Ist das Christentum gut für die Welt?

Ein Vortrag von Michael Shermer; aus einer Debatte mit Dinesh D'Souza

(siehe Video)

 

1. Worüber sprechen wir hier?

„Ist das Christentum gut für die Welt?" Die Antwort lautet natürlich: Es hängt davon ab!

Religion ist so komplex, so all-umfassend, so weitreichend und kulturell umschließend, dass es auf absurde Weise vereinfachend wäre, ohne Weiteres mit „Ja" oder „Nein" zu antworten. Das wäre so, als würde man fragen, „Ist eine Regierung gut für die Welt?"
Religion ist gut, wenn sie Gutes tut und schlecht, wenn sie Schlechtes tut.
Das Christentum erinnert mich an Winston Churchill's Bemerkung über Amerikaner: „Man kann sich stets darauf verlassen, dass die Amerikaner das Richtige tun... nachdem sie alles andere versucht haben." Nun, Sie können sich stets darauf verlassen, dass das Christentum das Richtige tut... nachdem es alles andere versucht hat.

 

2. Welches Christentum? Gut für wen?

Welches Christentum? (Katholisch, Protestantisch, Evangelikal, Mormonisch, Episkopalisch, Pfingstbeweglerisch?) Es gibt weltweit 33 800 verschiedene christliche Glaubensgemeinschaften. Welche ist die Richtige? Für wen ist sie gut? Individuen, Gemeinschaften, die Gesellschaft?

Protestantische Christen, die es darauf anlegen, in Nordirland katholische Christen wegen einem Stück Rasen zu ermorden? Nicht gut. Christen der Fundamentalistischen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage(1), die glauben, es wäre in Ordnung, 13-jährige Mädchen zum Sex mit Männern zu zwingen, die fünf Mal so alt sind? Nicht gut.
Pfingstbeweglerische Christen, die junge Kinder in Jesus Camps indoktrinieren, damit sie zu Kriegern Gottes werden und bereit sind, für ihren Herrn zu töten? Nicht gut.
Evangelikale Christen, die so stark an die Heiligkeit des Lebens glauben, dass sie Abtreibungskliniken in die Luft jagen und Ärzte ermorden? Nicht gut.
Katholische Christen mit ihrem Pädophilen-Programm für Pfarrer, mit den Worten von Christopher Hitchens, „No Child's Behind Left" („Kein Kinderhintern wird ausgelassen") Nicht gut.

 

3. Homoehe und Homosexualität als Fallstudie

Das Thema Homoehe im Speziellen und Homosexualität im Allgemeinen ist eine Fallstudie für alles, was an der Religion nicht stimmt, vor allem am Christentum.
Überwältigende wissenschaftliche Belege zeigen, dass die Geschlechtswahl vor allem durch unsere Gene und durch pränatale Biochemie bestimmt wird, vor allem durch die Hormonbalance von Embryonen. Fast jeder Mensch wird durch das andere Geschlecht angezogen. Ein winziger Prozentsatz - vielleicht so wenige wie 1 bis 2 Prozent - werden vom selben Geschlecht angezogen.

