Gott muss Werte erst erlernen

Eine Anmerkung von Gerd Lüdemann. 

Der Rat der Evangelischen Kirche

in Deutschland hat „Zehn Thesen zum Religionsunterricht“ veröffentlicht. Deren Verfasser fordern, dass neben anderen Fächern, die auf Religionen und Werte bezogen sind, „Religion“ weiter herkömmlich unterrichtet werde, und sprechen sich dafür aus, dass nichtchristliche Religionen in der Zukunft ebenfalls einen eigenen Religionsunterricht erhalten sollen. Dies hat eine rechtliche Basis im Grundgesetz, Art. 7.3, demzufolge Religion unter der Aufsicht des Staats nach den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaften zu erteilen ist.

Ohne Zweifel ist, wie der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, im Vorwort zu den „Zehn Thesen“ bemerkt, Religion ein Großthema des 21. Jahrhunderts. Indes ergibt sich aus der Aufgabe, die eigene Religion und die Religion anderer zu verstehen – oder auch aus der Erkenntnis, dass es besser ist, ohne Religion zu leben –, keinesfalls die Notwendigkeit, den Religionsunterricht in der althergebrachten Form beizubehalten und weiter auszubauen.

Der konfessionelle Religionsunterricht verlangt von den Lehrenden nicht nur die Mitgliedschaft in der jeweiligen Religionsgemeinschaft, sondern auch eine innere Bindung an deren Glauben. Dasselbe gilt entsprechend für alle, die an der Universität für das Fach Religion zuständig sind. Diese Regelungen, die es in der westlichen Welt so nur in Deutschland gibt, machen es jedoch unmöglich, die Jugend fundiert in die verschiedenen Religionen einzuführen. Bildung im Fach Religion ist in erster Linie Wissen – also genau dasselbe, was Bildung in den anderen Unterrichtsfächern auch bedeutet –, nicht aber Kindermission oder Katechismusunterricht höherer Ordnung.

Auch ist nicht plausibel zu machen, dass erst der konfessionelle Religionsunterricht mit seinem Gottesbezug Werte vermittelt. Und ebenso wenig gehören der Sinn für die unantastbare Würde des Menschen und der für die Wirklichkeit Gottes zusammen. Denn erinnern wir uns: die freiheitlich-demokratischen Ideale und Werte, die sich jetzt auch im Grundgesetz finden, wurden während der Aufklärung gegen die sich auf Gott und Bibel berufenden Kirchen durchgesetzt. Und weder der Gott Jahwe des Alten Testaments noch der Vater Jesus Christi, noch beide in einer Person, noch Allah vertreten die Werte unseres freiheitlich-demokratischen Staates. Sie müssen sie erst noch erlernen.

Unter dem Strich stellt sich die Forderung, das Fach Religionskunde einzurichten, das den konfessionellen Religionsunterricht evangelischer, katholischer, jüdischer, islamischer und anderer Art ersetzt. Seine Grundlage wäre die Wissenschaft von den jeweiligen Religionen, Ziel die Wissensvermittlung. Er macht kundig, nicht gläubig.

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Dazu:

4.10.2006: Zehn Thesen zum Religionsunterricht“.

http://www.ekd.de/presse/pm191_2006_ru_10_thesen.html

12.10.2006: Die Stellungnahme des Magdeburger Bischof Noack: „Religionsunterricht wird immer wichtiger“, indem er darauf verweist, dass die Eltern ihre Kinder immer weniger religiös erziehen und deshalb der Religionsunterricht in den Schulen häufig erster Kontakt sei. Deshalb werde die Zusammenarbeit von Schulen und Kirchen für die Kirchen immer wichtiger.

http://www.ekd.de/aktuell_presse/news_2006_10_12_2_noack_reliunterricht.html