Am 13. Juni wurde die Studie über den Missbrauch im Bistum Münster der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie zeigte auf, dass der Missbrauch in der katholischen Kirche durch verheerende Ermöglichungsstrukturen befördert wurde und wird. Nun erheben sogar Theologinnen und Theologen das Wort und fordern massive strukturelle Veränderungen in der katholischen Kirche.
Es kam einem Donnerschlag gleich, als die fünf Wissenschaftler der Universität Münster Mitte Juni ihre Studie über sexuellen Missbrauch im Bistum Münster seit 1945 vorstellten. Mindestens 200 Täter, bis zu 6.000 Opfer – die Experten bezeichneten die katholische Kirche als "Täterorganisation", die sich des Machtmissbrauchs schuldig gemacht habe. Die Ergebnisse sorgten republikweit für Aufsehen und Empörung. Vor diesem Hintergrund wäre es naheliegend, dass die katholische Kirche nicht nur Reue zeigt und sich um Wiedergutmachung bemüht, sondern vor allem Reformen angeht, die eine Wiederholung dieser Verbrechen ausschließen. Doch zahlreiche kundige Beobachter sind skeptisch. "Noch kann ich nicht erkennen, dass unsere Studie jemanden wachgerüttelt hat, ich sehe keinen grundlegenden Aufbruch", betont Studienleiter Prof. Dr. Thomas Großbölting.
Tatsächlich sieht es so aus, als blieben die Bistümer ihrer bisherigen Linie treu: etwas mehr Geld, weitere Ansprechpartner – aber keine großen Veränderungen. Dabei sind sich alle Experten einig, wo es anzusetzen gilt. "Sexueller und geistlicher Missbrauch ist immer Machtmissbrauch. Deshalb muss die klerikale Macht strukturell begrenzt werden", meint Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Direktorin des Instituts für christliche Sozialwissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Die Kirchenoberen müssten Macht abgeben und einer unabhängigen Kontrolle zustimmen – der münstersche Bischof Felix Genn deutete immerhin an, dass er eine neue innerkirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit in seinem Bistum installieren werde, um damit bischöfliche Entscheidungen einer Kontrolle zu unterwerfen. "Zudem gilt es", ergänzt Marianne Heimbach-Steins, "die Sakralisierung des Priesteramtes zu dekonstruieren; der aus dieser Überhöhung resultierende Klerikalismus an der Basis muss als ein Ermöglichungsfaktor des Missbrauchs überwunden werden."
Mit Blick auf die Institution, ergänzt Thomas Großbölting, gelte es, den "Kontroll- und Vereinheitlichungszwang der Hierarchie" zugunsten einer neuen Vision von Kirche aufzugeben. "Muss Kirche", fragt er, "zwingend als heilige und hierarchische Ordnung gedacht werden, die sich vor allem in einer Befehls- und Gehorsamspraxis realisiert?" Es sei das Machtgefälle, das Abhängigkeiten schaffe, die Sakralisierung und Dominanz von Personen etabliere; schließlich motiviere es auch zu Vertuschung.
Diese Einschätzung teilt WWU-Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf. "Die Kirche muss das Strukturproblem, das den Missbrauch begünstigt, mit grundlegenden Reformen angehen: Zulassung verheirateter Priester, Weihe von Frauen, Einführung einer unabhängigen kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Wahl der Bischöfe vor Ort statt einer römischen Ernennung, Einführung synodaler Strukturen und die Übergabe der Finanzhoheit an die Laien." Die immer gleichen und stetig wiederkehrenden Entschuldigungen der Bischöfe nach der Veröffentlichung eines neuen Gutachtens überzeugten niemanden mehr. "Die Opfer müssen in den Mittelpunkt gestellt werden, und nicht nur in frommen Lippenbekenntnissen. Bischöfe, die Missbrauchstäter gedeckt haben, müssen zurücktreten. Die Täter sollten innerkirchlich und staatlich bestraft werden. In keinem Fall dürfen sie wieder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten." Auch unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit dürften Übergriffigkeiten keinesfalls verharmlost oder gar bei Entscheidungen über den weiteren Einsatz im kirchlichen Dienst ignoriert werden, unterstreicht Marianne Heimbach-Steins. "Außerdem ist eine vorbehaltlose Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden unerlässlich."
