Nach Missbrauchsstudie: Experten sehen wenig Reformwillen

dsc01872.jpg

Vorstellung der Missbrauchsstudie am 13. Juni in Münster.

Am 13. Juni wurde die Studie über den Missbrauch im Bistum Münster der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie zeigte auf, dass der Missbrauch in der katholischen Kirche durch verheerende Ermöglichungsstrukturen befördert wurde und wird. Nun erheben sogar Theologinnen und Theologen das Wort und fordern massive strukturelle Veränderungen in der katholischen Kirche.

Es kam einem Donnerschlag gleich, als die fünf Wissenschaftler der Universität Münster Mitte Juni ihre Studie über sexuellen Missbrauch im Bistum Münster seit 1945 vorstellten. Mindestens 200 Täter, bis zu 6.000 Opfer – die Experten bezeichneten die katholische Kirche als "Täterorganisation", die sich des Machtmissbrauchs schuldig gemacht habe. Die Ergebnisse sorgten republikweit für Aufsehen und Empörung. Vor diesem Hintergrund wäre es naheliegend, dass die katholische Kirche nicht nur Reue zeigt und sich um Wiedergutmachung bemüht, sondern vor allem Reformen angeht, die eine Wiederholung dieser Verbrechen ausschließen. Doch zahlreiche kundige Beobachter sind skeptisch. "Noch kann ich nicht erkennen, dass unsere Studie jemanden wachgerüttelt hat, ich sehe keinen grundlegenden Aufbruch", betont Studienleiter Prof. Dr. Thomas Großbölting.

Tatsächlich sieht es so aus, als blieben die Bistümer ihrer bisherigen Linie treu: etwas mehr Geld, weitere Ansprechpartner – aber keine großen Veränderungen. Dabei sind sich alle Experten einig, wo es anzusetzen gilt. "Sexueller und geistlicher Missbrauch ist immer Machtmissbrauch. Deshalb muss die klerikale Macht strukturell begrenzt werden", meint Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Direktorin des Instituts für christliche Sozialwissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Die Kirchenoberen müssten Macht abgeben und einer unabhängigen Kontrolle zustimmen – der münstersche Bischof Felix Genn deutete immerhin an, dass er eine neue innerkirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit in seinem Bistum installieren werde, um damit bischöfliche Entscheidungen einer Kontrolle zu unterwerfen. "Zudem gilt es", ergänzt Marianne Heimbach-Steins, "die Sakralisierung des Priesteramtes zu dekonstruieren; der aus dieser Überhöhung resultierende Klerikalismus an der Basis muss als ein Ermöglichungsfaktor des Missbrauchs überwunden werden."

Mit Blick auf die Institution, ergänzt Thomas Großbölting, gelte es, den "Kontroll- und Vereinheitlichungszwang der Hierarchie" zugunsten einer neuen Vision von Kirche aufzugeben. "Muss Kirche", fragt er, "zwingend als heilige und hierarchische Ordnung gedacht werden, die sich vor allem in einer Befehls- und Gehorsamspraxis realisiert?" Es sei das Machtgefälle, das Abhängigkeiten schaffe, die Sakralisierung und Dominanz von Personen etabliere; schließlich motiviere es auch zu Vertuschung.

Diese Einschätzung teilt WWU-Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf. "Die Kirche muss das Strukturproblem, das den Missbrauch begünstigt, mit grundlegenden Reformen angehen: Zulassung verheirateter Priester, Weihe von Frauen, Einführung einer unabhängigen kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Wahl der Bischöfe vor Ort statt einer römischen Ernennung, Einführung synodaler Strukturen und die Übergabe der Finanzhoheit an die Laien." Die immer gleichen und stetig wiederkehrenden Entschuldigungen der Bischöfe nach der Veröffentlichung eines neuen Gutachtens überzeugten niemanden mehr. "Die Opfer müssen in den Mittelpunkt gestellt werden, und nicht nur in frommen Lippenbekenntnissen. Bischöfe, die Missbrauchstäter gedeckt haben, müssen zurücktreten. Die Täter sollten innerkirchlich und staatlich bestraft werden. In keinem Fall dürfen sie wieder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten." Auch unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit dürften Übergriffigkeiten keinesfalls verharmlost oder gar bei Entscheidungen über den weiteren Einsatz im kirchlichen Dienst ignoriert werden, unterstreicht Marianne Heimbach-Steins. "Außerdem ist eine vorbehaltlose Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden unerlässlich."

Es überwiegt jedoch die Skepsis, ob die katholische Kirche, in der es nach Thomas Großböltings Überzeugung "nach wie vor sehr starke konservative Kräfte gibt", zu all dem bereit ist. Trotz der "schweren Verletzungen vieler Seelen und Lebenswege", hebt die WWU-Moraltheologin Prof. Dr. Monika Bobbert hervor, fehle es vielen Verantwortlichen an der, wie es Johann Baptist Metz einst bezeichnete, "Leidempfindlichkeit" für die Betroffenen. "Es gibt viel Nachholbedarf und die Notwendigkeit, dass sich die reformwilligen Kräfte durchsetzen." Hubert Wolf fürchtet allerdings, dass sich der Exodus aus der Kirche fortsetzt. "Wer jetzt die Zeichen der Zeit nicht erkennt, der ist von allen guten Geistern verlassen." (Norbert Robers/WWU Münster)

Originalveröffentlichung des Textes auf der Webseite der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Übernahme mit freundlicher Genehmigung.

Unterstützen Sie uns bei Steady!