Eine Einladung von Philipp Möller und Rainer Rosenzweig an Thomas Heinrichs

Von der Arena auf den Marktplatz

_3_2021-09-19_cef_dsc04528.jpg

Am 19. September 2021 beschloss der Koordinierungsrat säkularer Organisationen (KORSO) seine Umbenennung in Zentralrat der Konfessionsfreien. Von links: Michael Wladarsch (bfg Bayern), Elke Held (gbs), Ralf Lux (DFV), Stefan Paintner (Säkulare Flüchtlingshilfe), Philipp Möller (Zentralrat), Laura Wartschinski (BAGHS), Konstantin Haubner (BAGHS), Michael Schmidt-Salomon (gbs), Rainer Rosenzweig (Zentralrat), Silvia Kortmann (vorne, IBKA), Ulla Bonnekoh (hinten, DGHS), Petra Bruns (IBKA), Detlef Diekow (JwD), Wolf Merk (StG), Swaantje Schlittgen (DFW).

In einem hpd-Kommentar kritisierte Thomas Heinrichs, Vizepräsident des HVD Berlin-Brandenburg, gestern die Umbenennung und Umstrukturierung des Koordinierungsrats säkularer Organisationen (KORSO) in einen Zentralrat der Konfessionsfreien. Rainer Rosenzweig und Philipp Möller vom Zentralrat der Konfessionsfreien antworten auf die Kritik mit einem offenen Brief.

Lieber Thomas Heinrichs,

zuerst einmal danken wir Ihnen für Ihre Kritik an der nahezu einstimmigen Entscheidung der Verbände im bisherigen KORSO, sich nicht nur zum Zentralrat der Konfessionsfreien umzubenennen, sondern im gleichen Zuge auch die inneren Strukturen umzubauen und so den Grundstein für die politische Lobbyarbeit zu legen. Sie mögen diesen Schritt nicht begrüßen, aber wir begrüßen es wiederum, Ihre Haltung dazu zu lesen, denn unsere eigene kennen wir ja schon – wie gut, dass es den hpd als Portal für den Austausch gibt.

Wir fangen mal hinten an: Dass Sie, Thomas Heinrichs, dem Zentralrat der Konfessionsfreien, also uns, nicht zutrauen, auf politischer Ebene wahrgenommen zu werden, haben wir erwartet und wollen es auch nicht bewerten. Woher Sie jedoch die Gewissheit für diese geradezu prophetische Leistung nehmen, erschließt sich uns nicht. Redlich wäre es doch, den fruchtbaren Boden anzuerkennen, auf dem unser Zentralrat nach vielen Jahren des zarten Wachstums und der harten Verhinderung nun endlich gedeihen kann. Wir mögen vielleicht bloß einige zehntausend Mitglieder in den Reihen unserer Verbände versammeln – auch ohne den HVD, eine Null haben Sie uns vielleicht versehentlich unterschlagen? Aber in diesen Reihen haben wir eine Expertise in säkularen Fragen versammelt, die ihresgleichen sucht.

Am 19.9.2021 haben die Delegierten der KORSO-Ratsversammlung mit nur einer Gegenstimme für Satzungsänderungen gestimmt, in deren Folge u.a. der KORSO künftig Zentralrat der Konfessionsfreien heißen wird. In der nächsten ordentlichen Ratsversammlung im Frühjahr 2022 wird der Zentralrat der Konfessionsfreien einen Vorstand nach neuer Satzung wählen und sich dann der Öffentlichkeit präsentieren.

