Rezension

Gegen den Überwachungs-Wahn

Der Jurist und Bürgerrechtler Rolf Gössner wurde fast 40 Jahre lang zu Unrecht in Deutschland vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet und als vermeintlicher Staats- und Verfassungsfeind stigmatisiert. Jetzt hat er ein Buch geschrieben. Unbedingt lesenswert ­– meint Helmut Ortner.

Der Mann galt als Staatsfeind. Vier Jahrzehnte ist er mit großem Aufwand geheimdienstlich beobachtet und ausgeforscht worden. Rolf Gössner, Anwalt, Publizist, Bürgerrechtler und – man darf es so sagen – ein kritischer, radikal-demokratischer Kopf, von Staats wegen gerne als linker, die innere Sicherheit gefährdender Quälgeist ausgeguckt und verfolgt.

Eine "Zielperson" für den Verfassungsschutz. Schon als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar, Buchautor und Rechts­anwalt, als parlamentarischer Berater, danach auch als Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und seit 2007 als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. Es dürfte die längste Dauerbeobachtung eines unabhängigen, parteilosen Bürgers durch den Inlandsgeheimdienst sein, die bislang bekannt ist.

Beispielbild

Die staatlichen Beobachter sammeln und dokumentieren alles: berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich "linksextremi­stischen" und "linksextremistisch beeinflussten" Gruppen und Veranstaltern, bei denen Gössner referiert und diskutiert. Er soll sie dadurch – so wörtlich – als "prominenter Jurist" aufgewertet und gesellschaftsfähig gemacht haben. Aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten konstruiert der Verfassungsschutz gewissermaßen eine "Kontaktschuld". Das will Gössner nicht akzeptieren. Er wehrt sich, er klagt. Gegen die ihm zugewiesene Rolle als Staatsfeind – gegen den Verfassungsschutz, dessen Aufgabe es ist, die Verfassung und die Verfassungsrechte zu schützen. Auch die des kritischen Bürgers Gössner.

Es wird ein langer juristischer Kampf. Nach einem bald 15-jährigen Klageverfahren endlich das Urteil: das Bundesverwaltungsgericht erklärt die Dauerüberwachung rechtskräftig für unverhältnismäßig und grundrechtswidrig – und hat ihn damit endgültig rehabilitiert. Höchstrichterlich festgehalten ist: fast 40 Jahre lang wurde der Bürger Rolf Gössner zu Unrecht vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet und als vermeintlicher Staats- und Verfassungsfeind stigmatisiert. Alles ordentlich dokumentiert und aufgelistet in einer über 2.000 Seiten starken Personen-Akte, die auch nach dem Urteilsspruch weiterhin überwiegend geheim gehalten wird.

Das Buch ist eine Parabel über einen Überwachungswahn, der unter dem Etikett "Innere Sicherheit" unsere Demokratie gefährdet.

Auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, zur "jahrzehntelangen rechtswidrigen Beobachtung eines kritischen Journalisten und Anwalts durch das Bundesamt für Verfassungsschutz" antwortete die Bundesregierung, die Regierung sei sich "der aus der Beobachtung resultierenden Konsequenzen für die Betroffenen bewusst. Sie sind Teil der Rechtmäßigkeitsprüfung und als solche im Rahmen der Feststellung der Verhältnismäßigkeit bei jeder Beobachtungsmaßnahme zu berücksichtigen ..." Im Klartext: "Die Verhältnismäßigkeits- und Rechtmäßigkeitsprüfung im Überwachungsfall Gössner ist offensichtlich über Jahrzehnte entweder nicht erfolgt oder aber nur oberflächlich, einseitig-interessegeleitet und -ideologisch motiviert durchgeführt worden", so Jelpke. So sieht es auch das Bundesverwaltungsgericht. Es wertete die illegale Beobachtung angesichts ihrer Dauer als "in handgreiflicher Weise unangemessen". Die Bundesregierung freilich, die in allen Instanzen verloren hat, ist bis heute nicht bereit, sich bei ihrem Bürger Gössner zu entschuldigen oder gar eine finanzielle Wiedergutmachung zu leisten.

Nun hat Rolf Gössner ein Buch geschrieben. Nicht sein erstes, aber ein besonders erhellendes und aktuelles Buch. Es ist mehr als eine persönliche Bestandsaufnahme einer grotesken Langzeit-Überwachung. Es ist eine Parabel über einen Überwachungswahn, der unter dem Etikett "Innere Sicherheit" unsere Demokratie gefährdet. Ein Kompendium über Demokratie-Gefährdung und Demokratie-Verteidigung. Der Autor beschreibt die vielfältigen staatlichen Überwachungs- und Aufrüstungsmaßnahmen auf dem Weg einer fatalen Entwicklung im Namen der Sicherheit. In seinen "BigBrother-Laudationes" geht es um präventiv-polizeiliche Überwachung der Telekommunikation, um die digitale Aufrüstung im globalen Cyberkrieg, um Datenkraken im öffentlichen Dienst und er fragt – mit aktuellem Bezug – auch nach Folgen und Gefahren von Demokratie- und Grundrechtsbeschränkungen im Zuge der Corona-Krise.

So bleibt zu hoffen, dass den Autor das höchstrichterliche Urteil trotz staats- und gesellschaftskritischem Inhalt seines neuen Buches vor weiteren geheimdienstlichen Nachstellungen schützt. Und falls Verfassungsbeamte nicht von ihrer "Zielperson" lassen können, sei ihnen erkenntnisreiche Lektüre gewünscht.

Rolf Gössner: Datenkraken im öffentlichen Dienst. "Laudatio" auf den präventiven Sicherheits- und Überwachungsstaat. PapyRossa Verlag 2021, 366 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3894387532.

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