Gottes bester Freund: Rhetorik

Hitchens, D'Souza und wie man ohne Argumente Debatten gewinnt.

Wie vermutet hat sich der Neue Atheismus bewährt. Dawkins, Hitchens und co. sind mit ungebremstem Anklang in der Öffentlichkeit unterwegs, um die Aufklärung zu verteidigen. Die Religion liegt schon lange argumentativ am Boden, oder schon eine Etage tiefer, und trotzdem ist sie noch im Ring. Wie kann das sein? Ein Blick auf eine exemplarische Debatte.

Einer der prominentesten Vertreter des Christentums in den USA ist der Katholik Dinesh D'Souza, ein konservativer Autor und öffentlicher Sprecher. Er ist gut darin, auch die obskursten Dogmen so erscheinen zu lassen, als wären sie natürlich wie der tägliche Sonnenaufgang. Ähnlich wie der Theologe Alister McGrath in Großbritannien hat er schon mit fast allen Neuen Atheisten debattiert, mit Christopher Hitchens sogar mehrmals.

Leider, obwohl im Vergleich zu seinen Kollegen lernfähig, bringt er einige seiner zentralen Argumente immer und immer wieder, als hätte man sie nicht schon lange widerlegt. Am beliebtesten davon ist zweifellos das Stalin und Hitler Argument. Lernfähig ist er, weil er inzwischen Hitler und den Faschismus rausgenommen hat und sich auf die kommunistischen Regime beschränkt. Dazu sah er sich gezwungen, nachdem Christopher Hitchens auf die enge Verbindung der katholischen Kirche mit faschistischen Regimen hinwies. Auch hat er große Freude daran, historische Dokumente und bedeutende Werke der Literatur aus dem Gedächtnis zu zitieren, weshalb seine religiösen Kontrahenten zunehmend vorsichtiger werden, wenn es um ihr liebstes Hobby geht – Geschichtsklitterung.

Das Argument sieht bei D'Souza wie folgt aus: Ja, es wurden Verbrechen im Namen der Religion begangen – auch wenn es bei ihnen nicht um Religion ging, sondern um wirtschaftliche Interessen, Macht und Landbesitz. Da wir das zugeben (!), müssen nun auch die Atheisten zu den Verbrechen stehen, die im Namen des Atheismus begangen wurden. Dawkins sagt nun, wie D'Souza erinnert, dass Stalin ein Atheist war, aber er hat seine Verbrechen nicht aufgrund des Atheismus begangen. Stalin hatte auch einen Schnurrbart, doch wird niemand diesen Bart für seine Morde verantwortlich machen, genausowenig funktioniert das mit dem Atheismus.

Das Argument ist eigentlich klar: Es gibt keine logische Verbindung zwischen „Ich finde die Gottesbeweise nicht überzeugend“ und „kommt, lasst uns Millionen Menschen ermorden“. Doch am Ende lässt sich alles hinbiegen.

D'Souzas Konter: Dawkins hat keine Ahnung von Geschichte. „Das hat man davon, wenn man einen Biologen aus seinem Labor rauslässt.“ Der Atheismus war ein wesentliches Element der marxistischen Ideologie und kein zufälliges Anhängsel wie ein Schnurrbart. Spontan einleuchtend, ergibt nach kurzer Überlegung keinen Sinn, wenn man sich an Dawkins Erklärung erinnert, ist aber rhetorisch so geschickt, dass die Zuschauer applaudieren.

Hitchens weist nun darauf hin, dass etwa das kommunistische Nordkorea, das er selbst besuchte, keineswegs atheistisch ist. Der Vater von Kim Jong Il, Kim Il Sung, ist nämlich noch immer der Präsident des Landes, der Sohn ist nur Militäroberhaupt und Parteichef und hält sich zudem für die Reinkarnation seines Vaters. Das macht Nordkorea zu einer Nekrokratie – die Regierung eines Toten. Es fehlt nur noch eine Person im Club und wir haben eine Dreifaltigkeit an der Staatsspitze. Die Bewohner des Landes müssen jeden Tag jedes Monats von jedem Jahr den Vorsitzenden preisen und ihm auf Knien dafür danken, in Kims Reich auf Erden leben zu dürfen. „Lassen Sie sich weder von Dinesh noch von sonst jemandem erzählen, dass das Säkularismus ist.“

Zu diesem Thema könnte man auch noch ergänzen, dass 1. Mao Zedong vergleichbar irrationale Positionen vertrat wie Kim Jong Il, z.B. musste sein Bett stets in einem bestimmten Abstand zum Wasserspiegel stehen und er war ein Anhänger des Taoismus, und dass 2. Pol Pot, den Dinesh auch immer wieder erwähnt, gezielt Intellektuelle umbringen ließ, was ein Aufklärer wohl eher unterlassen würde. Ähnliches lässt sich für alle kommunistischen Tyrannen anführen, die von einem aufgeklärten Weltbild meilenweit entfernt waren. All das bringt aber nicht viel, weil „Stalin Atheist war“. Sofort werden Bilder in den Köpfen erzeugt von roten Horden, die Kirchen zerstören. Und Applaus erschallt für D'Souza.

