Rezension

"Postdemokratie" aus heutiger Sicht

Der Sozialwissenschaftler Colin Crouch geht davon aus, dass von Demokratien zunehmend nur noch die Hülle von Institutionen, aber nicht mehr die Partizipation des Souveräns verbleibt. In seinem Buch "Postdemokratie revisited" blickt er auf seine frühe These zurück, findet bedenkliche bestätigende Entwicklungen, neigt aber auch zu simplifizierenden Verallgemeinerungen.

Colin Crouch ist durch das Konzept "Postdemokratie" bekannt geworden. In seinem gleichnamigen Buch von 2003 sprach er von einem Entwicklungsprozess, wonach in Demokratien zwar deren Institutionen wie etwa die Parlamente und die Wahlen noch bestehen würden. Gleichwohl würden sie aber zunehmend nur noch Hüllen sein und immer weniger mit Leben gefüllt werden. Stattdessen erfolgten politische Entscheidungen zunehmend aus der ökonomischen Elite heraus. Crouch, der Governance and Public Management (Regierungsführung und öffentliche Verwaltung) an der Warwick Business School gelehrt hatte, beschwor hier eine mögliche Gefahr und damit eine negative Utopie. Er sah Ansätze für eine solche Entwicklung, unterstellte aber nicht deren praktische Umsetzung.

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Nun legt er mit dem Band "Postdemokratie revisited" einen Rückblick vor, in dem er seine früheren Aussagen angesichts der gegenwärtigen Entwicklung inhaltlich Revue passieren lässt. Gleich in der Einleitung heißt es: "In drei Punkten habe ich mich damals geirrt" (S. 10). Ein derart offenes Bekenntnis ist für einen Sozialwissenschaftler selten. Crouch nimmt indessen keine Detailprüfung seiner früher formulierten Positionen vor. Er fragt gleichwohl, wie sich die Demokratien insbesondere in der westlichen Welt weiterentwickelt haben. Ihre Bedrohung sah der Autor durch den Einfluss des Neoliberalismus nicht nur in der Wirtschaft als gegeben an. Er konstatiert: "Da die demokratischen Institutionen und Haltungen weiterhin existieren, merken wir nicht, dass die Demokratie geschwächt und die Macht innerhalb des politischen Systems auf eine kleine Elite aus Politikern und Konzernen übergegangen ist, die eine Politik nach den Wünschen Letzterer betreiben" (S. 21). Diese allgemeine Grundposition zieht sich auch durch seine neuen Reflexionen. Crouch verweist auf den Einfluss der Globalisierung auf die Wirtschaft, die damit verbundene Entstehung von Megakonzernen, die Erosion eines Klassenbewusstseins und die Schwächung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Gleichzeitig habe es durch diese Bedingungsfaktoren eine Entfremdung der Politiker von ihren Wählern gegeben.

Die Folgen derartiger Prozesse werden dann gesondert thematisiert. Zunächst geht es um den Bedeutungsanstieg von Korruption und Ungleichheit. Danach blickt der Autor auf die Finanzkrise von 2008 zurück und behandelt die danach relevante europäische Schuldenkrise. Besondere Aufmerksamkeit findet auch der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien, wobei Crouch hierfür die Formulierung "nostalgischer Pessimismus" vorzieht. So werde der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Denn die Gemeinten reagierten auf die geschilderten Prozesse, verstärkten dabei aber noch die der Demokratie dadurch entstehenden Schäden. Bei all dem fällt der Blick sowohl auf empirische Daten wie auf unterschiedliche Länder, womit ein allgemeiner Entwicklungsprozess nicht nur in der westlichen Welt veranschaulicht werden soll. Darauf bezogen geht es dann auch um die Corona-Politik und deren Folgen, die angesichts des "Umgang(s) der Regierenden mit ihr … bestehende Ungleichheiten verstärkt" (S. 205) habe.

Crouch erblickt indessen auch Hoffnungsschimmer, wobei er auf festgestellte Fehler zurückkommt: Er habe den Einfluss von Protestbewegungen, sei es für Geschlechtergerechtigkeit oder für Klimaschutz, unterschätzt. Diese würden bei den Aktivitäten von den Gebildeten getragen, hieraus erwachse für die Demokratie eine politische Hoffnung. Der Autor verweist auf eine Fülle von Gefahrenpotentialen, welche die Funktionsfähigkeit und das Leben in demokratischen Verfassungsstaaten berühren. Allein die Ausführungen zu Korruption und Ungleichheit sind hier überaus wichtig. Dabei werden bedenkliche Einflüsse "von der Lobbyarbeit zur Meinungsmanipulation" deutlich. Indessen arbeitet Crouch auch mit Pauschalisierungen. Kann einfach so von der "Kontrolle von Gruppen der Reichen und Mächtigen, vor allem transnationaler Konzerne" (S. 249) gesprochen werden? Deren demokratiegefährdende Dimension bedarf einer Kritik, aber der Autor neigt hier mitunter zu simplifizierenden Verallgemeinerungen.

Colin Crouch, Postdemokratie revisited, Berlin 2021, Suhrkamp-Verlag, 278 Seiten, 18 Euro

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