Mit einem Zelt kann man nicht reden

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Emel Zeynelabidin
Emel Zeynelabidin, Foto: privat

BERLIN. (hpd) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Anfang Juli die gesetzliche Regelung in Frankreich bestätigt, wonach das Tragen von Ganzkörperschleiern oder Gesichtsschleiern in der Öffentlichkeit verboten ist. Diese Entscheidung ist, verfolgt man die Medienkommentare seit dem Urteilsspruch, ebenso umstritten, wie das in Frankreich 2010 erlassene Gesetz selbst, das die Ahndung von Verstößen auch mit Geldstrafe zulässt.

Des Vorsitzende des sog. Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, beklagt, dass ein Burka-Verbot eine Einschränkung der Religions- und Meinungsfreiheit bedeuten könne. Immerhin räumte er aber ein, dass ein Ganzkörperschleier kein islamisches “Muss” sei. Die anderen islamischen Verbände in Deutschland haben sich bislang zum Urteil nicht geäußert.

Emel Zeynelabidin ist heute nicht mehr in einem islamischen Verband organisiert. Von 1995 bis 2005 Vorsitzende war sie Vorsitzende des Islamischen Frauenvereins Cemiyet-i Nisa e.V. und an der Gründung des ersten islamischen Kindergartens sowie der ersten islamischen Privatschule in Berlin beteiligt.

Sie war 30 Jahre lang mit Kopftuch und weiter Kleidung nach den traditionellen Regeln des Islam verhüllt. Als im September 2003 mit der Klage der afghanischen Lehrerin Fereshta Ludin die Kopftuchdebatte begann, begann Emel Zeynelabidin sich mit ihrer Verhüllung als Frau auseinanderzusetzen. Seit neun Jahren hat sie diese Äußerlichkeit abgelegt und mit einem neuen Lebensabschnitt begonnen. Neu deshalb, weil sie die Welt ohne ihre kennzeichnende Verhüllung anders wahrnehmen konnte.

Über ihre Erfahrungen in der muslimischen Community, die den Glauben noch mit der strengen Religionspraxis verbindet und ihre kritische Auseinandersetzung mit der einseitigen Orientierung auf Regeln, Rituale und Äußerlichkeiten, die auch die Bekleidung betrifft (insbesondere von Mädchen und Frauen) hat sie in einem im Jahr 2013 erschienenen Buch "Erwachsen wird man nur im Diesseits sachkundig berichtet.

Der Islam werde von vielen Muslimen als Gesetzesreligion missverstanden und der Koran müsse vielmehr in seinem historischen Kontext als “Universalbotschaft” gelesen werden, so Emel Zeynelabidin, die auch sagt, dass aus dem Koran kein Gebot der Gesichtsverhüllung von Frauen folge.

Der hpd befragte sie zu der Entscheidung des EGMR.

 

hpd: Frau Zeynelabidin, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der letzten Woche das gesetzliche Verbot einer Gesichtsverschleierung in Frankreich bestätigt und festgestellt, dass ein solches Verbot nicht gegen die Menschenrechte der Burka oder Niqab tragenden Frauen verstößt. Gehört die Gesichtsverschleierung zum Islam? Was sagen Sie zu diesem Urteil?

Emel Zeynelabidin: Das Tragen der Burka oder eines Gesichtsschleiers wie des Niqab haben im Islam keine Bedeutung. Vielmehr ist es eine Praxis, die von manchen als Teil der Religionspraxis verstanden wird und in Ländern wie dem Jemen und Afghanistan präsent ist. Für mich liegt hier ein Fall von Pseudoreligion vor, der sich die Islamischen Organisationen in Europa annehmen müssen. Deshalb finde ich es bedauerlich, dass dieses Thema überhaupt beim EuGH gelandet ist.

 

Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass ein Gesichtsschleier eine Barriere zwischen der Trägerin dieses Kleidungsstückes und der Umwelt, somit den anderen Menschen, errichte…

… Zwischenmenschliche Kommunikation findet verbal und non-verbal statt. Mit einem Zelt, das sich bewegt, kann niemand kommunizieren. Aber darum geht es nicht. Hier wird eine symbolische Politik veranstaltet, um einen Trend zu entwickeln, der mit Religion verbunden wird. Eigentlich ist das Tragen dieser Vollverhüllungen mitten in Europa eine Diffamierung des sozialen und friedlichen Kerns des Islam.

 

Würden Sie dies näher erläutern?

Zur Zeit der Entstehung des Islams hat der Prophet Muhammed im Dienste seiner Gesellschaft Probleme gelöst und sich auch sehr für ein menschenwürdiges Leben der Frauen eingesetzt.

