Ein Kommentar nicht nur über Franz Münterferings Debattenbeiträge zur Sterbehilfe

Selbstbestimmung über den eigenen Tod ist Mist

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Franz Müntefering
Franz Müntefering

WERL. (hpd) Selbstbestimmung über den eigenen Tod ist Mist - so könnte man abgewandelt aus Münterferings Zitatensammlung (Opposition ist Mist) die Diskussionsbeiträge des SPD-Politikers Franz Münterfering zur Sterbehilfe und für ein Recht auf selbstbestimmtes Leben und Sterben nennen.

Wenn man Franz Münteferings Diskussionsbeiträge zum Thema Sterbehilfe in den letzten Wochen und besonders nach dem Tod von Udo Reiter verfolgt hat, sollte man sich ein Angebot, ihn live zu erleben, nicht entgehen lassen.

Diese Möglichkeit gab es letzten Donnerstag im “Forum der Völker” in der westfälischen, vom Katholizismus geprägten Kleinstadt Werl in Westfalen. Das “Forum der Völker” nannte sich bis in die 1980er Jahre noch Missionsmuseum und wird vom sogenannten Orden der Franziskaner betrieben, die dort gleichzeitig das Geschäft mit der Wallfahrt zu einer Ringpfostenstuhlmadonna in der Werler Basilika betreiben. Mitveranstalter war die Werler Volkshochschule (VHS), die sich mit der Veranstaltungsreihe “Werler Gespräche” nicht unbedingt große Verdienste im Kampf gegen den Obskurantismus erworben hat.

Die Veranstaltung war mit fast 150 Besucherinnen und Besuchern bei einem Eintrittsgeld von 5 Euro ausverkauft.

Unter großem Applaus betrat der Politiker aus dem Sauerland das Rednerpult auf einem altarähnlichen Podium, das an der Rückwand von einem in kräftigen Farben und an Expressionismus erinnerndes Gemälde eines schmerzvoll verzerrten Männergesichts “geziert” wird. Es soll wohl den leidenden Jesus von Nazareth darstellen. Leidensverherrlichung, wie sie in den christlichen Kirchen gepflegt wird.

Mit diesem Bild immer im Hintergrund ging es dann auch dem SPD-Politiker und ehem. Minister für Arbeit und Soziales um Leiden am Lebensende und begleitendes Sterben und viel um Menschenwürde.

Offenbar den Franziskanern (in Kutte anwesend) zu gefallen, versuchte er gleich zu Beginn seines Vortrages mit der Frage, ob auch Sozis in den Himmel kommen, Sympathien zu erheischen.

Dann legte er in seinem bekannt “knackigen” Ton (wie die Lokalpresse schreibt) los. Dabei ging es in seinem Vortrag zunächst darum, jegliche Sterbehilfe und selbstbestimmtes Sterben auch mit Hinweis auf den Suizid von Udo Reiter, dem ehem. MDR Intendanten, der sich am 09. Oktober 2014 für selbstbestimmtes Sterben entschied, zu diskreditieren und Positionen zu vermischen. “Vorsicht an der Bahnsteigkante”, so seine Warnung und Behauptung, Selbstbestimmung könne zu Fremdbestimmung und “das Sterben einfach abzuschneiden zur Mode” werden. Auch schon mit Rücksicht auf die Angehörigen habe die Selbstbestimmung des Sterbenden zurückzustehen.

Weiter verstieg sich Herr Müntefering in seinem vehementen Vortrag in seinen bekannten, an Absurdität grenzenden Aussagen zur Menschenwürde: “Die Würde des Menschen hängt nicht davon ab, ob man sich selbst helfen und pflegen kann!”

Herr Münterfering meint doch wohl nicht, dass jemand zu dieser an Schlichtheit kaum zu überbietenden Aussage anderer Meinung ist? Viele Menschen seien ihr ganzes Leben oder große Teile davon auf fremde Hilfe angewiesen. Deren Leben sei aber dennoch wertvoll, so er weiter.

Bei solchen Aussagen bleibt einem, mal so ausgedrückt, die Spucke weg. Wer so argumentiert, wirft überhaupt erst die Frage nach dem Wert eines Lebens auf. Und wenn in dieser Debatte hinzugefügt wird, dass über das Ende des Lebens nicht mehr der Sterbende oder der unmittelbar vor dem Sterben Stehende selbst entscheiden darf, kommt man leicht in gefährliches Gewässer. Das scheint Herr Müntefering in seinen Debattenbeiträgen offenbar zu übersehen. Hier scheint es angebracht zu rufen: “Vorsicht an der Bahnsteigkante!”

