Mit dem Handy in der Hand das Mittelalter herbeisehnen

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Der russische Präsident Wladimir Putin und der Moskauer Patriarch Kyrill I.
Wladimir Putin und Patriarch Kyrill

Für den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. waren die letzten 500 Jahre ein "tragischer Trend in der Entwicklung der Zivilisation". Er wünscht sich das Mittelalter zurück und träumt von einer Zeit, als die Kirche noch unwidersprochene Herrscherin über Mensch und Gesellschaft war.

Der (vermutliche) Ex-KGB-Agent Kyrill ist dem sicheren Ex-KGB-Mann Putin in inniger Freundschaft verbunden. Schließlich hat Putin der russisch-orthodoxen Kirche doch erst wieder zu jener Macht zu verholfen, die ihr in der sowjetischen Ära verweigert wurde. 

Und so dankt es Kyrill dem Staat Russland: Er verspricht den im Krieg gegen die Ukraine gefallenen russischen Soldaten, dass ihnen "alle Sünden vergeben werden". Das sei – so die Theologin Regina Elsner – allein schon "aus theologischer Sicht hanebüchen und erinnere an die Kreuzzüge oder an den radikalen Islamismus".

Kyrill hält patriotische Reden, die er als Predigten tarnt, und sagte dabei jüngst, dass die Kirche durch Predigten die Vaterlandsliebe der Menschen fördern müsse. Damit befürwortet er nicht nur den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, sondern er legitimiert auch die Verfolgung aller, die dieses völkerrechtswidrige Vorgehen kritisieren.

Das wäre alles schon verwerflich genug und auch ein wenig widerlich. Nun jedoch schoss er den Vogel ab: Bei einem Treffen der Russisch-Islamischen Weltstrategischen Planungsgruppe forderte er allen Ernstes, die Renaissance rückgängig zu machen. Wörtlich sagte er: "…Wo Gott ist, gibt es die göttliche Norm, die uns hilft, gut von böse zu unterscheiden…" Leider habe der Mensch aber den Menschen in den Mittelpunkt gestellt. "Die Grundlagen dieses Denkmodells wurden in der Zeit der europäischen Renaissance gelegt. In der säkularen Geschichtswissenschaft wird die Renaissance als positives Phänomen wahrgenommen, tatsächlich war sie jedoch eine sehr gefährliche Wende in der Entwicklung der westlichen Zivilisation. … "

Und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, setzte er nach mit: "Ich habe es mehr als einmal gesagt und ich sage es noch einmal: Die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist die Herausforderung durch die gottlose säkulare Welt."1

Selbst in russischen Foren wird Kyrill I. ob dieser Aussagen verspottet. Laut BR24 schrieben User unter anderem: "Jeder zahlte Abgaben, die Kirche hatte ihr eigenes Land und ihre eigenen Leibeigenen" und "Das Feudalsystem ist sein [Kyrills] Traum und Wahrzeichen. Damit die Knechte ihm als Tribut Getreide, Vieh, Geld, Autos, Immobilien usw. bringen".

Und wie immer, wenn Ewiggestrige im Internet und mit Hilfe moderner Technik darüber sinnieren, dass die Moderne "böse" sei, kommt eine entsprechende Entgegnung: "Im Mittelalter wäre der Patriarch zwei Wochen lang mit einem Karren von Moskau aus nach Kasan gereist, aber jetzt flog er in einer Stunde mit einer Boeing."

Abschließend: Nun gut, dass sich ein Kirchenfürst wünscht, die Welt würde sich nicht weiterdrehen. Geschenkt. Auch hierzulande fallen mir ein paar Namen von Bischöfen ein, die noch nicht verstanden haben, dass sie nicht über dem Rest der Menschheit stehen. Aber dass er das so laut und deutlich ausspricht und zudem auch gut und gern als Repräsentant nicht nur einer Kirche sondern eines Staates gelten darf: Das ist dann nicht nur irritierend sondern pathologisch und gehört behandelt.

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  1. (Wer diesen Artikel in Gänze lesen möchte, braucht starke Nerven. Kann man sich deutlicher als Demokratiefeind outen als mit solch einem Satz: "Der sogenannte 'Arabische Frühling' brachte den Völkern dieser Länder, von denen die meisten Muslime sind, nur Kummer und unzähliges Unglück." – zitiert nach patriarchia.ru und mittels Übersetzungstools) ↩︎