BERLIN. (hpd) Wohl selten hat es eine Wahlwerbung mit so wenigen Inhalten und so vielen und zudem verdrehten Parolen gegeben, wie im ‚Wahlkampf' für den Volksentscheid am kommenden Sonntag in Berlin. In der Schlussphase zeigten beide Seiten noch einmal deutlich, wofür sie stehen.
Ein Kommentar von Carsten Frerk
Die Ausgangslage war recht klar. In einer traditionell wenig religiösen Stadtkultur mit aktuell rund 689.000 (20,2 %) evangelischen Kirchenmitgliedern, 318.000 (9,3 %) Katholiken, 216.000 (6,3 %) Muslimen, 11.000 (0,3 %) Juden und 112.000 (3,3 %) Mitgliedern weiterer Religionsgemeinschaften — wobei sich die Religiösen auf mehr als 360 Gruppen und Glaubensgemeinschaften verteilen —, sind 2,1 Millionen (61%) der Bevölkerung konfessionsfrei.
Die Initiative „Pro Reli“, die das Schulgesetz ändern lassen will, so dass Ethik und Religionsunterricht gleichberechtigte Wahlpflichtfächer werden, zwischen denen sich die Eltern bzw. die Schüler zu entscheiden haben, musste mobilisieren, das „Bündnis Pro Ethik plus Religion“ hingegen den ‚Ball flach halten’. Das Berliner Wahlgesetz hat bewusst eine hohe Hürde für den Erfolg von Volksentscheiden gesetzt, da diese nicht nur die Abstimmung selber gewinnen müssen, sondern gleichzeitig muss diese Mehrheit mindestens 25 % der Wahlberechtigten darstellen, zurzeit rund 610.000 Stimmen. Ohne diese Mindestzahl („Quorum“) könnte sonst eine geringe Zahl von Wählern in die Politik eingreifen, wenn nur die einfache Mehrheit in der Abstimmung zählen würde. Der erste Volksentscheid in Berlin -, zum Erhalt des Flughafens Tempelhofs -, hatte dieses Quorum nicht erreicht.
Deutliche Unterschiede
In der Schlussphase des Wahlkampfes zeigten beide Seiten noch einmal deutlich ihre Unterschiede.
Das „Bündnis Pro Ethik plus Religion“ hatte am vergangenen Mittwoch in die kleine Arena des Tempodroms eingeladen und in diesem geschlossenem Raum mit freiem Eintritt bestätigte man sich noch einmal gegenseitig mit politischen Erklärungen und fröhlicher Musik.
Schließlich hat man die schwierige Aufgabe, etwas positiv erhalten zu wollen und dafür müssen die Wähler nun mit „Nein“ abstimmen.
Mit der Moderation der Lebenskundelehrerin Jutta Kausch gab es einen bunten Reigen, der mit einer Trommelvorführung von Grundschülern begann. Einer Erklärung von Walter Momper, dem Schirmherr des Bündnisses, schloss sich dann die „Berufstürkin“ Serpil Pak mit Gesang an. Ein Vertreter des buddhistischen Zentrums trat auf, Desirée Nick als ‚Überraschungsgast’, Swing mit Andrej Hermlin, jiddische Lieder und russische Romanzen mit Suzanna und Karsten Troyke, ergänzt von Vertretern verschiedener Religionen, die sich teilweise explizit gegen die Vereinnahmung durch die politischen Aussagen ihrer organisierten Religionsgemeinschaften zur Wehr setzten. Auch Frieder Otto Wolf, Philosoph und Vorsitzender des Koordinierungsrates säkularer Organisationen (KORSO) und der als Gast anwesende Gregor Gysi bekräftigten ihr Plädoyer für den Erhalt des gemeinsamen Ethikunterrichts.
Alle Plakate der beteiligten Organisationen blieben die gleichen, wie sie seit Wochen bereits angebracht und aufgestellt waren.
Dreigleisiges Finale
Pro Reli zeigte hingegen ein dreigleisiges Finale. Am Morgen des Mittwochs gaben die beiden prominentesten örtlichen Vertreter der Kirchen eine Pressekonferenz und posierten mit Buchstaben für die Presse. Das Selbstbewusstsein des evangelischen Bischofs Wolfgang Huber und des katholischen Erzbischofs Georg Kardinal Sterzinsky ließ nichts zu wünschen übrig. Sterzinsky kommentierte den Wunsch des Regierenden Bürgermeisters, dass er die Kirchen auch weiterhin im Boot haben möchte. Dies würde aber nur gehen, so Sterzinsky, wenn Staat und Kirche sich auf gleicher Augenhöhe, gleichberechtigt, begegnen würden. Huber versagte sich bis zum Sonntag jegliche Spekulation über eine mögliche Niederlage und geht von einer Mehrheit für Pro Reli aus. Auf die Frage, wann denn das Berliner Modell eingeführt worden sei – 1948 oder 1949 -, korrigierte Huber dann die Fragestellerin und betonte, dass bereits 1945 die sowjetische Militäradministration die Kirchen und den Religionsunterricht zurückgedrängt habe. Wenn nichts mehr hilft – Landesbischof Dibelius hatte sich seinerzeit dafür eingesetzt, dass aufgrund der NS-Erfahrungen der Religionsunterricht ausschließlich von den Kirchen, ohne staatlichen Einfluss, angeboten werden sollte -, dann soll anscheinend ein latenter Antikommunismus aus der Patsche helfen.