Die "konstruktive Verbandsarbeit" wiederum, die Sie sich wünschen, hat doch stattgefunden, und zwar gegen alle Widerstände; das Ergebnis davon ist die Gründung des Zentralrats der Konfessionsfreien. Und dieser Zentralrat versteht sich übrigens gar nicht als "Dachverband", sondern arbeitet auf der Grundlage der gemeinsamen Positionen, auf die wir uns im KORSO geeinigt haben. Abzüglich dessen, was sich vielleicht als "vereinsmeierische Erbsenzählerei" bezeichnen lässt und außerhalb der Verbände ohnehin niemanden interessiert, sind das wirklich viele, sehr klare und progressive Positionen – kleiner Vorschlag von uns: Seien Sie doch einfach mal gespannt auf die konkrete Arbeit des Zentralrats! Den Schritt vom KORSO zum Zentralrat der Konfessionsfreien sind nach dem Austritt des HVD, von dem wir wissen, dass er intern durchaus umstritten ist, übrigens alle Verbände gemeinsam gegangen – mit Ausnahme lediglich des DFW, der bisher nur seine Absicht erklärt hat, auszutreten, es aber noch nicht getan hat.

Dass Sie nun alle im Zentralrat der Konfessionsfreien versammelten Verbände pauschal mit dem Label "radikale Religionskritik" bekleben, ist einfach nicht gerechtfertigt. Die gesellschaftliche Situation hat sich in den letzten Jahren so grundlegend geändert, dass Religionskritik nicht mehr im Schaufenster der Arbeit unserer Verbände stehen muss – weil die Probleme mit Religion längst offensichtlich sind. Entsprechend haben wir auch für den Zentralrat entschieden, dass wir Religionskritik, wenn überhaupt nur dort anbringen werden, wo sie wirklich nötig ist. Im Mittelpunkt stehen stattdessen unser eigenes positives Angebot, unser Wertegerüst und unser Recht auf ein konfessionsfreies Leben – all das wüssten Sie, wenn sich die konstruktiven und kooperativen Kräfte in Ihrer Organisation durchgesetzt hätten.

Natürlich werden wir uns die Frage stellen lassen müssen, wen wir eigentlich vertreten. Mag ja auch sein, dass nicht all unsere Organisationen über unsere Kreise hinaus bekannt sind, aber das ist nicht relevant. Relevant sind stattdessen unsere Argumente: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland spricht jedem Menschen das Recht auf ein konfessionsfreies Leben zu, und solange auch nur ein einziges Gesetz in Deutschland auf religiösen Überzeugungen fußt, wird dieses Recht verletzt. Und hier liegt auch der wichtige Unterschied zwischen uns und dem Zentralrat der Jesiden, der orientalischen Christen oder dem der Fliesentischbesitzer: Nicht nur die Verfassung fordert das Recht auf ein konfessionsfreies Leben ein, auch die Menschen tun es.

Schon heute sind 41 Prozent der Deutschen konfessionsfrei, und es werden immer mehr. Ihrer etwas eigenwilligen Definition von Konfessionsfreiheit schließen wir uns nicht an; konfessionsfrei ist, wer auf der Lohnsteuerkarte weder evangelisch noch katholisch noch irgendeine andere Konfession angegeben hat. Eine "Weltanschauung" hat hingegen jeder Mensch. Die weltanschauungspolitischen Übereinstimmungen jedoch sind in der Gruppe der Konfessionsfreien keineswegs diffus, wie Sie behaupten, sondern ganz im Gegenteil sehr hoch; deutlich höher übrigens als bei den Mitgliedern der katholischen oder der evangelischen Kirche, was wenig wundert, weil sie in der Regel von ihren Eltern "in die Kirche eingetreten wurden", sich dort aber oft weder spirituell noch politisch zuhause fühlen. Die Zustimmungen zu unseren Positionen wiederum – und damit auch zu denen des HVD! – gehen entsprechend weit über die 41 Prozent hinaus, sind oft doppelt so hoch, werden also auch unter Kirchenmitgliedern geteilt. Es lässt sich also sagen: Die Menschen in Deutschland haben keine Lust mehr, sich ihr Leben von autoritären Strukturen vorschreiben zu lassen, seien sie nun politisch oder religiös. Wer sich in dieser Beschreibung wiederfindet, ist herzlich eingeladen, sich von uns vertreten zu fühlen.

