In einem hpd-Kommentar kritisierte Thomas Heinrichs, Vizepräsident des HVD Berlin-Brandenburg, gestern die Umbenennung und Umstrukturierung des Koordinierungsrats säkularer Organisationen (KORSO) in einen Zentralrat der Konfessionsfreien. Rainer Rosenzweig und Philipp Möller vom Zentralrat der Konfessionsfreien antworten auf die Kritik mit einem offenen Brief.
Lieber Thomas Heinrichs,
zuerst einmal danken wir Ihnen für Ihre Kritik an der nahezu einstimmigen Entscheidung der Verbände im bisherigen KORSO, sich nicht nur zum Zentralrat der Konfessionsfreien umzubenennen, sondern im gleichen Zuge auch die inneren Strukturen umzubauen und so den Grundstein für die politische Lobbyarbeit zu legen. Sie mögen diesen Schritt nicht begrüßen, aber wir begrüßen es wiederum, Ihre Haltung dazu zu lesen, denn unsere eigene kennen wir ja schon – wie gut, dass es den hpd als Portal für den Austausch gibt.
Wir fangen mal hinten an: Dass Sie, Thomas Heinrichs, dem Zentralrat der Konfessionsfreien, also uns, nicht zutrauen, auf politischer Ebene wahrgenommen zu werden, haben wir erwartet und wollen es auch nicht bewerten. Woher Sie jedoch die Gewissheit für diese geradezu prophetische Leistung nehmen, erschließt sich uns nicht. Redlich wäre es doch, den fruchtbaren Boden anzuerkennen, auf dem unser Zentralrat nach vielen Jahren des zarten Wachstums und der harten Verhinderung nun endlich gedeihen kann. Wir mögen vielleicht bloß einige zehntausend Mitglieder in den Reihen unserer Verbände versammeln – auch ohne den HVD, eine Null haben Sie uns vielleicht versehentlich unterschlagen? Aber in diesen Reihen haben wir eine Expertise in säkularen Fragen versammelt, die ihresgleichen sucht.
Die "konstruktive Verbandsarbeit" wiederum, die Sie sich wünschen, hat doch stattgefunden, und zwar gegen alle Widerstände; das Ergebnis davon ist die Gründung des Zentralrats der Konfessionsfreien. Und dieser Zentralrat versteht sich übrigens gar nicht als "Dachverband", sondern arbeitet auf der Grundlage der gemeinsamen Positionen, auf die wir uns im KORSO geeinigt haben. Abzüglich dessen, was sich vielleicht als "vereinsmeierische Erbsenzählerei" bezeichnen lässt und außerhalb der Verbände ohnehin niemanden interessiert, sind das wirklich viele, sehr klare und progressive Positionen – kleiner Vorschlag von uns: Seien Sie doch einfach mal gespannt auf die konkrete Arbeit des Zentralrats! Den Schritt vom KORSO zum Zentralrat der Konfessionsfreien sind nach dem Austritt des HVD, von dem wir wissen, dass er intern durchaus umstritten ist, übrigens alle Verbände gemeinsam gegangen – mit Ausnahme lediglich des DFW, der bisher nur seine Absicht erklärt hat, auszutreten, es aber noch nicht getan hat.
Dass Sie nun alle im Zentralrat der Konfessionsfreien versammelten Verbände pauschal mit dem Label "radikale Religionskritik" bekleben, ist einfach nicht gerechtfertigt. Die gesellschaftliche Situation hat sich in den letzten Jahren so grundlegend geändert, dass Religionskritik nicht mehr im Schaufenster der Arbeit unserer Verbände stehen muss – weil die Probleme mit Religion längst offensichtlich sind. Entsprechend haben wir auch für den Zentralrat entschieden, dass wir Religionskritik, wenn überhaupt nur dort anbringen werden, wo sie wirklich nötig ist. Im Mittelpunkt stehen stattdessen unser eigenes positives Angebot, unser Wertegerüst und unser Recht auf ein konfessionsfreies Leben – all das wüssten Sie, wenn sich die konstruktiven und kooperativen Kräfte in Ihrer Organisation durchgesetzt hätten.