Weiter im Vortrag: Eine vorschnelle Entscheidung über das eigene Ableben, womöglich durch einen Todescocktail - “am besten noch per Krankenkasse” lehne er ab. Solche verfälschende, polarisierende Sprüche und Aussagen gehören ins Reich einer üblen Propaganda. Kommentieren muss man das eigentlich nicht. Auch die von ihm immer wieder vorgetragene Diskriminierung von Sterbehelfern, seien es Ärzte oder Organisationen, die mit dem Tod Geschäfte machen würden, ist üble Propaganda. Will er Sterbehelfer damit in die Nähe krimineller Schieberbanden oder ebensolcher Fluchthelfer stellen?

Wer also glaubte, Franz Münterfering würde sich objektiv mit Sterbehilfe und Sterbebegleitung auseinandersetzen, sah sich getäuscht. Er redete am Thema vorbei, beklagte, als verantwortlich gewesener Sozialpolitiker, Mängel über soziale Defizite, für die er als Minister und Politiker verantwortlich war und ist.

Seine “knackigen” Beispiele, wohin Selbstbestimmung über den eigenen Tod führen könnte, sind unerträglich. Dazu gehören in den Raum gestellte Fragen, was man mit einem 15-jährigen mache, der keinen Bock mehr habe zu leben und nach dem Giftcocktail verlange?

Schließlich blieb in seinem Vortrag noch viel Raum, mit seinem Alter und seiner Fitness zu kokettieren. Sein “Fitnessprogramm” leitete er wiederholt mit den Worten ein: “Ich bin 74 und wenn ich mit Altersgenossen zusammen komme…” - es folgten die Aufzählung altersbedingter Beschwerden und seine Ratschläge und Aufforderungen für mehr Bewegung, die vor Demenz schütze - “die Beine ernähren den Kopf” - um auch rechtzeitig eine Patientenverfügung verfassen zu können.

Dass diese auch das Selbstbestimmungsrecht auf den eigenen Tod und den Wunsch nach ärztlicher Sterbehilfe enthalten könnte, soll laut Müntefering offenbar ausgeschlossen sein. So der Tenor seines Vortrages.

Dass trotz aller Palliativmedizin (hoffentlich macht damit niemand Geschäfte, MS) und trotz Beratung und Sterbebegleitung für Menschen unerträgliche Situationen entstehen können, die Grund genug sind, über das eigene Ende selbst zu entscheiden, will der Sozialdemokrat nicht gelten lassen. Beim Sterben und dem Tod gibt es für ihn offenbar keine Selbstbestimmung.

Dass das Gegenteil von Selbstbestimmung Fremdbestimmung ist, die dem Menschen die Würde nimmt, scheint Herrn Müntefering nicht verstehen zu wollen.

Auf Fragen aus dem Publikum, wie er zur Sterbehilfe von Menschen stehe, die nach totaler Gesichtsentstellung und mit unerträglichen Schmerzen den Antrag auf Sterbehilfe stellen (ein solcher Fall einer Frau aus Frankreich ging durch die Medien), antwortete er - nach bester Politikerart ausweichend - er kenne den Fall nicht persönlich, könne die Einzelheiten nicht beurteilen, usw.

Abschließend soll noch seine bemerkenswerte Einlassung zur bevorstehenden Bundestagsdebatte zur Sterbehilfe nicht unerwähnt bleiben. Mit Erstaunen konnte man zur Kenntnis nehmen, dass der ehemalige Minister Gesetzesformulierungen andeutete, die in eine Straßenverkehrsordnung gepasst hätten.

Sein Mitgefühl sprach er über die Abgeordneten aus, die namentlich dafür geradestehen müssten, wenn es um Entscheidungen über Leben und Tod gehe. Das sei den Abgeordneten in Fragen zur Sterbehilfe nicht zuzumuten. Glaubwürdiger wäre, Herr Müntefering, auch in anderen Zusammenhängen, wie z. B. bei Kriegseinsätzen, auf diese problematischen Gewissensentscheidungen hinzuweisen.

Bliebe zum Schluss noch die Frage, ob Sozis Schwierigkeiten haben, in den Himmel zu kommen? Wenn Sozis Schwierigkeiten haben, dann Herr Müntefering als ehem. Arbeits- und Sozialminister und -politiker (Hartz 4, Tafeln) sicher weniger.

Und übrigens, das Leidensgesicht im Hintergrund des Podiums war das passende Bühnenbild an diesem Vortragsabend mit Franz Müntefering.