In Brasilien blockierten gewalttätige "Lebensschützer" stundenlang den Eingang eines Krankenhauses, in dem eine missbrauchte Zehnjährige eine Abtreibung durchführen lassen wollte. Versteckt im Kofferraum eines Fahrzeugs musste das Mädchen in die Klinik geschmuggelt werden, um sich diesem nach brasilianischem Gesetz völlig legalen Eingriff unterziehen zu können.
Am 7. August wurde ein Mädchen im Bundesstaat Espírito Santo mit schweren Abdominalschmerzen in ein Krankenhaus eingeliefert. Die Ärzte stellten rasch die korrekte Diagnose: Schwangerschaft nach mehrfacher Vergewaltigung. Der Polizei vertraute sie daraufhin an, dass sie seit vier Jahren von einem Verwandten missbraucht wird. Der Verdächtige, ein Onkel des Mädchens, konnte wenige Tage später gefasst werden.
Ein Kind abzutreiben, das bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde, ist eine der wenigen Ausnahmen von der ansonsten strikt abtreibungsfeindlichen Gesetzeslage in Brasilien. Eine Klinik in der Heimat des Mädchens jedoch verweigerte den Eingriff mit der Begründung, sie habe nicht die Befugnis, weswegen die Patientin am 16. August in den mehrere hundert Kilometer entfernten Ort Recife gebracht werden sollte.
Hier könnte diese Geschichte enden, und sie wäre grausam genug. Doch religiöser Extremismus kennt keine Grenzen. In einem mittlerweile gelöschten Video, das der Guardian einsehen konnte, veröffentlichte die evangelikale Bolsonaro-Vertraute Sara Giromini, besser bekannt unter dem Pseudonym Sara Winter, den Namen des Mädchens und das Krankenhaus in Recife, in dem die Abtreibung durchgeführt werden sollte.
In diesem Video fuchtelte sie wild mit einer Plastikpuppe, die den Fötus darstellen sollte, herum und versuchte den zweifelsfrei legalen Eingriff als Menschenrechtsverletzung zu framen. Der BBC zufolge soll Giromini im Juni dieses Jahres für kurze Zeit wegen "antidemokratischer Tätigkeiten" inhaftiert gewesen sein und könnte auch in diesem Fall wegen Anstiftung zu Gewalt angeklagt werden.
Daraufhin versammelte sich nämlich ein aufgebrachter Mob vor der Klinik, beschimpfte das Personal als "Mörder" und versuchte, sich gewaltsam Zugang zum Gebäude zu verschaffen.
Paula Viana allerdings war gewarnt worden. Die feministische Aktivistin übernahm die Eskorte des Mädchens vom Flughafen in Recife zur Klinik, ließ das Taxi kurz vor der Ankunft halten und versteckte die junge Patientin im Kofferraum des Wagens. Über einen Seiteneingang gelangten sie am fanatischen Mob vorbei, der von inzwischen eingetroffenen feministischen Aktivist*innen in Schach gehalten wurde.
"Es ist schlicht unglaublich, dass ein Teil Brasiliens wirklich denkt, eine Abtreibung sei schlimmer als eine Vergewaltigung. Überrascht sind wir aber nicht, schließlich haben wir einen Präsidenten, der solche Hassbotschaften unterstützt", so Viana.
"Sie ist sehr stark – aber eben nur ein Kind. Sie wird lange Zeit psychologische Unterstützung brauchen, denn sie versteht alles, was sie gerade durchmacht", fügte die Aktivistin hinzu.
"Am Ende waren über 150 Leute gekommen, um das Mädchen zu unterstützen. Frauen, Trans*, Schwarze, viele junge Menschen ... in der anderen Gruppe waren hauptsächlich alte weiße Männer in Anzügen und nur wenige Frauen zwischen ihnen", fasste eine Aktivistin die Demografie der Proteste zusammen.
Bolsonaros radikal-evangelikales Brasilien ist für Mädchen und junge Frauen ein Hochrisikogebiet. Sechs Abtreibungen werden pro Tag bei vergewaltigten Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren durchgeführt, berichtet die brasilianische Zeitung Folha de Sao Paulo. Pro Tag. Vier Mädchen unter 13 Jahren werden in Brasilien pro Stunde vergewaltigt, schreibt Human Rights Watch. Pro Stunde.
Und selbst wenn die engen Vorgaben für eine Ausnahme vom Abtreibungsverbot erfüllt sind, ist die Suche nach einer entsprechenden Klinik teilweise aussichtslos, wie eine 2016 durchgeführte Studie zeigt: "Die Daten zeigen eine große Diskrepanz zwischen der theoretischen Rechtslage und der praktischen Verfügbarkeit der Angebote." Die Zahl von Kliniken, die Abtreibungen durchführen, hat sich durch Covid-19 weiter reduziert, von 76 im Jahr 2019 auf jetzt nur noch 42.
8 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Unglaublich zu was für Taten irregeleitete Religionsfanatiker fähig sind. Allein dieser Artikel zeigt doch schon wie falsch diese Religion der "Liebe" ist und was sie tatsächlich bewirkt.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Kann man das zur Kenntnis nehmen ohne wütend zu werden und aus der Kirche auszutreten ?