Natürlich werden wir uns die Frage stellen lassen müssen, wen wir eigentlich vertreten. Mag ja auch sein, dass nicht all unsere Organisationen über unsere Kreise hinaus bekannt sind, aber das ist nicht relevant. Relevant sind stattdessen unsere Argumente: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland spricht jedem Menschen das Recht auf ein konfessionsfreies Leben zu, und solange auch nur ein einziges Gesetz in Deutschland auf religiösen Überzeugungen fußt, wird dieses Recht verletzt. Und hier liegt auch der wichtige Unterschied zwischen uns und dem Zentralrat der Jesiden, der orientalischen Christen oder dem der Fliesentischbesitzer: Nicht nur die Verfassung fordert das Recht auf ein konfessionsfreies Leben ein, auch die Menschen tun es.
Schon heute sind 41 Prozent der Deutschen konfessionsfrei, und es werden immer mehr. Ihrer etwas eigenwilligen Definition von Konfessionsfreiheit schließen wir uns nicht an; konfessionsfrei ist, wer auf der Lohnsteuerkarte weder evangelisch noch katholisch noch irgendeine andere Konfession angegeben hat. Eine "Weltanschauung" hat hingegen jeder Mensch. Die weltanschauungspolitischen Übereinstimmungen jedoch sind in der Gruppe der Konfessionsfreien keineswegs diffus, wie Sie behaupten, sondern ganz im Gegenteil sehr hoch; deutlich höher übrigens als bei den Mitgliedern der katholischen oder der evangelischen Kirche, was wenig wundert, weil sie in der Regel von ihren Eltern "in die Kirche eingetreten wurden", sich dort aber oft weder spirituell noch politisch zuhause fühlen. Die Zustimmungen zu unseren Positionen wiederum – und damit auch zu denen des HVD! – gehen entsprechend weit über die 41 Prozent hinaus, sind oft doppelt so hoch, werden also auch unter Kirchenmitgliedern geteilt. Es lässt sich also sagen: Die Menschen in Deutschland haben keine Lust mehr, sich ihr Leben von autoritären Strukturen vorschreiben zu lassen, seien sie nun politisch oder religiös. Wer sich in dieser Beschreibung wiederfindet, ist herzlich eingeladen, sich von uns vertreten zu fühlen.
Dass nun wiederum jemand wie Sie, lieber Thomas Heinrichs, unser Engagement für das Recht auf ein konfessionsfreies Leben schon torpediert, bevor wir überhaupt angefangen haben, wirft Fragen auf: Wollen Sie an den bestehenden Verhältnissen überhaupt etwas ändern? Wenn ja, was gedenken Sie dagegen zu unternehmen? Es mag Unschärfen geben in unserer Namensgebung (auch wenn der Kommentar von Daniela Wakonigg dazu vieles klarstellt) und Diskussionsbedarf bezüglich unserer Arbeit – aber was ist die Alternative zur Gründung des Zentralrats der Konfessionsfreien und zur Aufnahme der politischen Lobbyarbeit? Denn auf diese haben sich Vertreterinnen und Vertreter der damaligen KORSO-Mitgliedsverbände in einer Klausur im Oktober 2020 gemeinsam verständigt – mit nur einer Gegenstimme damals (der HVD war mit zwei Stimmen dort vertreten). Was schlagen Sie also stattdessen vor? Weitermachen wie bisher? Die "säkulare Szene", wie Sie sie nennen, hat sich jahrelang sortiert, vielleicht jahrzehntelang, hat diskutiert und sondiert. Aus der Szene ist längst eine Bewegung geworden, deren Haltungen in weiten Teilen der Bevölkerung wie selbstverständlich vorhanden sind. Jetzt ist die Zeit also reif, gemeinsam etwas zu ändern, denn jetzt haben wir nicht nur die Verfassung hinter uns, sondern bald auch die kritische Masse in der Bevölkerung: über 50 Prozent Konfessionsfreie.
Oder wollen Sie, lieber Thomas Heinrichs, an den bestehenden Verhältnissen überhaupt nichts ändern, sondern die finanziellen und juristischen Privilegien, die die Kirchen genießen, auch für sich und Ihren Verband einfordern? Und ist der Vorwurf der "Verkirchlichung" vielleicht eine klassische Projektionsleistung Ihrerseits?
