Krawallatheisten II: Die Rückkehr

(hpd) Was ist, wenn Religionen die Gefühle eines Atheisten verletzen? Verdient man Respekt dafür, zwei widersprüchliche Dinge gleichzeitig zu glauben? Ist der Gotteswahn die Sehnsucht nach einem starken Mann an der Spitze? Und schließlich: Sollte uns England kolonisieren? Erfahren Sie Antworten auf noch nie gestellte Fragen...

 

Ein Kommentar von Andreas Müller

Thomas Häntsch, der Autor eines umstrittenen Artikels namens Die religiöse Dressur des Kindes, den man beim Humanistischen Pressedienst finden kann, betont in seiner Stellungnahme, dass dieser Artikel „nicht die Religion angreift, sondern tatsächliche Gebräuche im Zusammenhang mit der Religionsausübung beschreibt.“

Das ist schade. Aber auch Gebräuche muss man kritisieren dürfen, vor allem absonderliche magische Rituale wie die Kommunion. Leider sind viele Menschen der Überzeugung, es wäre prinzipiell verwerflich, die Religion anzugreifen. Warum? Weil Religiöse sagen, es wäre prinzipiell verwerflich, die Religion anzugreifen. Eine beliebte Argumentation in gläubigen Gefielden: Warum ist die Bibel wahr? Weil die Bibel sagt, sie wäre wahr.

Natürlich würde kein denkender Mensch auch nur im entferntesten auf die Idee kommen, auf einen so billigen Taschenspielertrick hereinzufallen, der sich hinter Jesu Austreibung von Dämonen aus einer Schweinsherde keineswegs verstecken muss. Aber weit gefehlt: Kuschelatheisten tappen in die Falle und machen Gläubigen Konkurrenz, wenn es um den Schutz von „religiösen Gefühlen“ geht.

Die ewige Wiederkehr der Empfindsamkeit

Arbeiten Gläubige womöglich an einem Sturm-und-Drang-Revival? Sind ihre Gefühle so zart und verletzlich wie die von Goethes Werther oder von Richardsons Pamela? Man stelle es sich vor: Osama Bin Laden erwacht eines schönen Morgens in seiner Höhle, während die anderen Terroristen noch schlafen, wirft sich einen Morgenmantel um und geht hinaus ans Tageslicht des pakistanischen Gebirges, in dem er sich aufhält. Gerührt schreibt er sofort einen Brief und berichtet einem deutschen Außenposten der Al Kaida von seinen Gefühlen:

„Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße. Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie die meine.“

Lebensfroh wälzt er sich auf dem Boden, um die Natur zu genießen:

„Wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen, unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen näher an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Alliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält; mein Freund!“

Ist es nicht erstaunlich, wie viele Menschen dieses Szenario für glaubwürdig halten? Doch sehen wir uns einmal an, wer es ist, der auf politischer Ebene religiöse Gefühle schützt – zum Beispiel die Islamisten, die den UN-Menschenrechtsrat übernommen und dort Religionskritik verboten haben – so kommen wir möglicherweise zu dem Ergebnis, dass unsere gottesfürchtigen Lämmlein gar nicht so zartfühlend sind, wie sie tun.

Der halbierte Verstand

Es ist in jeder Hinsicht seltsam, wie man in Deutschland mit diesem Thema umgeht: Man redet über Religion, als ginge es um Hämorrhoiden im Genitalbereich.

Bei einem Vortrag über die Bibel als Literatur in meiner Universität stellte ein Student dem Dozenten sinngemäß die folgende Frage: „Ich hoffe, es ist kein zu persönliches Thema, Sie müssen das auch nicht beantworten, aber ich habe mich gefragt, ob Ihre Erkenntisse in der Bibelforschung ihren Glauben verändert haben. Kann man denn noch seinen Glauben leben, wenn man weiß, dass die Bibel auf alten Mythen basiert?“

An sich eine gute Frage, aber was ist daran persönlich? Sollte ein Wissenschaftler seine „persönlichen“ Glaubensvorstellungen nicht dem Forschungsstand anpassen? Nehmen wir einmal an, es ginge um ein anderes Thema, etwa Phränologie. Diese Pseudowissenschaft (sie hatte berühmte Anhänger wie E.A. Poe) ging davon aus, dass man den Charakter eines Menschen an seiner Schädelform ablesen könne.

Stellen Sie sich vor, dass ein Student einen Neuropsychologen nach dessen Vortrag über die Unwissenschaftlichkeit der Phränologie das folgende fragt: „Ich hoffe, es ist kein zu persönliches Thema, Sie müssen das auch nicht beantworten, aber ich habe mich gefragt, ob Ihre Erkenntnisse in der Hirnforschung ihren Glauben an die Phränologie verändert haben. Kann man denn noch seinen Glauben leben, dass man den Charakter eines Menschen an seiner Schädelform ablesen kann, wenn man weiß, dass er auf alten Mythen basiert?“

Wer als Wissenschaftler glaubt, die Phränologie (oder die Religion) sei unwissenschaftlich, aber privat glaubt, sie wäre stichhaltig, der sollte zum Psychiater gehen, denn es besteht die Gefahr, dass er an einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet. So bedauerlich dieser mentale Defekt auch sein mag, aber sollte man für die Zweiteilung seines Verstandes mit besonderem Respekt belohnt werden oder mit professioneller Hilfe?