Einen Homosexuellen zu fragen, wann er oder sie sich zum Schwulsein entschieden hat, ist etwa so, wie einen Heterosexuellen zu fragen, wann er oder sie sich dazu entschloss, hetero zu werden.
Was dieses spezielle Thema betrifft, so bleibt das Christentum jedoch in einem vor-bürgerrechtlichen, vor-aufgeklärten, sogar vor-wissenschaftlichen Sumpf stecken und ihr Glaube basiert auf einer einzigen Bibelstelle (Levitikus 18:22: „Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel."), die selbst versteckt ist zwischen anderen Stellen, die Eltern anweisen, ihre ungehorsamen Kinder zu ermorden und ehebrecherische Frauen und entjungferte Bräute zu exekutieren. So ist es, die Todesstrafe für Ehebruch, was sofort eine gute Anzahl christlicher Kongressabgeordneter und Senatoren, Priester und Fernsehprediger eliminieren würde.
Eine Folge dieses peinlichen Mangels christlicher Nächstenliebe besteht darin, dass sich christliche Prediger, Autoren und Theologen nichts daraus machen, Schwule zu quälen, indem sie ihnen erzählen, dass es sich bei ihrem Verlangen, eine andere Person des selben Geschlechts zu lieben, um ein „Gräuel" handelt, dass sie eine Krankheit haben, die man durch eine „Behandlung" einfach „heilen" kann (etwa, indem man schwule Jungs dazu zwingt, sich Football-Spiele anzusehen) und indem man ihnen sagt, dass Promiskuität böse ist, aber dass ihnen die beste Prophylaxe dagegen - Ehe - verboten ist.
Christen glauben doch tatsächlich, sie wären mildtätig, wenn sie sagen, sie „hassen die Sünde, nicht den Sünder", was dem nicht unähnlich ist, was Christen erklärten, kurz bevor sie Frauen dafür folterten, angeblich Hexerei betrieben zu haben, um ihre Seelen zu retten, oder als Christen Pogrome gegen Juden als Christusmörder ausriefen. (Darf ich darauf aufmerksam machen, dass jemand Jesus töten musste, damit er für unsere Sünden sterben konnte, und dass man jemandem dafür danken sollte, anstatt ihn zu verfolgen und zu ermorden?)
Merken Sie sich meine Worte. Dies wird geschehen. Innerhalb eines Jahrzehnts, vielleicht zwei oder drei, werden Christen Schwule nicht anders behandeln, als sie heute andere Gruppen behandeln, die sie vormals verfolgten - Frauen, Juden, Schwarze - nicht jedoch aufgrund einer neuen Interpretation einer Bibelstelle, oder wegen einer neuen Offenbarung Gottes. Diese Veränderungen werden auf die selbe Weise kommen, wie sie es immer getan haben: Durch eine unterdrückte Minderheit, die sich ihr Recht auf Gleichberechtigung erkämpft, und durch einige aufgeklärte Mitglieder der unterdrückenden Mehrheit, die ihre Sache unterstützen.
Daraufhin werden Christen die gesellschaftliche Befreiung der Schwulen für sich beanspruchen, durch die historischen Aufzeichnungen blättern und einige wenige christliche Blogger oder Prediger auftreiben, welche den Mut und den Charakter hatten, für Schwulenrechte einzutreten, als es ihre christlichen Brüder nicht tun wollten, und dann werden sie jene als Beleg dafür zitieren, dass Schwule ohne das Christentum nicht gleichberechtigt wären.

 

4. Religion und gesellschaftliche Moral

Der unabhängige Forscher Gregory S. Paul entdeckte in einer Studie von 2005, veröffentlicht im Journal of Religion and Society, ein umgekehrtes Verhältnis zwischen Religiosität (gemessen am Gottesglauben, biblischen Wortglauben und der Regelmäßigkeit von Gebeten und Gottesdienstbesuchen) und gesellschaftlicher Gesundheit (gemessen an der Suizidhäufigkeit, der Mordhäufigkeit, Kindersterblichkeit, Lebenserwartung, sexuell übertragenen Krankheiten, Abtreibung und Jugendschwangerschaft) in 18 demokratischen Industrieländern. „Im Allgemeinen korreliert eine größere Glaubenshäufigkeit und Gottesanbetung mit einer größeren Häufigkeit von Mod, Jugendsterblichkeit und Sterblichkeit bei jungen Erwachsenen, Geschlechtskrankheiten, Jugendschwangerschaft und Abtreibung in wohlhabenden Demokratien", fand Paul heraus. „Die Vereinigten Staaten sind fast immer das am schlechtesten funktionierende der demokratischen Industrieländer, manchmal auf spektakuläre Weise." Tatsächlich gibt es in den USA das höchste Maß an Religiosität und die größte (mit Abstand) Häufigkeit von Morden, Geschlechtskrankheiten, Abtreibungen und Jugendschwangerschaften. Natürlich werden konservative Christen säkulare Liberale für diese gesellschaftlichen Krankheiten verantwortlich machen, aber bei über 90% Amerikanern, die behaupten, Christen zu sein, und bei einer rund 50/50 Aufteilung des Landes in Konservative und Liberale, geht das nicht auf.

