Die 4,4 Mrd. Euro - Peinlichkeit (Teil 2)

HAMBURG/BERLIN. (hpd) Mit dem Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur

in Deutschland“ wurde auch das Gutachten über den „Beitrag der Kirchen zum kulturellen Leben" veröffentlicht. Es ist eine Peinlichkeit: die Zusammenstellung von Halbwahrheiten und realitätsfernen Berechnungen.

 

In diesem zweiten Teil zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission wird im ersten Teil beispielhaft dargestellt, wie das Kirchengutachten die Kulturbeiträge der Kirchen darstellt und im zweiten Teil, wie der Gesamtaufwand des Kultur-Beitrages der Kirchen berechnet wird.

 

I. Kulturbeiträge der Kirchen: Das Beispiel Bibliotheken

Aus den verschiedenen Themen seien als Beispiel die kirchlichen öffentlichen Bibliotheken ausgewählt. Im Abschlussbericht der Kommission heißt es dazu u.a. (S. 146): „Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Literaturversorgung breiter Kreise zu einer wichtigen kirchlichen Aufgabe geworden. Die 3.864 Katholischen Öffentlichen Büchereien (KÖB) im „Borromäusverein e. V." und die 1.030 im Bereich des „Deutschen Verbandes Evangelischer Büchereien" sichern die Erreichbarkeit von Lektüren durch ein dichtes Netz von Einrichtungen, die - was ihre Anzahl betrifft - etwa 50 Prozent aller öffentlichen Büchereien ausmachen."

Diese Darstellung entspricht dem Kirchengutachten (S.90 ff.) und lässt sich sonst so nicht ohne weiteres finden. Es wird weder gefragt, welche Bedingungen eine Bücherei als „öffentliche Bücherei" erfüllen muss, oder wie das Selbstverständnis der Bibliotheksarbeit aussieht und wie diese Büchereien finanziert werden.

Öffentliche Bücherei ?

Nach der Definition der deutschen Gemeinden können Büchereien die Funktion einer allgemeinen öffentlichen Bibliothek nur dann erfüllen, wenn sie mit hauptamtlichem Personal (mindestens 1 Stelle mit 20 Wochenstunden) besetzt sind.

Im Jahr 1998 - der letzten Kompletterhebung des Jahrbuchs der Deutschen Gemeinden - wurden in Deutschland insgesamt 2.116 Bibliotheken in öffentlicher bzw. kirchlicher Trägerschaft nachgewiesen. Von diesen 2.116 Bibliotheken waren 135 (= 6,4 %) in kirchlicher Trägerschaft (11 evangelische Kirche, 124 katholische Kirche).

Alle Bibliotheken hatten einen Bestand von 69,7 Millionen Medien (Bücher, Tonträger, etc.). Die kirchlichen Bibliotheken hatten davon einen Bestand von 1,8 Millionen Medien (= 2,6 %). Die evangelische Kirche ist entsprechend geringer vertreten (0,2 %) als die katholische Kirche (mit 2,4 %).

Diese Bibliotheken erforderten (für Personal und Erwerbungen) Ausgaben von insgesamt 1,01 Milliarden DM. Der Anteil der kirchlichen Bibliotheken betrug davon 14,3 Millionen (= 1,4 %).

Viele Einrichtungen - Weniger Medienbestand - Geringe Ausgaben

In einer weiter gehenden Darstellung des Deutschen Bibliothekinstituts – bei der alle teilnehmenden Büchereien gezählt werden – wurden für 1998 insgesamt 3.898 öffentliche Bibliotheken mit hauptamtlichem Personal und 8.236 öffentliche Bibliotheken ohne hauptamtliches Personal gezählt, also insgesamt 12.134 öffentliche Bibliotheken, von denen sich 5.118 (= 42,2%) in kirchlicher Trägerschaft befanden (1.027 evangelisch, 4.091 katholisch).

Der Bestand der kirchlichen öffentlichen Bibliotheken belief sich auf 20,4 Mio. Medien (= 15,9 % aller 128,4 Mio. Medien).

Die Ausgaben für Erwerb und Personal beliefen sich auf 1,11 Milliarden DM, von denen die kirchlichen Träger 40,9 Mio. (= 3,7 %) nachwiesen.

Diese sich jeweils verringernden Anteile am Gesamtvolumen von 1. einer hohen Zahl kirchlich-öffentlicher Bibliotheken (42 %), 2. einem vergleichsweise geringen Medienbestand (16%) und 3. geringfügigen Ausgaben (4 %) ist die sich stets wiederholende Abfolge.

Der tatsächliche Beitrag der kirchlichen öffentlichen Bibliotheken ist also eher in einem bescheidenem Umfang, was die Nennung der großen Zahl der Einrichtungen verdeckt.