Eines von Dineshs (die Diskutanten reden sich in den USA mit Vornamen an) weiteren Argumenten lautet, dass der Westen einen Krieg gegen den Terrorismus führt. Er stimmt mit Hitchens überein, dass die Auseinandersetzung mit radikalen Muslimen nicht in Form eines angenehmen Gesprächs bei gemeinsamen Cocktails geführt werden sollte, sondern in Form von „scharfer Munition“. Woher wird der Widerstand gegen den Islamismus kommen? Vom säkularen Europa oder vom religiösen Amerika? „Lassen Sie mich nur so viel sagen, dass Schweden kürzlich seinen Terror-Alarm von ‚Fliehen‘ auf ‚Verstecken‘ umgestellt hat.“ Hitchens sei praktisch der einzige kämpferische Säkularist, den wir haben. (In der Tat ein gewaltiges Ärgernis für die religiöse Rechte, wie auch die Tatsache, dass Hitchens gegen Abtreibung ist). Sei es also nicht ein tragisches Paradox, dass Christen in den Irak gehen, um Islamisten zu bekämpfen, während Säkularisten lieber in Las Vegas ihre Zeit verbringen? Sehr überzeugend für die Zuhörer – Christen riskieren ihr Leben im Krieg und Atheisen spielen derweil Poker.

Hitchens kontert mit dem anglikanischen Erzbischof Rowan Williams, der die Einführung des Scharia-Rechts in Großbritannien befürwortet. Zudem ist es das Christentum, das lehrt, man müsse seine Feinde lieben. „Dr. Rowan Williams, der die beste Personifikation eines walisischen Schafs abgibt, die ich jemals gesehen habe, kann seine eigenen verdammten Feinde lieben, aber ich will nicht, dass er meine liebt. Ich will von ihm nicht hören, dass ich lernen muss, für die missverstandenen Al-Kaida-Sympathisanten zu schwärmen.“ Zudem weist er auf die Gemeinsamkeiten von radikalen Muslimen mit fundamentalistischen Christen hin, die meinen, einen „Heiligen Krieg gegen den Islam“ zu führen.

Trotzdem kann D'Souza punkten: Viele Säkularisten nehmen die Position eines radikalen Pazifismus ein, was Hitchens, etwa bei einem Vortrag bei der Freedom From Religion Foundation auch selbst auf die Palme bringt: „Ich denke, ihr solltet euch schämen, Menschen zu verspotten, die euch beschützen, während ihr schlaft!“ Sollte sich Europa also weiterhin vor militärischer Verantwortung in dieser Sache drücken, dann ist das Wasser auf den Mühlen der religiösen Rechten, weil die meisten Amerikaner überzeugt sind, dass der Islamismus der gemeinsame Feind aller liberal-konstitutionellen Rechtsstaaten ist (oder was auch immer sie glauben, worin sie da leben).

Zuletzt geht Hitchens noch auf die Moral des Christentums ein, die er für komplett verdorben hält und zitiert C.S. Lewis: „Entweder war der Mann der Sohn Gottes oder er war ein Verrückter“. Neben der Feindesliebe greift Hitchens noch die Idee an, dass Jesus für unsere Sünden gestorben sei. Hitchens meint, er könne zwar, wenn man es ihm gestattet, für einen anderen Menschen ins Gefängnis gehen, aber er kann ihm nicht die Verantwortung für seine Taten abnehmen. Das Christentum jedoch bietet einem diese völlig unmoralische Möglichkeit an. „Christen nehmen ihre Schuld und schieben sie auf jemand anderen.“ Jesus als der ultimative Sündenbock.

Letztendlich kann man selbst jemanden intellektuell entblößen, der ein so geübter Rhetoriker ist wie D'Souza. Hitchens argumentiert, dass die Menschheit 100 000 Jahre lang in größtem Elend existiert, hilflos an Krankheiten und Naturkatastrophen zugrunde geht, während Gott nur mit verschränkten Armen zusieht, bis endlich, vor 2000 Jahren, aber nur in der rückständigsten und abergläubischsten Wüstenregion im Mittleren Osten, der Erlöser erscheint und alles wieder gut macht. D'Souza kann diesen Einwand zunächst nicht beantworten, bis er ein halbes Jahr später wieder auf Hitchens trifft und inzwischen etwas ausgearbeitet hat. Hier das Ergebnis:

Dinesh D'Souza sagt, dass die Menschen keine echten Menschen waren, sondern nur „darwinistische Primaten“, bis ihnen Gott vor 5000 Jahren „die Seele einhauchte“.

Es ist fast so, als habe es die letzten 250 Jahre Aufklärung überhaupt nicht gegeben. Wenigstens findet das Puplikum diese Erklärung eher amüsant als überzeugend. Die Frage an sich ist durchaus berechtigt und die römisch-katholische Kirche bleibt uns im Gegensatz zu D'Souza eine Antwort noch schuldig.

Die Debatte als Ganzes könnte am Ende tatsächlich Dinesh D'Souza für sich entschieden haben. In öffentlichen Streitgesprächen profitiert man davon, dass die Zuhörer schnell vergessen, was gerade gesagt wurde. So kann man auch ohne Argumente gewinnen, selbst gegen jemanden wie Hitchens, der ein ebenso geübter Rhetoriker ist.

Andreas Müller

Die Neuen Atheisten
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