steht 2007 unter dem Leitspruch: „Und siehe: Endlich fliesst der Lebensfluss vom Himmel. Überschwemme das Land China! Heile das Land China! Rette das Land China!"

Gegen eine derartige Auffassung lässt sich vieles einwenden. So gibt es beispielsweise auch ein deklariertes Selbstbestimmungsrecht der Länder und man setze einmal statt China das Wort Deutschland in diesen Leitspruch ein - diese Leute würden vermutlich nicht willkommen geheißen. Und wenn wir sie nicht mehr ignorieren könnten und uns durch sie gefährdet fühlten, würden wir uns wahrscheinlich zur Wehr setzen.

Religiöse Toleranz?

Die Religionsfreiheit in Deutschland heißt landläufig, Christ zu sein und aus der Kirche austreten zu können bzw. kein Mitglied in einer der christlichen Kirchen sein zu müssen. Andere Religionen sind dabei nicht vorgesehen. Man möge sich einmal die Reaktionen in Deutschland vorstellen, wenn vergleichbar massive Missionsanstrengungen von muslimischen Organisationen in Deutschland stattfinden würden - in Untergrundzirkeln -, der Verfassungsschutz wäre sofort aktiv.

Die Religionsfreiheit in Deutschland hat auch die kulturelle Grundlage, dass man zwar hinnimmt, wenn es eine gewisse religiöse Vielfalt gibt, aber es raschelte schon aufgeregt, als es hieß „Immer mehr Deutsche konvertieren zum Islam" und es 2005 mehr als 1.000 Deutsche gewesen sein sollen. Das wären immerhin 0,000012 der deutschen Bevölkerung. Was war daran aufregend? Dass der Islam seinen Einflussbereich über die Migranten hinaus ausdehnen könnte?

Solange die Muslime in Deutschland unauffällig blieben oder diskret abseits in ihren Parallelwelten lebten, hat sich kaum jemand daran gestört. Insofern gibt es auch in Deutschland keine religiöse Toleranz, sondern nur ein Wegschauen. Bei einer größeren öffentlichen Sichtbarkeit des Islam und einem genauerem Betrachten der Religionen regt sich dann der Widerstand. Auch in Deutschland.

Die Missionswerke sind selber das Problem

Einem Missionswerk wie Open Doors – und allen anderen Missionswerken auch – wird kaum verständlich zu machen sein, dass sie selber das Problem sind.

Eine Spezialität dieser Organisationen sind Gebetskampagnen. So heißt es im Selbstportrait von Open Doors: „Bruder Andrew erzählt: 1984 drängte uns der Herr zu einer Gebetskampagne für die Sowjetunion. Mir war nicht klar wozu. Dann erkannte ich: Wenn wir nicht wirklich glauben, beten wir auch nicht. Wenn wir aber beten, ist alles möglich. Also begannen wir. Das Ergebnis war unglaublich! Der Fall der Berliner Mauer, der Wandel in Rumänien, die ersten demokratischen Wahlen in der Tschechoslowakei. Erschütternde Dinge geschahen, weil das Volk Gottes betete."

Dieser Zirkelschluss der sich immer wieder durch sich selbst bestätigten Gewissheit ist mit Rationalität nicht zu beeindrucken und mit Argumenten nicht zu verändern. Wenn etwas geschieht, und es geschieht immer etwas, dann haben es die Gebete bewirkt; geschieht nichts, hat man nicht genug gebetet und muss noch intensiver beten (oder Gott will einen auf die Geduldsprobe stellen) bis dann etwas geschieht, was allerdings auch so geschehen wäre, wiederum aber den eigenen Gebeten und damit Gottes Wille zugeschrieben wird.

Insofern bleibt die Frage, was DIE ZEIT bewegt, sich vor einen solchen evangelikalen Karren von Glaubensgewissheiten spannen zu lassen.

Zumindest bedient der Artikel die vorhandenen Meinungen über die Friedlichkeit von Religionen, wie sie eine Umfrage vom November 2006 ermittelte. Gefragt wurde: „Wie sehr tragen die großen Religionen zum Frieden in der Welt bei?" Fast die Hälfte der befragten Deutschen meint, das Christentum trage viel zum Frieden bei, während der Islam genau gegenteilig gesehen wird, denn dass der Islam friedensstiftend sei, meinen nur 10 % der Befragten und 43 % bekundeten, dass der Islam nichts zum Frieden der Welt beitrüge.

So lassen sich Meinungen der Bevölkerung redaktionell reflektieren, dass die (guten) Christen von den (bösen) Muslimen verfolgt werden. Weltweit.

Dafür brauchte man sich allerdings keine ZEIT zu nehmen, man könnte auch einfacher in einen Spiegel schauen.

CF