Unterschiede in der Anzahl und Zählung

Wie die Vielzahl der „katholischen öffentlichen Büchereien" zustande kommt, das zeigt ein kleiner Ausschnitt dieser Büchereien in Bonn: 32 „katholisch öffentliche Büchereien" der Pfarrgemeinden mit einer mittleren Öffnungsdauer von rund 4,5 Stunden pro Woche – immer auch am Sonntagvormittag, zum Gottesdienst. Dieser Typ der kleinen Pfarrbücherei lässt sich überall finden, sei es die Katholische Öffentliche Bücherei St. Marien in Brake oder in Ramsloh, in Scharrel, in Rieden / Vilshofen wie in Langenfeld oder die Pfarrbücherei des Pastoralverbund-Ruhr-Valmetal.

Das Leitbild Kirchlicher Öffentlicher Büchereien

Das Leitbild dieser Büchereien versteht sich als sich (katholisch) als Arbeit im Kontext der so genannten „Seelsorge" und soll Wege zur „Selbstfindung und Gotteserfahrung" eröffnen. Kern ihrer Arbeit ist die Beförderung „der religiösen Sozialisation und Bildung" und betonen „die christlichen Wurzeln unserer Gesellschaft". Sie ist immer (evangelisch) Teil der „Verkündigung der christlichen Botschaft".

In dieser Hinsicht hat das Angebot, es sei „für alle Menschen offen" – als allgemeine Kulturleistung –, die gleiche Logik wie die selbstlose Auffassung eines Metzgers, der meint, dass ja alle, auch Vegetarier, bei ihm einkaufen könnten.

Finanzierung

Eine Auswertung der Deutschen Bibliotheksstatistik weist für 2006 insgesamt 2.152 Öffentliche Bibliotheken mit hauptamtlichen Personal aus, von denen 105 (4,9 %) in katholischer Trägerschaft sind. Von den 6.444 Öffentlichen Bibliotheken mit neben-/ehrenamtlichen Personal befinden sich 3.477 (54 %) in katholischer Trägerschaft.

Ein Schwerpunkt dieser „Katholischen Öffentlichen Büchereien" befindet sich in Nordrhein-Westfalen: 43 mit hauptamtlichen Personal und 1.206 mit neben-/ehrenamtlichen Personal. Diese sollen jetzt beispielhaft genauer betrachtet sein.

Für die hauptamtlichen Bibliotheken zahlen die katholischen Träger 1,97 Mill. Euro eigene Mittel und erhalten 1,90 Mill. „Fremdmittel". Sie finanzieren also selber nur 51 % der Aufwendungen. Für die kleinen Büchereien geben die katholische Träger 2,19 Mill. Euro aus eigenen Mitteln und erhalten 759.000 Euro „Fremdmittel". Ein Eigenanteil der kirchlichen Träger von 75 %.

Wie diese Zuschüsse vor Ort im Einzelfall aussehen können zeigt eine Sitzung des Kulturausschusses in Münster, im Mai 2007, Punkt 8: Zuschüsse für Bücher der öffentlichen Volks- und Pfarrbüchereien zur Schwerpunktbildung. Der Deutsche Gewerkschaftsbund erhält für seine Bücherei 500 Euro Zuschuss, das Bischöfliche Generalvikariat Münster / Hauptabteilung Seesorge / Referat Büchereien erhält 42.500 Euro Zuschuss, das 85-fache.

Oder in der Auseinandersetzung um die zeitweise Schließung der Bücherei in Unkelbach heißt es u.a. „Die Stadt Remagen, die die Zuschüsse in den letzten Jahren um mehr als 50 % für alle Büchereien im Stadtgebiet zusammengestrichen hat, wie es viele Kommunen in Deutschland getan haben aber trotzdem noch mit 600 Euro in diesem Jahr noch 50 % mehr zu den Anschaffungskosten für neue Medien beigetragen hat als die Kirchengemeinde als Träger der Bücherei mit gezahlten 400 Euro."

Empfohlene Namensgebung

Diese Aspekte (Seelsorge / Öffentliche Zuschüsse) werden in der empfohlenen Namensgebung ebenfalls verdeckt. So schreibt das Bistum Mainz zum „ABC der Büchereiarbeit": „KÖB: Abkürzung für den Namen „Katholische öffentliche Bücherei". Gemeint ist damit eine öffentliche Bücherei in Trägerschaft der katholischen Pfarrgemeinde. Der früheren Begriff „Pfarrbücherei" sollte nicht mehr verwendet werden, da mit ihm ein Image der Abgeschlossenheit verbunden ist. Wenige wissen auch noch, dass der Begriff „Pfarrbücherei" im Nationalsozialismus den damaligen Katholischen Volksbüchereien staatlich verordnet worden ist. Möglich ist es aber, einen eigenen Namen für die Bücherei zu wählen. Aber auch in diesem Fall muss „Katholische öffentliche Bücherei" als zusätzliche Bezeichnung beibehalten werden."