Es überwiegt jedoch die Skepsis, ob die katholische Kirche, in der es nach Thomas Großböltings Überzeugung "nach wie vor sehr starke konservative Kräfte gibt", zu all dem bereit ist. Trotz der "schweren Verletzungen vieler Seelen und Lebenswege", hebt die WWU-Moraltheologin Prof. Dr. Monika Bobbert hervor, fehle es vielen Verantwortlichen an der, wie es Johann Baptist Metz einst bezeichnete, "Leidempfindlichkeit" für die Betroffenen. "Es gibt viel Nachholbedarf und die Notwendigkeit, dass sich die reformwilligen Kräfte durchsetzen." Hubert Wolf fürchtet allerdings, dass sich der Exodus aus der Kirche fortsetzt. "Wer jetzt die Zeichen der Zeit nicht erkennt, der ist von allen guten Geistern verlassen." (Norbert Robers/WWU Münster)
9 Kommentare
Kommentare
E. Steinbrecher am Permanenter Link
Ob Münster oder Köln oder oder oder - die genannten Bistümer unterscheiden sich lediglich durch bekannt werden von Sexualdelikten zu den anderen in Deutschland könnte man denken. Ändern wird sich kaum etwas!
Das "fruchtbare" Wirken betrifft alle Regionen und nicht erst seit 1945!
Jede kriminelle Gruppierung welche bekannt wird, wird verboten, siehe Mafia, Motorradclubs usw. Da gibt es Durchsuchungen, Vermögenswerte bis hin zu Immobilien werden eingezogen, alle Protagonisten, deren man habhaft wird, werden vor Gericht gestellt und abgeurteilt. Diese legitime Vorgehensweise dürfte die alleinige Sprache sein, die diese Menschen verstehen. Das gilt auch für die Vertuscher! Der Volksmund sagt, das der Hehler so schlecht wie der Stehler ist.
Rene Goeckel am Permanenter Link
Vertuschen ist eine Verniedlichung von strafbarer Strafvereitelung. Welchen Kreis muss man nun ziehen? Fällt die Untätigkeit der Staatsanwaltschaften auch unter Strafvereitelung?
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Veränderungen in der katholischen Kirche" - wie bitte? Wo kämen wir denn da hin, werte WWU Münster?!?
Roland Weber am Permanenter Link
Von 3 heutigen Beiträgen wird bezeichnender Weise nur derjenige über "Missbrauch" als kommentierungswürdig eingestuft.
Für diejenigen, die sich – radikal eben - für die Wurzeln des Christentums interessieren, ist dies, bei allen menschlichen Tragödien, die dahinterstecken, wohl gewiss der langweiligste Aspekt, dem man sich noch in Sachen Theologie und Kirche näher möchte. Die Wurzeln sind leider und unbegreiflicherweise nach wie vor tabu. Spekulationen über Glauben lässt man stets zu, ) Spekulationen – mit konkreten Bezügen - über einen gefundenen Unglauben dagegen keinesfalls. Wo käme man denn auch hin, wenn man gar die Wurzeln des Christentums untersuchen und womöglich ganz konkret historisch verorten und grundlegend kritisieren würde? Da wird allemal lieber über biblische Begriffe, die Unermesslichkeit Gottes, die Nächstenliebe an sich und überhaupt, als über etwas durchaus Näherliegendes diskutiert.
Schon ein alter Merksatz von Ockham, sagt, dass man von mehreren Hypothesen zu einer ungeklärten Erscheinung/Ursache zunächst immer die nächstliegendste untersuchen sollte, um sich der Wahrheit zu nähern. Erst wenn sich bei dieser keine ausreichenden Indizien finden lassen, sollte man die nächst komplexere Hypothese untersuchen. Wie naheliegend ist es denn, dass jemals ein Wesen existiert haben könnte, dass man mit einem Jesus/Christus der Bibel in Verbindung bringen könnte? Wie naheliegend etwas ganz anderes?
Doch was macht man als Forschender in Sachen Christentum? - Man untersucht am ehesten die komplexeste Annahmen - z.B. was denn Gott oder die Auferstehung, das Paradies, die Erbschuld oder ähnliches denn sei -, um dann bei genügender geistiger Verwirrtheit oder unanfechtbarem Glaubenssatz gesichert feststellen zu dürfen, dass einfachere Lösungen erst gar nicht in Betracht kämen, wenn schon eine derart komplexe Fragestellung zur keiner eindeutigen Antwort führen würden. - Näherliegendes zu untersuchen, verträgt sich offenbar nicht mit einer ausgelebten fachlichen Hybris.
Dabei wäre es allemal interessanter, z.B. gezielt die Missbrauchstäter einmal nach diesen Begriffen zu befragen, statt sich die Antworten in Intellektuellenkreisen mit religiöser Berühungsphobie zusammenzusuchen.
