Dawkins hat Recht

Rationaler Atheismus? - ein Kommentar zum offenen Brief von Michael Shermer

In einem offenen Brief wendet sich der Gründer der Skeptic Society,

Michael Shermer, an die Neuen Atheisten, und argumentiert darin gegen ihre "Militanz". Obwohl ein Aufruf zur Besonnenheit stets willkommen ist, schießt Michael Shermer über das Ziel hinaus, was im Folgenden erläutert werden soll.

Bereits in der Einleitung haben sich einige kritikwürdige Stellen eingeschlichen. Zunächst einmal ist die Beschreibung des Auftretens der Neuen Atheisten mit dem Begriff "Militanz" deutlich überzogen. "Militant" ist eine Gruppe, wenn sie mindestens gewaltbereit ist, für gewöhnlich werden auf diese Weise Terrorgruppen bezeichnet. Den Begriff auf die Intellektuellen Dawkins, Harris, Hitchens und vor allem Dennett anzuwenden, ist vollkommen unangemessen. Keiner von ihnen wendet Gewalt gegen Religiöse an, selbst die deutlichsten Religionskritiker Sam Harris und Christopher Hitchens befürworten Gewalt ausschließlich im Bezug auf islamische Fundamentalisten. Außerdem ist es sehr zweifelhaft, Daniel Dennett überhaupt in diese Liste aufzunehmen, schließlich ist er der gemäßigste in Bunde und hält es durchaus für möglich, dass die Religion auch positive Funktionen erfüllen könnte. Dennett fordert nichts anderes als eine wissenschaftliche Untersuchung der Religion, was man sicherlich nicht "militant" nennen kann. Auch sagt Shermer am Ende seines Dawkins-Zitats "Amen, Bruder", als würde er die Bestrebung, Atheist zu sein, genau wie Dawkins, für "mutig und hervorragend" halten -- dabei bezeichnet sich Shermer selbst seit jeher als Agnostiker und ausdrücklich nicht als Atheist.

Im nächsten Absatz ruft er dazu auf, "dass wir unser Bewusstein noch ein bisschen mehr erwecken". Tatsächlich ist Shermers Haltung der Religion gegenüber jedoch ein klarer Rückschritt gegenüber der offenen Debatte, welche die Neuen Atheisten erst ermöglicht haben. Es steht zu befürchten, dass es dafür noch einen anderen Grund gibt, den Shermer in seinem Brief nicht nennt, dafür aber am Ende seines Buches "Why People Believe Weird Things": "Weil ich lange Zeit ein wiedergeborener Christ war, fühle ich mit denen, die sich von der Wissenschaft bedroht sehen."1 Das heißt natürlich nicht, dass sich Shermer selbst noch immer von der Wissenschaft bedroht sieht, aber es wäre möglich, dass sein Abstand gegenüber der Religion vielleicht nicht groß genug ist für eine neutrale Betrachtung.

Zu seinen Hauptaussagen:

1.) Laut Michael Shermer müssen "Anti-irgendwas-Bewegungen" notwendig scheitern. Er nennt als Beispiel den westlichen Anti-Kommunismus der 1950er. Selbstverständlich jedoch richtete sich dieser Anti-Kommunismus nicht nur gegen etwas, sondern er trat auch für etwas ein, nämlich für die freie Marktwirtschaft und für den Liberalismus, von denen auch Shermer überzeugt ist, weshalb ihm das eigentlich klar sein müsste -- er nennt sich sogar einen "Libertären". Man denke außerdem an die Befürworter der Anti-Sklaverei-Gesetze. Musste die "bloße" Ablehnung der Sklaverei auch notwendig scheitern? Offenbar nicht.

Diese Problematik ist zudem nur hypothetisch, schließlich tritt jeder der Neuen Atheisten sehr wohl für etwas ein, nämlich für eine säkulare Alternative zu den Religionen, und jeder von ihnen widmet der Alternative seiner Wahl entsprechend Raum in seinen Büchern und Essays. Dawkins redet sehr oft poetisch von den Wundern der Wissenschaft, er hat der Thematik mit "Der entzauberte Regenbogen" sogar ein eigenes Buch gewidmet. Zudem bietet er am Ende seines Buches "Der Gotteswahn" eine Liste mit säkularen Organisationen an, in denen sich die Menschen versammeln können, wenn sie keine Kirchen mehr besuchen möchten. Sam Harris teilt diese Ansicht und weist außerdem darauf hin, dass wir religiöse Feste, Riten und Traditionen mit säkularen Alternativen ersetzen sollten, für "mystische" Erfahrungen empfiehlt er Meditation. Daniel Dennett sieht dafür keine Notwendigkeit und singt einfach als Ungläubiger im Kirchenchor mit. Christopher Hitchens hat sich von jeglichen Organisationen und Gemeinden losgesagt. Er glaubt, dass man als Individuum viel mehr erreichen kann als jede Gruppe. Anstelle einer Gemeinde genügen ihm seine Freunde, zu denen auch seine jüdisch-orthodoxen Nachbarn gehören, und seine Familie.