Den geschichtlichen Überlieferungen ist zu entnehmen, dass weibliche Neugeborene lebendig begraben wurden, dass Männer sich soviel Frauen nahmen wie sie wollten, dass Frauen keine Rechte auf Eigentum hatten. Hiergegen ist Muhammed eingeschritten. Für ihn stand Bildung an oberster Stelle, und zwar ohne Unterschied zwischen Mann und Frau. Ein bekannter Ausspruch von ihm lautet: strebt nach Bildung, selbst wenn ihr dafür nach China müsstet. Und das erste offenbarte Wort des Koran ist der Imperativ des Verbs “lesen” und lautet: Iqra: lies! was ich bei soviel verbreitetem Analphabetentum unter Muslimen dieser Welt persönlich sehr bemerkenswert finde.

Muhammed war vor 1400 Jahren aus heutiger Sicht durchaus ein Revolutionär. Seine langjährige, glückliche Ehe mit der Geschäftsfrau Hatice hat ihn als sicherlich sehr geprägt, noch bevor er im Alter von 40 Jahren zum Propheten auserwählt wurde.

 

Die säkulare Gesellschaft lebt von wechselseitiger Toleranz. Warum bringen die verschleierten Frauen nicht die Toleranz auf, ihr Gesicht zu zeigen in einer Gesellschaft, in der das Gesicht zeigen, die Kommunikation mit anderen, von wesentlicher Bedeutung ist?

Wir wissen nicht genau, warum diese Personen solch eine extreme Verkleidung anlegen. Es ist sehr wichtig, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Diese Bekleidungsart inmitten unserer Gesellschaften und vielfältigen Kommunikation ist es wert, genauer erforscht zu werden. Es handelt sich schließlich um ein traditionelles Gruppenverhalten, das seine Vorbilder im Ausland hat und die direkte Kommunikation mit der Außenwelt abzulehnen scheint.

Ich hatte einmal die Gelegenheit, mit solch einer Person zu sprechen. Sie war eine zum Islam übergetretene junge Frau mit deutschen Eltern, die sich bei ihrer Entscheidung, eine Vollverhüllung mit Gesichtsschleier zu tragen, auf einen arabischen Gelehrten berief.

 

Den bisher bekanntgewordenen gerichtlich oder behördlich entschiedenen Fällen lässt sich entnehmen, dass es des Öfteren Konvertitinnen waren, die sich für eine Vollverschleierung entschieden haben. Handelt es sich um eine bei Konvertiten nicht selten zu beobachtende “hundertfünfzigprozentige” Identifikation, eine “Überidentifikation” mit der neuen Religion?

Konvertiten kann viel erzählt werden, denn sie sind am Anfang noch unwissend. Wahrscheinlich sind sie auch getrieben aus einer Unzufriedenheit im Leben und Suche nach Zuflucht aus schwierigen Lebensverhältnissen, anstelle sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dann erleben sie Muslime, die ihnen den Islam als ein Konzept darstellen, in dem viele lebenspraktische Dinge schon Generationen vorher von Gelehrten vorgedacht worden sind und deren Antworten komplizierte Sachverhalte unserer modernen Zeit einfach zu erklären scheinen. Ich denke dabei etwa an den Konsum von Alkohol und Drogen. Die Antwort ist einfach: Einem Muslim ist der Konsum dieser Drogen verboten. Durch Gott. Man braucht sich deshalb damit erst gar nicht auseinander zu setzen. Und für das Einhalten dieses Verbotes gibt es dann auch noch Belohnungsversprechen, nach dem Tod, im Jenseits. Das ist praktisch und gefällt.

Konvertiten haben meistens einen “Lehrer” und behandeln diese Person wie eine Respektsperson. Es wundert mich immer wieder, wie Konvertiten sich in diese Richtung der Unterwerfung entwickeln können, obwohl sie doch vorher so viele Wahlmöglichkeiten hatten.

Ich hatte damals zur Zeit meiner “Regelgläubigkeit” keineswegs diese Wahlmöglichkeiten gehabt und möchte sie heute als Gläubige mit eigener Verantwortung nicht mehr missen. Erst in diesen Wahlmöglichkeiten hat sich mir die große Vielfalt des Lebens erschlossen und mich dadurch sogar noch bewusster für meinen Glauben gemacht.

Es ist mir auch ein Rätsel, wie Frauen es schaffen, sich zu verhüllen. Denn die Verhüllung ist ohne Zweifel eine Einschränkung der sozialen Beweglichkeit geworden und beeinträchtigt die Haartracht erheblich. Keine Frisur kann unter dem Tuch bestehen bleiben. Kein Haar bleibt mehr gesund und schön. Außerdem setzen sich diese Frauen den vielen Vorurteilen fremder Menschen aus und machen sich zur Zielscheibe von Diskriminierungen.