So verfährt man immer wieder ganz nach dem Motto: Ich weiß nicht, ob ein Mensch, die erste Kaffeemaschinen erfunden und gebaut hat, sie waren schon seit meiner Jugend einfach immer schon da!
Leider ist Erkenntnis nicht so einfach einmal "da". Vielleicht hilft es, auf Indizien zu achten oder einmal jemand anderen nach einer Erklärung zu fragen. Aber was gibt es in Sachen Christentum denn anderes zu fragen? Vielleicht schon, warum ein Jesus zu den Juden und ein Christus für die Welt geschickt wurde?! Warum denn jeglicher Obrigkeit Gehorsam geleistet werden sollte? – Und zig andere merkwürdig Fragen. Doch alles anscheinend schon zu einfach!
Wer sich zu Aufklärern zählen oder sich so verstehen will, sollte sich nicht scheuen, auch tatsächlich aufzuklären – oder helfen aufzuklären. Nicht über irgendetwas, was auch mit dem Thema zusammenhängt, sondern gerade über das, was das Thema überhaupt ausmacht. Die kleine Schar der einstigen Aufklärer aus Gewissensgründen waren zu ihrer Zeit schon zig Schritte weiter als die heutige vermeintliche Speerspitze an Kritikern. Und das versteht man dann noch unter Fortschritt?
A.S. am Permanenter Link
Machtgierige Heuchler und Blender bleiben machtgierige Heuchler und Blender. Die Blendwirkung lässt nur langsam nach.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Solange es die Machtstrukturen der Kirchen gibt, wird sich nichts wesentlich ändern.
Eine innerkirchliche Gerichtsbarkeit verhindert nur eine weltliche Bestrafung der Täter.
Unser Steuersystem wäre um einige Milliarden entlastet und aus den Kirchengebäuden könnte man Museen, Discotheken, Spielstätten, humanistische Begegnungsstätten und dergleichen machen, denkt mal darüber nach.
Rene Goeckel am Permanenter Link
Bei "innerkirchliche Gerichtsbarkeit" fragt man sich, ob es auch ein innersiemensliche oder innerötkersche Gerichtsbarkeit gibt.
Roland Weber am Permanenter Link
Wenn man denn schon nicht davon ablassen will, im Zusammenhang mit dem Glauben der/den Kirche/n am Zeug zu flicken, dann sollte man auch einmal fragen, wie viel Zeit - und nicht nur Geld - diese Fantasiewelt die Mensc
Mönche, Nonnen, Bischöfe, Priester und was sonst an sinnfreiem eigennützig tätigem Personal so auf Kosten der Allgemeinheit über nahezu (nicht von Anfang an!) in gut bis bestens situierten Verhältnissen gelebt hat, hat auch immense Arbeitszeiten verplempert. All diese Tätigkeiten waren ersichtlich nutzlos. Wie sollte ein allenfalls als Spitze jeglicher Abstraktion gedachtes "Sein/Werden/Wesen", sich als veritable Gottesgestalt mit Geschichte und angedichtetem Sohn sich eines der Milliarden Planeten annehmen und mehr oder weniger schlichte Weisheiten von sich gegeben und parteiisch in alles eingegriffen haben, was damaligen Menschen so in den Sinn kommen konnte? Was haben all die Gebete, nächtlichen Lobpreisungen, Prozessionen, Geldspenden und all die sonstigen sinnfreien Unternehmungen denn tatsächlich an Verbesserungen gebracht? Wie nützlich erwies sich das religiöse Tätigsein und die bis zum Kampf bereite Glaubensauffassung? Wie viele wurden von Krieg, Not, Elend, Krankheit oder irgendeiner Sorge befreit, die sich glaubenstreu verhalten haben?
Das Leben mag ein Glücksspiel sein, aber statt Geld und Zeit für Lourdes zu opfern, sollte man lieber Lotto spielen. Die Glücksgöttin Maria wird gewiss auch so die falschen Zahlen ziehen.
Wenn jemand einem Irrtum aufgesessen ist, sollte man ihn belehren, ihn aber nicht noch für seine Zeit- und letztlich gerade anderer Leute Geld Verschwendung aufffallend ehren lassen.
Dass die Forschung auch unliebsame Erkenntnisse erbringen kann, wird denjenigen nicht schrecken, der die Wahrheit liebt und mit ihr etwas anzufangen weiß.
Wolfgang am Permanenter Link
Es heißt ja auch Kirche und nicht Reform-Haus!