Michael Shermer hat allerdings Recht, wenn er sagt, dass der Begriff "Atheist" nur die Negation des Gottglaubens meint. Darum hat er sich selbst den Brights angeschlossen, die sich aufgrund dessen definieren, was sie sind, nicht aufgrund dessen, was sie nicht sind. Zu den Brights gehören allerdings auch Richard Dawkins und Daniel Dennett -- Sam Harris lehnt den Begriff "Atheist", so wie jede andere Kategorisierung, ausdrücklich ab, während sich Christopher Hitchens als "Antitheist" bezeichnet. Shermers Kritik trifft damit ein Ziel, das sie nicht treffen wollte, nämlich die Darstellung der modernen Religionskritiker in den Medien. Die sind es nämlich, welche sich den Begriff "Neue Atheisten" erst ausgedacht haben und nicht deren Vertreter selbst.

Ferner ist es fraglich, wer von den Neuen Atheisten überhaupt "Schmähreden" von sich gibt. Sie kritisieren die Religion nicht anders, als Politiker andere Parteien kritisieren. Der Unterschied besteht nur darin, dass diese Art von Kritik vor dem Aufkommen der Neuen Atheisten im Falle der Religion nicht möglich war. Eine Ausnahme stellt allenfalls der amerikanische Journalist, Literaturkritiker und Autor Christopher Hitchens dar, der seit den Morddrohungen an seinen Freund Salman Rushdie eine härtere Linie fährt. Hitchens sagte öffentlich, der Tod des christlichen Fundamentalisten Jerry Falwell sei nicht bedauernswert und wünscht sich einen "Weltkrieg gegen alle Theokratien und Diktaturen". Er ist bekannt als einer der wenigen amerikanischen Intellektuellen, die nach wie vor den Irak-Krieg unterstützen. Trotzdem fordert auch Hitchens keineswegs die Abschaffung der Religionsfreiheit, er drückt sich nur manchmal polemischer aus. Die anderen Neuen Atheisten haben mit "Schmähreden" zudem nur wenig am Hut.

2.) Shermer argumentiert, dass man mit positiven Aussagen Wissenschaft und Vernunft bewerben soll. Soweit kann man ihm zustimmen. Hierauf zitiert er jedoch Charles Darwin mit der Aussage, dass "direkte Argumente gegen Christentum und Theismus kaum einen Effekt auf die Öffentlichkeit haben" und dass die Denkfreiheit "am besten durch die stufenweise Erhellung des menschlichen Geistes erreicht [werde], der aus dem Fortschritt der Wissenschaft folgt". Aus diesem Grunde solle man es als Skeptiker vermeiden, die Religion zu thematisieren.

Die Tragweite dieses Kommentars sollte man nicht unterschätzen. Shermer, der sich dessen vielleicht nicht bewusst ist, sagt nichts anderes, als dass die gesamte Religionskritik von Xenophanes, Epikur, Feuerbach, Hume, Nietzsche, Russel und so weiter -- "kaum einen Effekt auf die Öffentlichkeit" gehabt haben soll. Tatsache ist, dass heute über zehn Prozent der Weltbevölkerung nicht an Gott glaubt, Tendenz steigend. Wenn man "echte Gläubige" zudem von jenen unterscheidet, die sich zwar Christen nennen, aber nicht an einen persönlichen Gott glauben, geben die Zahlen Anlass für noch viel größeren Optimismus. Irgendetwas muss sie doch dazu motivieren und die hohen Verkaufszahlen der Bücher der Neuen Atheisten, die sich nicht erklären ließen, wenn sie nur durch ohnehin Ungläubige zustande kämen, weisen sehr wohl darauf hin, dass Religionskritik gerade heute viele Menschen anspricht und auch erreicht. Eigentlich ist Shermers Kommentar viel "militanter" als er offenbar glaubt, denn er spricht damit allen religiösen Menschen die Reflektionsfähigkeit, was ihren Glauben betrifft, vollkommen ab. Schließlich sollen alle Gläubige nicht in der Lage sein, über direkte Argumente gegen ihren Glauben nachzudenken. So radikal äußerte sich bislang keiner der Neuen Atheisten.

Shermer hat selbstverständlich Recht damit, dass die Vermittlung der Wissenschaft sehr wichtig ist. Deshalb ist Religionskritik jedoch noch lange nicht überflüssig.

3.) Shermer sagt: "Es ist irrational, eine feindliche oder herablassende Haltung gegenüber der Religion einzunehmen, weil wir dadurch geradezu garantieren, dass religiöse Menschen auf die selbe Weise darauf antworten werden."