Ja-Gang
Am Donnerstagabend wurde dann von „Pro Reli“ eine „Demonstration für Wahlfreiheit“ veranstaltet und um 18:00 eine Seite des Kurfürstendamms dafür abgesperrt. Möglichst bunt und kreativ -, so war es der Wunsch des Veranstalters gewesen -, sollten viele selbst gemachte Banner und Kostüme zu sehen sein und Musik jeglicher Form wäre ebenfalls willkommen. Die – nach Schätzung eines anwesenden Polizeiführers -, rund 800 TeilnehmerInnen waren dann aber nicht so kreativ gewesen und neben den 500 „Leibchen“, die ausgegeben worden waren, bestimmten von „Pro Reli“ industriell vorgefertigte und bedruckte Luftballons das Bild.
Dieses Bild eines nur mäßigen Interesses auch der eigenen Anhängerschaft zeigte sich ebenfalls an anderen Stellen. So hatte die Mobilisierungsseite von „Pro Reli“ im Internet, auf der Berlin „zum Leuchten“ gebracht werden sollte und man „Lichter für die Freiheit“ setzen konnte, heute Morgen – 2 Tage vor der Wahl – gerade einmal 10.211 Einträge, einige TeilnehmerInnen haben sich dabei gleich mehrfach eingetragen.
Wahlverwirrung
Parallel zu einer Berliner Umfrage, die eine relativ geringe Wahlbeteiligung von 35% prognostizierte und das Erreichen des Quorums in Frage stellte, waren einige große Durchgangsstraßen am Beginn der Woche über Nacht mit großen Plakaten von Pro Reli bestückt. Nachdem schon die gesamte Zeit nicht mit dem Sachbezug des Religionsunterrichtes geworben wurde, sondern stattdessen die „Freiheit“ herhalten musste, wurde nun diese Verwirrtaktik komplettiert, indem man zwei zentrale Begriffe des „Bündnis für Ethik plus Religion“ aufgriff und mit Ethik und Gemeinsamkeit plakatierte: „Ja! Denn freie Wahl ist meine Ethik“ und „Gemeinsam für unsere Kinder“. Es ist mittlerweile bekannt, dass eine nicht unerhebliche Zahl der Wähler nicht weiß, worum es eigentlich bei diesem Volksentscheid geht und sich für die ‚falsche’ Alternative entschieden hat. Ob also diese Verwirrtaktik „ProReli“ hilft oder kontraproduktiv ist, indem die Leute verwirrt zu Hause bleiben, das wird sich zeigen.
Das Wunder der nächtlichen Plakatverwandlung
Eine Besonderheit dieser letzten Zeit ist das Verschwinden von Plakaten des „Bündnis Pro Ethik plus Religion“ in der Nacht und an der gleichen Stelle das Vorhandensein eines der neuesten Plakate von „Pro Reli“. Das bereits in Tegel festgestellte und dokumentierte „Wunder“ lies sich, bei einer Stichprobe, auch in Stadtmitte in der Leipziger Straße feststellen. An den Lichtmasten, an denen am Montag dieser Woche noch Plakate von „Pro Ethik plus Religion“ hingen, befanden sich am Dienstag die größeren von „Pro Reli“. Erstaunlich ist dabei die Faulheit oder die Dreistigkeit der Sachbeschädiger, die sich noch nicht einmal die Mühe gemacht haben, auch die Kabelbinder zu entfernen, mit denen die kleineren Plakate befestigt waren.
Nach den Einschätzungen verschiedener Gesprächspartner haben das Auftreten der Initiative „Pro Reli“ und der beiden großen Kirchen dem Ansehen und der Bedeutung der Religion in der Stadt mehr geschadet, als befördert. Auch die Erwartung, dass man in der „Hitze des Gefechts“ schon mal Fehler macht, die man danach belächelt, wird sich voraussichtlich in Berlin nicht bestätigen. Dafür waren Tonlagen, Darstellungen, Aussagen und Taktiken von „Pro Reli“ teilweise zu sehr jenseits der demokratischen Spielregeln.
Fotografien © Evelin Frerk, Gabriele Groschopp, Carsten Frerk