 

II. Berechnung des finanziellen Kulturbeitrages der Kirchen

Haben die vielen Auflistungen der vielen Einrichtungen der beiden Kirchen zwar den erheblichen Mangel, dass sie in ihrem tatsächlichen Beitrag nicht differenziert oder vergleichbar dargestellt werden und das zur Finanzierung kaum etwas festgestellt wird, so dass es sich um Halbwahrheiten handelt, wird es jetzt geradezu abenteuerlich.

Auch dem Gutachter und seiner Arbeitsgruppe war aufgefallen: „(...) die kulturbezogenen Ausgaben der in der EKD zusammenarbeitenden Evangelischen Kirchen lassen sich nur schwer ermitteln". Auf Anfrage erhielt der Gutachter jedoch die Angabe: „Die evangelische Kirche gibt jährlich zirka zwei Milliarden Euro für kulturelle Zwecke aus, knapp die Hälfte davon für Kirchengebäude. Auch diese Ausgaben dienen primär der Verkündigung, können in ihrer Ausgestaltung jedoch im gesamtgesellschaftlichen Verständnis dem Kulturbereich zugeordnet werden."

EKD: zirka zwei Milliarden Euro jährlich für kulturelle Zwecke

Diese Angabe muss sich jetzt irgendwie zuordnen lassen. Glücklicherweise hat die EKD eine Übersicht über ihre Finanzen. Daraus wird – ohne Angabe eines Bezugsjahres – ein nicht weiter begründeter „Ausschnitt" genommen und sieben Handlungsfelder ausgewählt: Kirchenmusik / Bildung und Wissenschaft / Öffentlichkeitsarbeit / Auslandsarbeit / Kindertagesstätten / Jugendarbeit / Bauliche Unterhaltung der Kirchen.

In der damit erstellten Übersicht sind die Ausgaben differenziert nach: Ausgaben / Zuschüsse von Dritten / Gebühren und Beiträge / Nettoleistung der ev. Kirche.

Im nächsten Schritt wird „im Interesse einer konservativen Schätzung" eine „unterschiedliche statistische Plausibiltät" des Kulturanteils „unterstellt" – von 20 %, 50 % bis 100 % Kulturanteil. (Man hätte auch würfeln können.)

Die willkürlichen Prozentsätze werden im nächsten Schritt jedoch nicht auf die richtig dargestellten Nettoleistungen der evangelischen Kirche bezogen – dann wären nur 1,28 Mrd. Euro dabei herausgekommen – sondern auf die Gesamtausgaben (also einschließlich der hohen Staatszuschüsse, Elternbeiträge, etc.) und das ergibt dann so annäherungsweise die gewünschten ca. 2 Mrd. Euro: ein „plausibilisierter Gesamtaufwand von 1,778 Mrd. Euro." Die Exaktheit ist allerdings überraschend genau.

Katholische Kirche: Keine Zahlenangaben

Während es für die Evangelische Kirche immerhin noch Zahlen gab, war das für die katholische Kirche und ihre Kulturleistungen vollkommen unbekannt. Keinerlei Zahlenangaben. Aus der „Bestandsaufnahme" – deren Fragwürdigkeit am Beispiel der Katholischen Öffentlichen Büchereien bereits erläutert wurde – wird nun „analogon rationis" geschlossen, dass bei der katholischen Kirche alles so ähnlich sei. Bei den Büchereien seien es allerdings höhere Ausgaben, bei der Kirchenmusik geringere, Kirchengebäude seien mit einem Faktor 1,1 höher anzusetzen und so ergibt sich – wie, das wird nicht weiter erläutert – „ein konservativer Schätzwert von € 2,618 Mia per annum."

Diese beiden kulturellen Beiträge ergeben zusammen „kulturbezogene Ausgaben von konservativ geschätzt € 4,396 Milliarden per annum".

Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich.

Da der Gutachter einräumt, dass bei der Frage der Kosten für die denkmalgeschützten Kirchen eine „unsichere Datenlage geöffnet wird", wird schließlich ein „Korridor" genannt, der zwischen
€ 3,5 und € 4,8 Mrd. liegen würde.

Fazit

Die Feststellungen in diesem Kirchengutachten sind nicht nur eine Peinlichkeit für den Gutachter und die daran beteiligten Kirchen, es ist ein wissenschaftliches und politisches Armutszeugnis, dass die Enquete-Kommission ein derartiges „Gutachten" angenommen hat und es nun als Bundestagsdrucksache verbreitet werden kann.

Nachtrag: Die Referenten der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz haben auf die Anfrage, wie sie die Zahlen des „Kirchengutachtens" bewerten, bisher nicht geantwortet.

Carsten Frerk.