Dramatische Flucht aus dem Sektengefängnis

Der Sohn von Ivo Sasek packt aus

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Simon Sasek (Screenshot)
Simon Sasek

Ivo Sasek, Gründer und Führer der christlich-fundamentalistischen Freikirche "Organische Christus-Generation" (OCG), wehrt sich stets vehement gegen den Vorwurf, seine Gemeinschaft trage die Züge einer radikalen Sekte. Seine Anhänger würden nicht unterdrückt, manipuliert oder indoktriniert. Niemand werde gezwungen, seine Freizeit für die OCG zu opfern oder zu spenden, beteuert er. Glaube und Engagement bei der OCG mache frei. Nun berichtet Simon, der älteste Sohn des Sektengründers, von den totalitären Allüren seines Vaters.

Aussteiger reagieren auf solche Aussagen von Ivo Sasek fassungslos. Sie erklären übereinstimmend, der radikale Glaube, das autoritäre Regime und die enge soziale Kontrolle führten zu Ängsten, Abhängigkeiten und Unterdrückung.

Um nicht in Teufels Küche zu kommen, hätten sie ihre Freizeit für die OCG opfern müssen. Eine Aussteigerin, die in Videos ihre Leidensgeschichte erzählte, wurde von Sasek und seinen Anhängern öffentlich diffamiert.

Nun bestätigt ein prominenter Aussteiger diese Vorwürfe, die Ivo Sasek nicht mit einem Federstrich wegwischen kann: Sein ältester Sohn Simon, der zum innersten Machtzirkel gehörte, floh 2016 aus der Sekte und redet nun erstmals darüber.

Er wirft seinem Vater totalitäre Allüren und Methoden vor und berichtet in seinem neusten YouTube-Video von seinem Leidensweg und seiner dramatischen Flucht mit Frau und Kind. Und dass seine Eltern und Geschwister ihn seither wie einen Aussätzigen behandeln.

Dass Simon Sasek sein Schweigen bricht, ist sehr mutig. Er zieht damit den Zorn des Vaters und Hunderter OCGler auf sich. Denn er ist ein Geheimnisträger, kennt sowohl die familiären Strukturen als auch sämtliche Interna der OCG. Er erlebte die Unterdrückung und Ausbeutung als Familienmitglied und war Mitverantwortlicher für die vielen OCG-TV-Stationen von "Klagemauer-TV" (kurz: Kla.TV). Als designierter Nachfolger seines Vaters blieb ihm nichts verborgen.

Simon Sasek beschlich schon 2009 ein Unbehagen, als sein Vater von Hitlers Buch "Mein Kampf" zu schwärmen begann. Die Auseinandersetzungen häuften sich. Simons Vater, der sich als Gesandter Gottes sieht und die Menschheit ins Heil führen will, entwickelte einen heillosen Zorn auf die Medien und das Establishment.

Er hatte Unterstützung bei seiner heiligen Mission erwartet, stieß aber überall auf Ablehnung. Die Medien bezeichneten ihn als Sektenführer, die Behörden begegneten ihm misstrauisch. In seiner narzisstischen Kränkung baute er einen politischen Arm seiner Sekte auf. Während er als religiöser Führer stagnierte, startete er als politischer Agitator durch.

Zu seinen Kongressen mit bis zu 2.500 Teilnehmern lud er Holocaustleugner, Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker, radikale Vertreter der Alternativmedizin, Impfverweigerer, Führer anderer Sekten wie Jürg Stettler von Scientology und so weiter ein. Endlich konnte er sich vor einem großen Publikum feiern lassen, endlich wurde er als Held verehrt.

Fake News als Programm

Kla.TV wurde zu seinem Sprachrohr, das täglich krude Beiträge aus dieser rechtsradikalen und verschwörungstheoretischen Parallelwelt verbreitet. Diese Entwicklung machte seinem Sohn Simon Bauchweh. Sein Gerechtigkeitssinn rebellierte. Ihm war unwohl dabei, das riesige Publikum mit Fake News zu manipulieren. Er wehrte sich vergeblich dagegen, Verschwörungsideen und rechtsradikales Gedankengut über den Sender zu verbreiten.

Bei den Auseinandersetzungen mit seinem Vater spürte er, dass es diesem nicht um Fakten und politische Zusammenhänge ging, sondern lediglich um Meinungsmache und den Kampf gegen Medien und Behörden.

Die innere Emigration

Nach einem besonders heftigen Streit mit seinem Vater und der Familie verabschiedete sich Simon 2011 in die innere Emigration, wie er in seinem Video berichtet. Er verhielt sich fortan ruhig, doch die inneren Spannungen nahmen zu. Damit begannen für Simon Sasek fünf lange Leidensjahre.

Die Zweifel fraßen sich immer tiefer in sein Bewusstsein, die Entfremdung in Raten war schmerzhaft. Ihm drohte, alles zu verlieren, was seine Existenz und Identität ausgemacht hatte. Ein hoher Preis für die Freiheit, die er sich ersehnte.

Simon Sasek plante den Absprung klammheimlich. Das Hauptproblem war, dass er seine Frau nicht in seine Pläne einweihen konnte, weil sie noch tief in der OCG-Welt verhaftet war. Sie hatte auch ihre Familie in der Sekte und glaubte, von Gott fallengelassen zu werden, wie es Ivo Sasek stets prophezeit hatte.

Simon Sasek motivierte seinen Bruder ebenfalls zum Ausstieg

Simon organisierte 2016 eine längere Reise nach Australien. Fern der Heimat weihte er seine Frau in seine Pläne ein, die OCG zu verlassen. Nach heftigen Auseinandersetzungen entschied sie sich ebenfalls für den Ausstieg.

Der Absprung von Simon motivierte einen seiner Brüder ebenfalls, abzutauchen und den Bruch mit der Familie zu wagen. Seine Frau entschied sich aber nicht für ihn, sondern für seinen Vater und die Sekte.

Ivo Sasek, seine Frau Anni und die verbliebenen neun Geschwister haben den Kontakt zu den "Abtrünnigen" endgültig gekappt. Ein Zurück gibt es nicht. Es sei denn, die drei würden zu Kreuze kriechen.

Es geht Simon Sasek mit seinen aufklärerischen Videos nicht um einen öffentlichen Machtkampf mit seinem Vater. Die Motivation für sein Engagement beschreibt er gegenüber watson.ch so:

"Ich habe durch unsere Geschichte gelernt, wie es sich anfühlt, wenn man als Andersdenkender verteufelt und auf undankbarste Weise ausgegrenzt wird. Die offene Gesellschaft hat uns danach aufgefangen und uns ein freieres und besseres Leben ermöglicht. Ich bin dafür sehr dankbar und möchte mich darum engagieren, damit auch andere diese Möglichkeit bekommen."

Simon Sasek, seine Frau und sein Bruder zeigen: Wer einmal an der Freiheit geschnuppert hat, kehrt nicht mehr ins geistige Gefängnis zurück. Auch wenn er mit der schmerzlichen Tatsache leben muss, ausgestoßen zu bleiben.

Ob es den Eltern Anni und Ivo Sasek gelingt, die neun übrigen Kinder langfristig im Sektenimperium zu halten, wird sich zeigen. Simon hat ihnen vorgemacht, dass nach dem Ausstieg nicht die prophezeite Hölle droht.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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