 

5. Religion und individuelle Moral

1934 entdeckte Abraham Franzblau eine negative Korrelation zwischen der Akzeptanz religiöser Glaubenssätze und drei verschiedenen Maßstäben von Ehrlichkeit. Je größer die Religiosität war, desto geringer war die Ehrlichkeit.
1950 führte Murray Ross mit 2000 Mitgliedern der YMCA eine Studie aus und entdeckte, dass Agnostiker und Atheisten mit höherer Wahrscheinlichkeit Bereitschaft zeigen, den Armen zu helfen, als die, welche sich als tief religiös betrachen.
1969 berichteten die Soziologen Travis Hirchi und Rodney Stark keine Unterschiede zwischen Kindern, welche regelmäßig den Gottesdienst besuchen und denen, die das nicht tun, bei der selbst-bezeugten Wahrscheinlichkeit, Verbrechen zu begehen
1975 fanden Ronald Smith, Gregory Wheeler und Edward Diener heraus, dass Studenten im College-Alter in religiösen Schulen mit einer nicht geringeren Wahrscheinlichkeit bei Tests betrügen als ihre atheistischen und agnostischen Gegenstücke in nicht-religiösen Schulen.
1996 enthüllte George Barna, ein wiedergeborener evangelikaler Christ, in seinem Index of Leading Spiritual Indicators, der auf Interviews mit beinahe 4000 erwachsenen Amerikanern basiert: „Wiedergeborene Christen lassen sich weiterhin mit höherer Wahrscheinlichkeit scheiden als Nicht-Christen." Und: „Atheisten lassen sich mit geringerer Wahrscheinlichkeit scheiden als wiedergeborene Christen." Barna fand heraus, dass die aktuelle Scheidungshäufigkeit für wiedergeborene Christen 27% beträgt, während es bei Nicht-Christen nur 24% sind. Außerdem haben die „Baby-Boomer" -- die Generation, die man oft für ihre sexuelle Freizügigkeit und ihren moralischen Relativismus kritisierte - eine geringere Scheidungshäufigkeit (34%) als die vorhergehende Generation (in der Popkultur als die idealisierte 1950er Ozzie und Harriet Familie dargestellt), die bei 37% liegt.
Fünf Jahre später, in einer Studie von 2001, fand Barna heraus, dass „33% aller „wiedergeborenen" Individuen, die einmal verheiratet waren, durch eine Scheidung gegangen sind, was statistisch dem 34%igen Vorkommen bei nicht-wiedergeborenen Erwachsenen entspricht."
Die Ausgabe Juli/Augst 2007 vom Annals of Family Medicine veröffentlichte die Ergebnisse einer Studie, die von Forschern der Universität von Chicago und dem Yale New Haven Hospital durchgeführt wurde, wonach religiöse Ärzte mit gleicher (sogar leicht geringerer) Wahrscheinlichkeit ihr Geschick unversicherten Patienten zukommen lassen, als Ärzte ohne Religionszugehörigkeit. Um genauer zu sein: Farr Curlin, MD, ein Assistenzprofessor für Medizin an der Universität von Chicago, und seine Kollegen, befragten 1820 praktizierende Ärzte aller Fachrichtungen: 31% der religiöseren Ärzte übten ihr Handwerk auch für unversichterte Patienen aus, bei Atheisten, Agnostikern und nichtreligiösen Doktoren waren es 35%. Religiosität wurde gemessen an der Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs und Fragen bezüglich der selbstbezeugten „inneren Religiösität", welche das Ausmaß feststellten, nach dem Individuen ihre Religion als das „Leitende Motiv, das richtungsweisend ist und ihrem Leben Bedeutung gibt" ansehen. Curlin notierte seine Antwort auf diese Zahlen: „Es war sowohl eine Überraschung wie auch eine Enttäuschung. Die heiligen Schriften der Christen, Juden, Muslime, Hindus und Buddhisten drängen allesamt Ärzte dazu, sich den Armen anzunehmen, und die große Mehrheit religiöser Ärzte beschreibt ihr medizinisches Handwerk als ihre Berufung. Nun haben wir herausgefunden, dass religiöse Ärzte keineswegs mit höherer Wahrscheinlichkeit sich den Armen annehmen, als ihre säkularen Kollegen."
Der Schlüssel, um zu verstehen, wer den Bedürftigen am meisten hilft, war Spiritualität, nicht Religiosität. Laut Curlin waren diejenigen, die sich als sehr spirituell bezeichneten, egal ob sie religiös waren oder nicht, etwa doppelt so oft willens, für die Armen zu sorgen, als diejenigen, die ihre Spiritualität als niedrig einstuften. „Ein Teil dieser Abweichung zwischen Religiosität und Spiritualität kann auf eine Spaltung der christlichen Bekenntnisse im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zurückgeführt werden", schloss Curlin. Etwa vor einem Jahrhundert, schreibt er, begannen viele der Mainstream-Kirchen und der liberalen Kirchen unter den Protestanten, „ihre Bemühungen, soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen, zu betonen, während die konservativeren Kirchen dazu neigten, die doktrinäre Orthodoxie hervorzuheben. Untersuchungen weisen darauf hin, dass sich diejenigen, die sich spirituell, aber weniger religiös nennen, mit höherer Wahrscheinlichkeit den liberalen Bekenntnissen angehören." Curlin fügte hinzu, dass er ein orthodoxer Christ in protestantischer Tradition ist.

