Indien

Lieber tot als Boot!

Wie massiv religiöses Denken die Vernunft behindert, zeigte sich jüngst bei einer Rettungsaktion in Indien. Während massiver Überschwemmungen weigerten sich Mitglieder der höchsten hinduistischen Kaste, in ein Rettungsboot zu steigen, weil sie ihren Retter für unrein hielten.

In der vergangenen Woche wurde der indische Bundesstaat Kerala von heftigen Überschwemmungen heimgesucht. Mehr als 300 Menschen starben. Hilfe für die Überschwemmungsopfer von Kerala wurde unter anderem durch rund 2.800 Fischer geleistet, die freiwillig mit ihren Booten in der Region Menschen retteten, welche von den Fluten in ihren Häusern gefangen waren. Laut Bericht des US-amerikanischen Nachrichtensenders CNN war unter diesen Fischern auch der 47-jährige Marion George, der von einer erstaunlichen Begebenheit während der Rettungsaktion erzählte.

In der Hafenstadt Kollam kam er mit seinem Fischerboot zu einem Haus, in dem eine 17-köpfige Familie gefangen war. Als er ihnen sagte, dass er gekommen sei, um ihnen zu helfen, brach die Familie jedoch nicht in Jubel aus, sondern fragte George zunächst nach seiner Religion. Als er sagte, dass er Christ sei, lehnte es die Familie ab, sich helfen zu lassen und forderte ihn auf, ihr Haus wieder zu verlassen. Das Problem: Die Familie gehört der höchsten indischen Kaste an, den Brahmanen. George hingegen ist ein christlicher Fischer.

Im Hinduismus spielt die Kastenzugehörigkeit eine wichtige Rolle. Nach traditioneller hinduistischer Vorstellung gehört jeder Mensch einer Kaste an, in die er hineingeboren wird und die er zeitlebens nicht verlassen kann. Die oberste Kaste (Brahmanen) ist Priestern und Gelehrten vorbehalten, ihnen folgen – in absteigender Reihenfolge – Fürsten und Beamte, Bauern und Kaufleute, Knechte und schließlich die Unberührbaren. Auch Menschen anderer Religionen werden von Hindus in das Kastensystem eingeordnet, in welchem Vorstellungen von Reinheit und Unreinheit große Bedeutung haben. Vor allem Brahmanen als Angehörige der höchsten und damit reinsten Kaste sind massiv darauf bedacht, ihre Reinheit zu bewahren und keinesfalls Berührungen mit unreineren, sprich rangniedrigeren Menschen zuzulassen. Bis heute wird im mehrheitlich hinduistischen Indien vorwiegend innerhalb derselben Kaste geheiratet.

Laut CNN berichtete der Fischer Marion George, dass er fünf Stunden später wieder an dem Haus der Familie vorbei kam, die noch immer um Hilfe rief. Er bot erneut an, alle in seinem Boot mitzunehmen, doch die Familie stellte Bedingungen: Er dürfe sie nur mitnehmen, wenn er sie nicht berühre.

Wie die Geschichte ausging, berichtet CNN bedauerlicherweise nicht. Sollte sich die Familie aufgrund ihrer religiösen Überzeugung selbst aus dem evolutionären Genpool gelöscht haben, wären die Chancen auf postumen Gewinn des Darwin Awards sicherlich als recht hoch einzuschätzen.