Kommentar

Je suis Hühnerstall

Vor fünf Jahren fand der Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo statt. Viele Menschen starben, weil sich muslimische Fanatiker durch Satire in ihren religiösen Gefühlen verletzt sahen. Dass es nicht notwendigerweise religiöser Fanatiker bedarf, um die faktische Freiheit von Kunst und Satire ins Wanken zu bringen, bewies jüngst ein vom WDR veröffentlichtes Scherzlied.

Heute vor fünf Jahren betraten zwei maskierte und bewaffnete Männer die Redaktion der französischen Satirezeitschift Charlie Hebdo in Paris und töteten dort elf Menschen. Ihr Motiv: Sie sahen in den von Charlie Hebdo immer wieder veröffentlichten Mohammedkarikaturen ihren Glauben verletzt. Und das gleich in doppelter Hinsicht, denn für einige islamische Strömungen ist die bildliche Darstellung von Mohammed komplett verboten, eine kritische oder lustige Darstellung des islamischen Propheten natürlich erst recht.  

Dass Menschen in der weitgehend säkularen westlichen Welt von religiösen Fanatikern wegen satirischer Zeichnungen umgebracht werden, war für viele ein Schock. In den sozialen Medien breitete sich mit dem Meme "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie) schnell eine Welle der Solidarität aus. Auch Politiker verurteilten den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo als Angriff auf die Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit, die nun mal Kernelemente einer freiheitlich-demokratischen Kultur sind. In Deutschland führte dies sogar zu einer Diskussion darüber, ob es nicht endlich an der Zeit sei, den hierzulande noch immer geltenden "Blasphemie"-Paragrafen 166 StGB abzuschaffen. Doch die Diskussion verlief im Sande. Den Paragrafen gibt es immer noch.

Allerdings wurden damals auch Gegenstimmen laut: Ob Charlie Hebdo denn nicht vielleicht doch ein bisschen zu weit gegangen sei und ob man nicht vielleicht doch mehr Rücksicht auf religiöse Gefühle nehmen müsse? Aus Solidarität mit Charlie Hebdo druckten im Januar 2015 viele Zeitungen weltweit die Titelseite des ersten Heftes des Satiremagazins nach dem Anschlag ab: Eine Mohammed-Karikatur, in der der Prophet mit einer Träne im Auge ein "Je suis Charlie"-Schild in Händen hält, darüber der Schriftzug "Tout est pardonné" (Alles ist vergeben). Einige Medien jedoch weigerten sich, diese Titelseite abzudrucken. Unter ihnen die New York Times. Nicht aus Selbstzensur, wie man dort betonte, sondern weil es die eigenen Richtlinien vorsähen, nichts zu veröffentlichen, das absichtlich religiöse Gefühle beleidige.

Eine seltsame Reaktion auf religiöse Befindlichkeiten. Denn wenn die religiösen Gefühle eines Menschen dazu führen, dass er andere Menschen umbringt, dann darf diesen religiösen Gefühlen selbstverständlich nicht mehr Freiraum gegeben werden. Im Gegenteil: Eine freiheitliche Gesellschaft muss entsprechende Grenzen aufzeigen. 

Wie steht es nun fünf Jahre nach dem blutigen Anschlag auf Charlie Hebdo um die Satire? Nicht gut, möchte man nach den jüngsten Ereignissen rund um "Omagate" meinen. Ein vom WDR umgedichtetes Scherzlied, das die gegenwärtige Zuspitzung der Klimadiskussion satirisch aufs Korn nimmt. Und zwar indem es eine im Hühnerstall Motorrad fahrende fiktive Oma aufgrund ihres Spritverbrauchs von Angehörigen der Klimastreikgeneration als "Umweltsau" bezeichnen lässt. Dieses Liedchen löste rechte Shitstorms in den sozialen Medien aus und rechte Demonstrationen vor öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Und das Allerschlimmste: Die inszenierte Empörung der Rechten führte dazu, dass der WDR das Video mit dem Scherzlied löschte und dass WDR-Intendant Tom Buhrow sich für dessen Veröffentlichung und die dadurch verletzten Gefühle entschuldigte.

Diesmal ist durch die Satire niemand getötet worden. (Noch nicht. Wer weiß.) Diesmal waren nicht die Gefühle religiöser Fanatiker verletzt, sondern die Gefühle von Rechten und Konservativen, die ihre lieb gewonnene Lebensweise durch die "Generation Greta" bedroht sehen. Ja, genau darum ging und geht es bei diesem durch rechte Kreise gezielt inszenierten Shitstorm, dem sich dann Empörbürger aus dem konservativen Lager anschlossen. Es ging nicht um das vermeintliche Indoktrinieren von Kindern, indem man sie dieses Lied singen lässt. Also bitte! In jedem Kirchenchor findet deutlich mehr Indoktrinierung statt, über die die allermeisten jener Shitstormer jedoch nie ein böses Wort verlieren würden. Und es ging den rechten Shitstormern auch nicht primär um den mangelnden Respekt vor der Oma-Generation. Wie sehr diese Generation von den Rechten respektiert wird, davon konnten sich die "Omas gegen Rechts" bei der Gegendemonstration zum ersten rechten Omagate-Aufmarsch vor dem WDR in Köln überzeugen: Sie wurden von den Rechten mit Schimpfworten und verbalen Herabwürdigungen übersäht. Nein, um all diese vorgeschobenen Dinge ging es nicht. Es ging um verletzte Gefühle.

Doch verletzte Gefühle dürfen niemals ein Grund dafür sein, die Kunst- oder Pressefreiheit einzuschränken. Nicht durch eine Schere im eigenen Kopf und noch viel weniger, indem man auf diese (tatsächlichen oder inszenierten) Gefühle mit Einknicken reagiert. Was passiert, wenn man es tut, zeigt sich aktuell sehr anschaulich an den Folgen der WDR-Reaktion auf das Hühnerstalllied: Jene, die den Shitstorm inszenierten, sehen sich gestärkt und fordern nun die Abschaffung des nächsten Störfaktors in ihrer Gefühlswelt: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Wenn wir uns eine freiheitliche Kultur erhalten wollen, darf es so nicht weitergehen. Menschen müssen lernen zu akzeptieren, dass Satire Gefühle verletzt. Das darf sie und das muss sie, denn es ist nun mal ihre Aufgabe, dorthin zu zielen, wo es wehtut. Und sie darf es vollkommen unabhängig davon, ob man sie persönlich als gelungen empfindet oder nicht – ein Empfinden, das übrigens häufig mit dem Verletztheitsgrad der eigenen Gefühle korreliert, wie man munkelt. 

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