Sollte uns England kolonisieren?

In englischsprachigen Ländern wird in Folge des Neuen Atheismus die Religion ständig angegriffen und die säkulare Szene in Großbritannien und in den USA steht fast geschlossen hinter Dawkins, Harris und Hitchens. Kein Priester kann mehr behaupten, dass die aktuelle Naturkatastrophe eine Strafe für zu viel Sodomie wäre, ohne dass einer der Neuen Atheisten zur besten Sendezeit auftauchen würde, um ihm zu sagen, was für einen Unsinn er redet. In England haben sie in kürzester Zeit das House of Lords dazu gebracht, das Blasphemiegesetz abzuschaffen. In den USA haben sich die Bürger, auch wegen der Angriffe von Sam Harris und Christopher Hitchens in den großen Zeitungen und Fernsehmagazinen, entschieden, dass niemand Präsident werden kann, dessen Wunsch-Vize glaubt, dass Menschen und Dinosaurier zur selben Zeit gelebt haben.

In Deutschland gibt es Kirchenprivilegien und Blasphemiegesetz noch immer, als wäre nichts geschehen. Gut, die Islamisten haben jetzt eine eigene Konferenz mit unserem Innenminister, wo wir uns vielleicht auf einen Kompromiss in Sachen Frauensteinigung einigen können, während Evangelikale erfolgreich die Pressefreiheit bekämpfen. Katholiken bedrohen harmlose Liedermacher und verbannen Frösche aus der Kunst. Und Pro Reli hat trotz billiger Propaganda die erste Hürde auf dem Weg zum Verbot eines verpflichtenden weltanschaulichen Dialogs in Berliner Schulen genommen.

In der Tat: Ein umwerfender Erfolg. Nun müssen auch die grimmigsten Gottesleugner einsehen, dass die Strategie der Kuschelatheisten aufgegangen ist.

Der starke Mann an der Spitze

Für Sigmund Freud war Gott ein Vaterersatz für den Gläubigen, Ludwig Feuerbach sah in ihm die Projektion aller Wünsche des Menschen. Für Karl Marx war er eine Hürde, welche die geknechtete Kreatur von der Selbstbefreiung abhält. Christopher Hitchens bietet eine Erklärung an, welche diese Elemente kombiniert und die im Ergebnis noch düsterer ausfällt:

Die Idee eines personalen Gottes, der seine Gläubigen für Gedankenverbrechen bestraft (bei Katholiken zum Beispiel der Gedanke an eine schöne Frau bei der jahrhundertelang verbotenen Masturbation), ist der Wunsch nach einem totalitären Herrscher.

Das sind also Menschen, die so sehr nach einem starken Mann an der Spitze dürsten, die sich so wenig in der Lage sehen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, dass sie sich einen Diktator herbeifantasieren, weil gerade kein echter vorhanden ist. Sie stellen sich vor, da oben gäbe es einen unsterblichen, allmächtigen, allwissenden Kim Il Sung, der das Recht hat, sie – und alle anderen! – zu beherrschen und ihnen vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu leben haben. Jeden Tag knien sie nieder vor ihm, singen Loblieder auf ihn, halten sich an seine Gebote für ihn – wer sieht hier keine Parallelen zum Führerkult um Kim Jong Il und seinen (angeblich unsterblichen) Vater?

Als Christopher Hitchens, das, was ich oben ausführe, bei einer Diskussion mit einem Theologen äußerte, bekam er als Antwort zu hören, dass der Gläubige seinen Gott nicht für einen grausamen Diktator hält, sondern für einen liebenden Vater (ein Freud-Kandidat?). Mal abgesehen von der Frage, was erwachsene Menschen dazu treiben könnte, sich einen liebenden Vater einzubilden und was Atheisten dazu treiben könnte, sie auch noch dafür zu respektieren:

Irakische Schulkinder wurden während der Herrschaft der Baathisten daraufhin indoktriniert, Saddam Hussein als ihren „Papa“ zu bezeichnen und ihn auch als solchen wahrzunehmen. Selbst nach der Befreiung durch die Amerikaner liefen noch Anhänger des Regimes durch die Gegend und sangen Loblieder auf ihren „liebenden Vater“. Indoktrination öffnet den Geist eben für neue Perspektiven.

Ausblick

Ich denke, wir können uns nun darauf einigen, dass der Antitheismus die überhaupt beste und menschenfreundlichste Haltung ist und dank der inzwischen in unzähligen Artikeln angeführten, unübertrefflichen Argumente, ist gewiss jeder davon überzeugt, der überzeugt werden kann. Leider ist mir aufgefallen, dass ich bestimmte Dinge noch nicht oder nur am Rande angesprochen habe, die aber doch von einiger Wichtigkeit sind, es fehlt zum Beispiel die allgemeine Antwort auf die Frage: Was ist eigentlich Religion und warum sollten wir ein Problem damit haben?

Zudem gehe ich auf die gefährlichen Endzeitfantasien von gläubigen Muslimen und Christen ein. Als Sahnehäubchen verteidige ich das Konzept des „gerechten Krieges“ gegen eine zu radikale, aber populäre Form des Pazifismus, weil auch dieses Element der Kuschelatheisten-Trilogie einigen Widerspruch erfahren hat. Also freuen Sie sich auf den nächsten und letzten Teil, es wird apokalyptisch!

Andreas Müller

 

Die Neuen Atheisten
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