 

Fazit

Absolute Moral führt logischerweise zu absoluter Intoleranz. Sobald Sie glauben, über die absolute und entgültige Antwort auf moralische Fragen zu verfügen, warum sollten Sie tolerant gegenüber jenen sein, die Ihre Wahrheit nicht akzeptieren? Moralische Systeme, die auf Religion basieren, wenden dieses Prinzip in höchstem Maße an. Von den Kreuzzügen des Mittelalters und der Spanischen Inquisition bis zum Holocaust und Bosnien, ist die Geschichte reich an Beispielen von Intoleranz. Im Namen ihrer Religion haben Menschen Holzbündel angezündet, um Frauen darauf zu verbrennen, welche der Hexerei bezichtigt wurden. In Namen Gottes haben religiöse Menschen Sklaverei unterstützt, Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Folter, Völkermord, ethnische Reinigung und Krieg. Die Religion führt nicht nur völlig unzuverlässig zu höherer Moralität, sie kann sogar zu größerer Intoleranz führen, zu Rassismus, Sexismus und zur Erosion anderer Werte, die in einer freien und demokratischen Gesellschaft hochgehalten werden.

 

(1) Es handelt sich um eine Abspaltung der Mormonen. Die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ hat den hpd darauf hingewiesen, dass man die „Fundamentalistische Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ in Deutschland nicht als „Mormonen“ bezeichnen darf, ferner, dass keine Verbindungen der Mormonen mit dieser Sekte bestehen und dass sie sich von ihr distanzieren. Der Originalartikel der amerikanischen Skeptic Society, auf dem die Übersetzung beruht, „Is Christianity Good for the World? notes from Michael Shermer“ wurde leider von skeptic.com/eskeptic entfernt. In diesem stellte Michael Shermer tatsächlich eine Verbindung zwischen den Glaubensgemeinschaften her und sprach auch im Falle der Abspaltung von „Mormon Christians“. (Anm. der Red., 5.11.07)

 

Übersetzung: Andreas Müller
Original: 15. Oktober 2007, OregonState.edu

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