Dass nun wiederum jemand wie Sie, lieber Thomas Heinrichs, unser Engagement für das Recht auf ein konfessionsfreies Leben schon torpediert, bevor wir überhaupt angefangen haben, wirft Fragen auf: Wollen Sie an den bestehenden Verhältnissen überhaupt etwas ändern? Wenn ja, was gedenken Sie dagegen zu unternehmen? Es mag Unschärfen geben in unserer Namensgebung (auch wenn der Kommentar von Daniela Wakonigg dazu vieles klarstellt) und Diskussionsbedarf bezüglich unserer Arbeit – aber was ist die Alternative zur Gründung des Zentralrats der Konfessionsfreien und zur Aufnahme der politischen Lobbyarbeit? Denn auf diese haben sich Vertreterinnen und Vertreter der damaligen KORSO-Mitgliedsverbände in einer Klausur im Oktober 2020 gemeinsam verständigt – mit nur einer Gegenstimme damals (der HVD war mit zwei Stimmen dort vertreten). Was schlagen Sie also stattdessen vor? Weitermachen wie bisher? Die "säkulare Szene", wie Sie sie nennen, hat sich jahrelang sortiert, vielleicht jahrzehntelang, hat diskutiert und sondiert. Aus der Szene ist längst eine Bewegung geworden, deren Haltungen in weiten Teilen der Bevölkerung wie selbstverständlich vorhanden sind. Jetzt ist die Zeit also reif, gemeinsam etwas zu ändern, denn jetzt haben wir nicht nur die Verfassung hinter uns, sondern bald auch die kritische Masse in der Bevölkerung: über 50 Prozent Konfessionsfreie.

Oder wollen Sie, lieber Thomas Heinrichs, an den bestehenden Verhältnissen überhaupt nichts ändern, sondern die finanziellen und juristischen Privilegien, die die Kirchen genießen, auch für sich und Ihren Verband einfordern? Und ist der Vorwurf der "Verkirchlichung" vielleicht eine klassische Projektionsleistung Ihrerseits?

Wie auch immer: Dass der HVD aus dem KORSO ausgetreten ist, bedauern wir sehr, denn tatsächlich ist mit ihm eine wichtige Organisation ausgetreten. Wir betonen aber auch weiterhin, dass unsere Türen weit offen stehen für den HVD und haben viel Hoffnung, dass sich die kooperativen Kräfte im HVD gegen die separatistischen am Ende durchsetzen werden. Denn uns ist vollkommen klar, dass dort durchaus verschiedene Perspektiven auf unseren Zentralrat existieren, nicht nur Ihre. Gleiches gilt für den DFW, denn auch hier sind unsere Gemeinsamkeiten weitaus größer als unsere Unterschiede – und an den Unterschieden können bekanntlich auch alle Beteiligten wachsen.

Ob Sie, Thomas Heinrichs, uns nun die Chance auf Erfolg einräumen oder nicht, ist für unseren Erfolg vollkommen unerheblich – es sei denn, Sie haben vor, unsere überschaubaren Kapazitäten (immerhin werden wir im Gegensatz zu Ihnen nicht staatlich subventioniert) weiterhin durch öffentliche Misstrauensvorschüsse zu verschwenden und unseren gemeinsamen politischen Wettbewerbern damit in die Karten zu spielen. Wir laden Sie daher herzlich dazu ein, die inzwischen ziemlich leergefegte humanistische Platzhirscharena zu verlassen und uns auf den säkularen Marktplatz der Ideen zu folgen – denn dort würden wir und viele andere Sie wirklich sehr gern begrüßen!

In freudiger Erwartung auf Ihre Entscheidung verbleiben mit herzlichen Grüßen,

Philipp Möller und Rainer Rosenzweig

Philipp Möller ist seit Oktober 2021 Vorstandssprecher des Zentralrats der Konfessionsfreien. Dr. Rainer Rosenzweig ist seit März 2019 Vorsitzender des damaligen Koordinierungsrats säkularer Organisationen KORSO, heute Zentralrat der Konfessionsfreien.

Unterstützen Sie uns bei Steady!