Es mag wohl durchaus sein, dass religiöse Menschen zunächst einmal ablehnend auf diese Angriffe reagieren. Doch es gibt keinen anderen Weg zur Wahrheit als durch den Feuerbach, wie es in Anspielung an den Religionskritiker Ludwig Feuerbach heißt. Natürlich ist es erst einmal schwierig, das eigene, womöglich sehr bequeme, Weltbild zu hinterfragen. Aber es ist sinnvoll, es ist geradezu notwendig, denn der Anfang aller Kritik ist nun einmal die Religionskritik. Wenn sich einige Menschen einfach aufgrund des dogmatischen Festhaltens an einem alten Mythos jeder rationalen Argumentation verschließen, dann ist das für eine Demokratie nicht zuträglich, ja sogar gefährlich. Es kann nicht sein, dass Gegner von Homo-Ehe und Stammzellenforschung einfach mit der Bibel und ihrem persönlichen Glauben argumentieren, der für Außenstehende doch überhaupt nicht nachvollziehbar ist.

Es sei auch etwas provokativ angeführt, dass herablassende Kommentare über Religion nicht nur eine ganz natürliche Reaktion eines aufgeklärten Bürgers darstellen, sondern auch einen gesellschaftlich motivierten "Selbstheilungsprozess" zur Folge haben könnten. Wer will schon als derjenige angesehen werden, der "solchen Unsinn" glaubt und dadurch Ansehen verlieren? Genau so ist es heute schon mit Anhängern von Voodoo und Wunderheilern, warum sollten wir die Religion besonders nett behandeln, wo sie sich doch substantiell nicht von anderen abergläubischen Gebilden unterscheidet, allenfalls dadurch, dass sie noch mehr Unheil anrichtet? Ich war früher selbst offen für einige paranormale Behauptungen (die recht geschickt als Wissenschaft getarnt waren), bis ich auf Richard Dawkins gestoßen bin, der sie auf nicht die freundlichste Art und Weise widerlegte. Eine Kritik wie die der Neuen Atheisten hat einen "Wachrüttel-Effekt", auf den ich nicht hätte verzichten wollen. Dazu kommt natürlich, dass man nur dann öffentliches Interesse erzeugt, wenn man "große Töne spuckt". Das ist keine kapitalistische Verschwörung der Medienindustrie, sondern Resultat des Zuschauerinteresses und genau dieses will ein Aufklärer doch erreichen.

Zu guter Letzt möchte man gerne erfahren, wie sich Michael Shermer eine "nette" Religionskritik überhaupt vorstellt? Er selbst kritisiert die Religion - zumindest offiziell - einfach überhaupt nicht, jedenfalls nicht grundsätzlich, und entgeht dieser Frage damit etwas zu leicht. Man muss allerdings hinzufügen, dass er damit nicht ganz konsequent ist, schließlich ist seine "Kugel in der Bibel"-Parodie von einem Vortrag über sein Buch "Why Darwin Matters" inzwischen recht bekannt in der säkularen Szene.

4.) Hier bedient sich Shermer des verhängnisvollen "Out of Context"-Zitats. Martin Luther King, Jr., wendet sich in seiner Rede gegen die aufkommende Militanz der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, die zum Beispiel durch Malcolm X angeheizt wurde. Der religiöse Eiferer rief zur Gewalt gegen Weiße auf und bezeichnete "die weiße Rasse" als "Schöpfung des Teufels". Die Neuen Atheisten haben mit einer solchen Art von Militanz nichts zu tun. Wie schon gesagt ruft keiner von ihnen zur Gewalt gegen Religiöse auf.

Außerdem sagt Shermer: "Wenn Atheisten nicht von Theisten mit negativen Vorurteilen konfrontiert werden möchten, dann dürfen sie das auch nicht bei Theisten machen."

Er übersieht dabei, dass es sich bei den Aussagen der Neuen Atheisten eben nicht um Vorurteile handelt, sondern um Urteile, die am Ende einer langen rationalen Prüfung von Beweisen und Gegenbeweisen stehen. Bei den Theisten, die sich bislang öffentlich dazu geäußert haben, war das so gut wie nie der Fall.

5.) Shermers letztes großes Argument lautet: "So lange die Religion Wissenschaft und Freiheit nicht bedroht, sollten wir respektvoll und tolerant sein [...]" Außerdem ruft er dazu auf, positive und negative Religionsfreiheit zu bewerben.

Dies ist jedoch erneut ein Strohmann, da keiner der Neuen Atheisten die Abschaffung der Religionsfreiheit fordert. Dazu kommt natürlich, dass die Religion sehr wohl Wissenschaft und Freiheit weltweit gefährdet. Der logische Umkehrschluss aus Shermers Argument lautet also, dass wir aus diesem Grunde nicht mehr respektvoll und (außergewöhnlich) tolerant gegenüber der Religion sein müssen und hier sind wir uns endlich einig.

Noch eine Schlussbemerkung: Michael Shermer leistet hervorragende und wichtige Arbeit, nicht nur für die amerikanische, sondern für die gesamte internationale Skeptiker-Bewegung. Sein Einsatz für die Aufklärung wird in der Tat durch nur wenige übertroffen. Mein Kommentar richtet sich einzig gegen seine Haltung zur Religionskritik, die ich für unzureichend begründet erachte.

 

Andreas Müller

1Shermer, Michael: Why People Believe Weird Things. Pseudoscience, Superstition, and other confusions of our time. New York 1997, S. 277

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