Preisverleihung

IBKA-Preis "Sapio 2017" für türkischen Atheistenverein

Am vergangenen Wochenende verlieh der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. den Sapio 2017 an den türkischen Atheistenverein Ateizm Derneği. Der erste und einzige Atheistenverein in der Türkei setzt sich seit 2014 für die Rechte von Atheisten ein, welche in der Türkei starken Repressionen ausgesetzt ein.

Rund 70 Interessierte waren am 3. Juni in das Kölner Comedia Theater gekommen, um der Verleihung des IBKA-Preises Sapio an den türkischen Atheistenverein Ateizm Derneği beizuwohnen. Für den Internationen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) e.V. ein besonderes Ereignis, galt es doch gleichzeitig auch, das vierzigjährige Vereinsjubiläum zu feiern.

Moderatorin Petra Daheim hob daher einige Highlights der Vereinsgeschichte hervor und René Hartmann, Erster Vorsitzender des IBKA e.V., erläuterte die inhaltliche Ausrichtung des Vereins im Spektrum der säkularen Organisationen. Es gehe dem IBKA, so Hartmann, nicht allein darum, sich an religiösen Dogmen abzuarbeiten, sondern auch ganz konkret um das Aufzeigen der negativen gesellschaftlichen Effekte von Religion – vor allem für Nicht-Religiöse, als deren Interessenvertretung sich der IBKA versteht.

Die politische Ausrichtung des IBKA spiegelt sich auch in den Kriterien für die Vergabe seines seit 2008 im zweijährigen Rhythmus verliehenen Preises Sapio wider. Mit ihm zeichnet der Verein Personen und Organisationen aus, die sich "in herausragender Weise um Weltanschauungsfreiheit, Selbstbestimmung und Toleranz, Trennung von Staat und Kirche, Förderung vernunftgeleiteten Denkens, Aufklärung über Wesen, Funktion, Strukturen und Herrschaftsansprüche von Religionen, nichtreligiöse pädagogische, soziale und kulturelle Angebote, humanitäre Hilfsmaßnahmen durch Nichtreligiöse verdient gemacht haben".

Dass der diesjährige Preisträger, der türkische Atheistenverein Ateizm Derneği, der zugleich korporatives Mitglied im IBKA ist, diese Kriterien auf herausragende Weise erfüllt, legte die Laudatorin und IBKA-Beirätin Arzu Toker dar. Ateizm Derneği wurde im April 2014 gegründet und ist der erste und einzige atheistische Verein in der Türkei und überhaupt im Nahen Osten. Er versteht sich als Interessenvertretung für nicht-gläubige Menschen und leistet unter anderem juristische Unterstützung, wenn Atheisten vor Gericht stehen. Was leicht geschehen kann, da in der Türkei bereits die Aussage "Ich bin Atheist" als eine Beleidigung des Glaubens aufgefasst wird. Da in der Türkei derzeit die Rechte der Einzelnen und insbesondere nicht-gläubiger Menschen beschnitten würden und die Regierung eine Re-Islamisierung der Gesellschaft befördere, erfordere bereits die Gründung eines solchen Vereins höchsten Respekt, so Toker.

Wie dramatisch es tatsächlich um die Rechte und das gesellschaftliche Ansehen von Atheisten in der Türkei bestellt ist, erläuterten Zehra Pala, die Vorsitzende von Ateizm Derneği, sowie Mehmet Emin Uçbağlar, der Anwalt des Vereins, in ihren Dankesreden.

Zehra Pala betonte, dass sie nichts mehr wünschte, als dass ihr Verein nicht mehr notwendig sei. Doch leider sei man derzeit weit von diesem Ziel entfernt. In der türkischen Gesellschaft herrschten starke Ressentiments gegenüber Atheisten. Viele wagten es daher nicht, sich zum Atheismus zu bekennen. Zwei Dinge seien dem Verein deshalb von Anfang an besonders wichtig gewesen: Eine Anlaufstelle für Atheisten zu sein, ihnen zu zeigen, dass es noch andere gibt, die so denken, und die Vorurteile in der Gesellschaft gegenüber Atheisten abzubauen. Zu diesem Zweck organisiert der derzeit rund 230 Mitglieder starke Verein regelmäßig Kennenlern-Versammlungen als Picknicks in der Öffentlichkeit, Sportveranstaltungen und wöchentliche Suppenverteilungen an Mittellose. Die Anmietung von Räumen für Veranstaltungen wie beispielsweise eine derzeit geplante Konferenz gestalte sich jedoch schwierig, da niemand bereits sei, Atheisten Räume zu vermieten.

Der Gegenwind, den die Atheisten in der Türkei bekommen, ist enorm. Die Website ihres Vereins wurde mehrfach gehackt und lahm gelegt und Zehra Pala verlor wegen eines Fernsehauftritts, in dem sie sich für die Rechte von Atheisten einsetzte, ihren Job. Doch Ateizm Derneği schlägt inzwischen juristisch zurück, auch wenn ihre Versuche nur selten von Erfolg gekrönt sind. Gegen die öffentliche Erklärung eines Theologie-Professors, dass Atheisten noch niederträchtiger seien als der Teufel, weil dieser wenigstens an Gott glaube, reichten sie eine Klage wegen Beleidigung ein. Allerdings verloren sie, da das Gericht die Auffassung vertrat, der Professor habe nur den Koran zitiert. Eine weitere Klage richtete sich gegen ein Dekret des Bildungsministeriums, Lehrer, die Atheisten oder Kommunisten sind, aus dem Schuldienst zu entfernen. Allerdings verweigerte der zuständige Gouverneur die Zulassung der Klage. Die gegen Ateizm Derneği gerichtete Aussage des Vorsitzenden eines Scharia-Vereins, dass der Koran gebiete, jemandem, der nicht an Gott glaubt, Hände und Füße abzuhacken, bedachte ein Gericht immerhin mit einer Geldstrafe. Die darauf folgenden Todesdrohungen, die bei Ateizm Derneği eingingen und deren Urheber ermittelt werden konnten, wollte ein Gericht jedoch nicht bestrafen. Ein Verein, so die Argumentation des Gerichts, könne schließlich nicht erschossen werden.

Aktuell ist die Homepage des Vereins gesperrt, weil im Forum der Seite zwei Mitglieder darüber diskutierten, ob der Islam eine friedliche oder eine nicht friedliche Religion sei. Eine Klage gegen die Sperre wurde vom Gericht abgelehnt. Derzeit versucht Ateizm Derneği die Angelegenheit vor dem Verfassungsgericht zu klären. "Es geht hierbei um ein Gesetz, dass die öffentliche Äußerung von Nicht-Theisten verbietet, weil dies den sozialen Frieden störe und Gläubige beleidige", führte Rechtsanwalt Mehmet Emin Uçbağlar aus.

Die Frage aus dem Publikum, wie man denn angesichts der schockierenden Situation den Atheisten in der Türkei helfen könne, beantworteten die Preisträger bescheiden und doch eindringlich: "Wisst, es gibt uns – und wenn wir euch eines Tages brauchen, seid für uns da!"