Wie auch immer: Dass der HVD aus dem KORSO ausgetreten ist, bedauern wir sehr, denn tatsächlich ist mit ihm eine wichtige Organisation ausgetreten. Wir betonen aber auch weiterhin, dass unsere Türen weit offen stehen für den HVD und haben viel Hoffnung, dass sich die kooperativen Kräfte im HVD gegen die separatistischen am Ende durchsetzen werden. Denn uns ist vollkommen klar, dass dort durchaus verschiedene Perspektiven auf unseren Zentralrat existieren, nicht nur Ihre. Gleiches gilt für den DFW, denn auch hier sind unsere Gemeinsamkeiten weitaus größer als unsere Unterschiede – und an den Unterschieden können bekanntlich auch alle Beteiligten wachsen.
Ob Sie, Thomas Heinrichs, uns nun die Chance auf Erfolg einräumen oder nicht, ist für unseren Erfolg vollkommen unerheblich – es sei denn, Sie haben vor, unsere überschaubaren Kapazitäten (immerhin werden wir im Gegensatz zu Ihnen nicht staatlich subventioniert) weiterhin durch öffentliche Misstrauensvorschüsse zu verschwenden und unseren gemeinsamen politischen Wettbewerbern damit in die Karten zu spielen. Wir laden Sie daher herzlich dazu ein, die inzwischen ziemlich leergefegte humanistische Platzhirscharena zu verlassen und uns auf den säkularen Marktplatz der Ideen zu folgen – denn dort würden wir und viele andere Sie wirklich sehr gern begrüßen!
In freudiger Erwartung auf Ihre Entscheidung verbleiben mit herzlichen Grüßen,
Philipp Möller und Rainer Rosenzweig
9 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Spaltung hat noch nie zum Erfolg geführt, sondern immer nur einheitlicher Zusammenhalt
der besten Argumente für eine, als wichtig und richtig erkannte Sache.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Tolle Antwort auf das Geschwurbel von gestern! Ich bin stolz, dabei zu sein.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Phil ist zurück.
Gerhard Lein am Permanenter Link
Gut. So klar und direkt auf die gestrige Ablehnung des ZKon durch einen Spitzenvertreter des HVD Berlin-Brandenburg (übrigens KdöR, genauso wie die Mehrheit der Kirchen) zu reagieren ist angemessen.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Als langjähriges Mitglied im HVD – neben einer Reihe anderer religionskritischer Vereinigungen – habe ich mich über die Auslassungen des Herrn Heinrichs gewundert und geärgert.
Thomas Oppermann am Permanenter Link
Ich bin gerade zu dankbar für diesen offenen Brief, zeigt er doch recht eindrücklich, dass die Umbenennung des KORSO in einen Zentralrat – für wen auch immer, einhergeht mit einer gewissen Selbstüberschätzung.
Etwas absurd klingt diese Idee, wenn die gleichen gesellschaftlich bedeutenden Organisationen einen Zentralrat der Frauen gründen würden, womit sie immerhin unabhängig der konkreten Mitglieder in Anspruch nehmen für über 50% der Bevölkerung zu sprechen. Ein solcher Zentralrat hätte mit Sicherheit auch argumentativ mit dem Grundgesetz eine schlagende Wirkung. Würde jedoch kaum über allgemeine Forderungen zur Gleichberechtigung hinaus kommen, denn alle konkreten Ideen oder Vorschläge würden von den vielen unterschiedlichen Organisationen und Gruppen von Frauen entsprechend zurückgewiesen. Denn selbstverständlich sind alle Menschen für Gleichberechtigung, in den konkreten Forderungen finden sie aber nur schwer zusammen. Und so sehr Frausein verbindend wirken mag, sowenig ist dies doch ein Indiz für gemeinsames poltisches Handeln. Wobei verglichen mit den 41% Konfessionsfreien…
Und so kann sich der Zentralrat der Konfessionsfreien freuen, dass es kaum andere Organisationen von Konfessionsfreien außer dem HVD gibt, die seinen Forderungen widersprechen würden. Daraus aber zu Schlußfolgern es gäbe eine breite Unterstützung von Konfessionsfreien für die eigenen Forderungen ist dann eher ein Trugschluss, Schweigen ist eben keine Zustimmung und schon gar keine Unterstützung.