Ideologische Rückendeckung erhielten sie damals durch heute noch hoch verehrte Heilige und Kirchenlehrer wie Johannes Chrisosthomos („Goldmund“) und den Kirchenlehrer Augustinus von Hippo – der ja bei allen katholischen Theologen in der Wertschätzung gleich hinter dem „Apostel“ Paulus rangiert; übermorgen am 28. 8. ist übrigens sein Gedenktag.
Ideologische Rückendeckung erhält der Mob von heute von allerhöchsten kirchlichen Kreisen. Unvergessen die unsägliche Gleichsetzung von Abtreibung und Auftragsmord durch Herrn Bergoglio alias Papst Franziskus.
Samuel am Permanenter Link
Eine Vergewaltigung eines Kindes ist unbeschreibbar schrecklich.
Wie soll hier gerecht entschieden werden? Es gibt nach dem diesem Kind dieses Unrecht zugefügt wurde nicht eine gute Lösung, sondern nur zwei ganz schrecklich Alternativen.
Jeder der das Leben als Geschenk Gottes ansieht und damit unantastbar und heilig, ist daher nicht gleich ein religiöser Mob.
Aber Gewalt ist nie eine Lösung ebenso wenig Hass auf Andersdenkende.
Anonym am Permanenter Link
"jede Abtreibung tötet ein unschuldiges und erwartungsvolles Leben."
Ein Fötus hat noch keine Erwartungen an sein Leben und in der Tat keine Präferenz für das Leben. Kein Fötus war jemals gegen eine Abtreibung.
"Wie soll hier gerecht entschieden werden?"
Das ist doch offensichtlich. Das Mädchen hat ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Sagen Sie das mal den Religionen, diese haben und tun es immer noch, unsägliches Leid über die Menschheit gebracht, weltweit.
keinen freien Willen gibt, müssen derartige Verfehlungen hingenommen werden und die Ursachen für ein derartiges Verhalten beseitigt werde, diese liegen oft in der Indoktrination von Menschen von Kindheit an, denen es an einer glaubhaften Leitlinie für ihr Leben fehlt. Da diese mit den Wiedersprüchen der Religion nicht klarkommen können, auf der einen Seite der Gott der Liebe und des Verzeihen, auf der anderen Seite der grausame Gott der Rache und Vergeltung bis auf die Nachkommen.Wenn man dann auch noch erleben muß, dass Priester ungestraft millionenfach Kinder vergewaltigen dürfen, sinkt die Hemmschwelle naturgemäß zu derartigen Verbrechen.
Aber es ist auch keine Lösung des Problems, wenn ein 10 jähriges Mädchen die Folgen einer derartigen Tat austragen muß.
Sebastian Taege am Permanenter Link
Hallo Samuel,
ich weiß nicht, ob es zu ihnen durchgedrungen ist, aber das Kind aus dem Artikel ist 10 Jahre alt. Zehn Jahre! Es will mir nicht in den Kopf, wie sie allen Ernstes davon sprechen können, dass „ jede Abtreibung ein unschuldiges und erwartungsvolles Leben tötet.“ und diese indoktrinierte Aussage „Jeder der das Leben als Geschenk Gottes ansieht und damit unantastbar und heilig...“ ebenfalls zum Besten geben.
Dieses Kind wurde von einem Familienmitglied nach vier Jahren wiederholter Vergewaltigungen geschwängert! Interpretieren sie das etwa als „Kinderwunsch, der nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen endlich in Erfüllung geht?“
Religion tötet. Religion widert mich an. Religion ist grenzenloser Schwachsinn.
Petra Pausch am Permanenter Link
Entschuldigen Sie die Wortwahl: Aber Ihre Aussage ist einfach widerlich und menschenverachtend. Sie erwarten allen Ernstes, dass ein KIND nach einer Vergewaltigung (!) nicht abtreibt? Weil es Ihr Gott so will?
Anonym am Permanenter Link
"Vier Mädchen unter 13 Jahren werden in Brasilien pro Stunde vergewaltigt, schreibt Human Rights Watch. Pro Stunde."
Kann sein, wobei ich aufpassen würde, ob da nicht auch freiwillige sexuelle Handlungen hineingezählt werden. Und vielleicht auch nicht nur ungeschützter Koitus. Einvernehmlicher Soft-Sex mit 13 ist jetzt nichts ungewöhnliches und sicher auch kein Gewaltverbrechen. Das Originaldokument ist auf spanisch und ich würde das nicht so ohne Faktencheck glauben. Wenn da eine Beziehung besteht, wo sexuelle Kontake wiederholt vorkommen, und jeder einzelne als neue Vergewaltigung gezählt wird, ist die Zahl schnell erreicht. Kann man nicht ohne den Kontext einschätzen.
Abtreibungen würde ich allgemein erlauben, nicht nur für Vergewaltigungsopfer. Ein Fötus hat noch keine Präferenz für ein Weiterleben und damit auch kein Recht darauf. Ich sehe keinen Grund für ein Verbot.