Durch seinen etwas größenwahnsinnigen Anspruch für alle Konfessionsfreien sprechen zu wollen, ist auch der Anspruch verbunden dies beträfe auch den HVD denn unbestritten auch die HVD Mitglieder sind Konfessionsfrei, zumindest im Sinne des Eintrags auf der Lohnsteuerkarte. Damit ist der Markt eröffnet, der Zentralrat der Konfessionsfreien, hat eine Organisation von Konfessionsfreien in seinem Umfeld, welche andere Ziele verfolgt und entsprechend Widerspruch äußern wird und muss.
Ob dies für eine politische Lobbyarbeit sinnvoll ist, mag ich nicht einzuschätzen, solange sich die Auseinandersetzung auf den HPD beschränkt, wird es keinen großen Schaden anrichten. Wenn es aber unsere Bubble verläßt, sieht es schon anders aus.
Philipp Möller am Permanenter Link
Lieber Thomas Oppermann,
auch Ihnen besten Dank dafür, dass Sie sich die Zeit für die Auseinandersetzung mit uns genommen haben. Wir finden den Dialog mit allen Vertretern des HVD wichtig, mit den kooperativen ebenso wie mit den kritisch-ablehnenden.
Außerdem verdeutlicht auch Ihr Kommentar, dass wir unser Selbstverständnis als Zentralrat der Konfessionsfreien, unsere Kommunikationsstrategie und unsere Ziele veröffentlichen sollten. Würden Sie die kennen, wären bestimmte Unterstellungen unwahrscheinlicher – hier mal die wichtigste:
Wir behaupten nicht, alle 41% der Konfessionsfreien vertreten zu können, sondern wir stellen erst einmal nur fest, dass schon 41% konfessionsfrei sind und die Zustimmungen zu Selbstbestimmung und Rationalität noch weit darüber hinaus gehen; wir laden Menschen und Organisationen, die unsere Ziele teilen, dazu ein, sich von uns vertreten zu fühlen – das haben wir unmissverständlich geschrieben. Wir bieten uns der Politik als Ansprechpartner in allen Fragen rund um diese größte Wählergruppe an, weil Deutschland noch immer erheblichen säkularen Nachholbedarf hat. Dafür werden wir uns durch Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit einsetzen, nicht mehr und nicht weniger.
Ob ich Ihren letzten Absatz richtig verstanden habe, weiß ich nicht genau, aber von unserer Seite aus gibt es keinerlei Konkurrenzgedanken gegenüber dem HVD oder irgendwelchen anderen Organisationen, insofern halte ich eine konstruktive Auseinandersetzung über möglichen Dissens zwischen uns für vollkommen unproblematisch – der Diskurs gehört doch zu unserer gemeinsamen Weltanschauung!
Alles weitere folgt bald, guter Impuls, beste Grüße,
Philipp Möller
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Mit Bedauern sehe ich hier leider spalterische Tendenzen welche wir überwinden sollten,
nur Einigkeit macht stark.
A.S. am Permanenter Link
"Die xy-Religion dient der Macht und dem Reichtum der xy-Priesterschaft."
Das gilt für die christlichen Religionen, die jüdische Religion, den islamischen Religionen, vielen, vielen Sekten-Religionen ... gilt das auch für die humanistische "Religion"?
Jedenfalls gilt der obige Spruch auch für viele Ideologien und Pseudo-Religionen, wie z.B. dem Faschismus oder dem Kommunismus.
Religionen und Ideologien muss man auf der weltlichen Ebene angreifen, nicht auf der sprituellen. Und genau das sehe ich als Aufgabe des "Zentralrats der Konfessionsfreien".
Afghanistan und die Ereignisse rund um den "Arabischen Frühling" zeigen doch ganz klar: Die religiösen Führer geben freiwillig keine Macht ab und wo sie sie teilweise verloren haben, wollen sie sie zurück (Pakistan, Bangladesch, Türkei, Ägypten). Und in Nordafrika steht uns die selbe Lehre erneut bevor: Solange die religiösen Führer Macht haben, kämpfen sie gegen jeden Versuch der Demokratisierung. Bei Religion geht es dort ganz schnöde um Macht und Geld für die Mullahs. Der Rest ist Blendwerk. Genau wie bei den Kirchen.