Kommentar

Wie die politische Elite im Kampf gegen das Coronavirus scheitert

Der Lockdown geht in die Verlängerung. Die Infektionszahlen sind nach wie vor zu hoch und rasche Besserung noch nicht abzusehen. Die Hauptschuld für die Entwicklung tragen die politischen Schwergewichte in diesem Land. Allen voran die Kanzlerin, ihr Gesundheitsminister und die Ministerpräsidenten. Ein Lehrstück über Politikversagen.

Zugegeben, als im Januar das Coronavirus von China nach Deutschland kam, konnte wohl niemand in der Politik vorhersehen, welche dramatischen Auswirkungen dieses Virus auf unser Leben haben würde. Die Wucht, mit der es sich hierzulande breitmachte, erstaunte auch Epidemiologen. Unabhängig davon jedoch war in der Vergangenheit aus der Wissenschaft immer wieder angemahnt worden, dass eine Pandemie unter den Bedingungen unserer globalisierten Wirtschaft nur eine Frage der Zeit sein würde. Es waren sogar detaillierte Krisenpläne ausgearbeitet worden.

Mangelnde Vorkehrungen

Man hätte also durchaus vorbereitet sein können. War man aber nicht, auch wenn Gesundheitsminister Spahn anderes behauptete. Es gab weder genug Schutzausrüstung noch hatte man sich Gedanken darüber gemacht, wie man das Einschleppen des Virus aus anderen Ländern verhindern könnte. Auch das rechtzeitige Verordnen des Tragens einer Maske scheiterte daran, dass nicht genug zur Verfügung standen. Noch schlimmer: endlos lange wurde darüber diskutiert, ob diese überhaupt Schutz böten. Als ob das Tragen von Schutzmasken in den asiatischen Ländern Folklore wäre. Das Einzige, was Deutschland im Frühjahr also hatte, war Glück. Glück, weil uns das Virus zwei Wochen später traf als etwa Italien und Österreich.

Der erste Lockdown

Da sowohl die Zahl der Neuinfizierten als auch die Zahl der Toten im März schnell exponentiell wuchsen, blieb Deutschland letztlich nur das Mittel des Lockdowns. Es funktionierte! Doch alles erst mal herunterzufahren war relativ einfach, die anschließenden Lockerungsdebatten zeigten allerdings die großen Schwächen des föderalen Systems. Schon bald wusste niemand mehr, was genau wann, wo und wie galt. Statt eines einheitlichen Vorgehens entwickelte sich ein Flickenteppich. Doch wenn man nicht weiß, was gilt, dann neigen Menschen dazu, zu machen, was sie wollen.

Die Krönung dieses Theaters war dann das Schaulaufen der beiden potenziellen Kanzlerkandidaten Markus Söder und Armin Laschet. Die Kanzlerin schaute dem Treiben dabei tatenlos zu, ohne selbst vernünftige und nachhaltige Konzepte vorzulegen. Während in manchen Bundesländern also schon bald wieder die Schulen und Kitas öffneten, konnte man in Bayern seinen Nachwuchs zwar in den Biergarten oder den Gottesdienst schicken, aber noch nicht in die Kita oder Schule.

Vergeudete Zeit

Den Sommer über erlebte Deutschland dann eine Phase der Entspannung. Das war jedoch weniger der Tatsache geschuldet, dass die politisch Verantwortlichen das richtige Maß an Vorsicht und Umsicht gefunden hätten, sondern vielmehr dem guten Wetter. Dennoch gab es immer wieder größere Ausbrüche, vor allem in der fleischverarbeitenden Industrie und in Gottesdiensten. Auch bei solchen lokal begrenzten Infektionsherden machten die Verantwortlichen nur selten eine gute Figur. Es sei hier nur an das inkonsequente Vorgehen von Armin Laschet beim Ausbruch bei Tönnies erinnert. Der größte Fehler war es jedoch, Urlaubsreisen zuzulassen. Obwohl man wusste, dass unter anderem Reisen in die Türkei oder an den Balkan ein großes Risiko darstellten, ließ man diese zu. Als man den Fehler dann bemerkte, wurde zwar eine Quarantänepflicht eingeführt, überwacht wurde diese aber kaum. Mit dem Umschwung des Wetters im September kam dann das Virus mit voller Wucht zurück.

Vor einer solchen im Herbst beginnenden zweiten Welle hatten viele Expertinnen und Experten gewarnt. Dennoch traf es die politisch Verantwortlichen einmal mehr völlig unvorbereitet. Bei den Schulen lautete die Devise Lüften und durch. Bei der WarnApp war der Datenschutz wichtiger als die Funktion. Reisen blieben weiterhin erlaubt. Auf die Überwachung von Quarantäne verzichtete man weitgehend. Betriebe wurden erst gar nicht systematisch kontrolliert. Die Gesundheitsämter hantierten mit Excel-Listen und kämpften mit zu wenig Personal. Selbst die Querdenker ließ man gewähren. Wobei man die unrühmliche Rolle mancher Gerichte noch gesondert betrachten müsste. Selbst das Maskendesaster aus dem Frühjahr setzte sich fort. Statt mit FFP2-Maske oder ordentlicher OP-Maske liefen und laufen die meisten Menschen immer noch mit Behelfsmasken herum. Am schlimmsten jedoch war und ist das Versagen beim Schutz der Altenheime. Hier starben und sterben Tausende wegen mangelhafter Hygienekonzepte.

Scheibchenweise Lockdown

Das politische Versagen setzte sich leider auch mit dem erneuten Lockdown fort, der von Anfang an unzureichend und inkonsequent war. Zwar mussten einige Freizeiteinrichtungen schließen, aber im Kern entschied man sich für die Methode Ischgl. Das Geschäft – in diesem Fall das Weihnachtsgeschäft – sollte noch mitgenommen werden. Ja, selbst der "Black Friday" konnte noch ungehindert stattfinden. Pünktlich genau zwei Wochen nach diesem Shopping-Event waren die Infektionszahlen dann so hoch, dass wieder die Schließung der Schulen und Kitas unvermeidlich war. Doch die Lernkurve bei den politisch Verantwortlichen war immer noch nicht besonders hoch. Für Weihnachten und Silvester beschlossen die Ministerpräsidenten plus Kanzleramt Ausnahmeregelungen. Feiern war erlaubt, der Gottesdienst natürlich auch.

Die Folge ist jetzt die am Dienstag beschlossene erneute Verschärfung des Lockdowns, die vor allem Eltern mit kleinen Kindern enorm hart treffen wird. Denn die Schulen und Kitas bleiben in den meisten Bundesländern erst mal dicht. Wobei sich aktuell bereits wieder abzeichnet, dass die Ministerpräsidenten die Beschlüsse sehr unterschiedlich auslegen. Der Lerneffekt scheint an dieser Stelle also einmal mehr ausgeblieben zu sein.

Wer gehofft hatte, dass der Beginn der Impfungen die Rettung bringen würde, muss dieser Tage erfahren, dass die politischen Entscheidungsträger sich auch hier nicht mit Ruhm bekleckert haben. Zwar ist noch nicht ganz geklärt, was genau schief lief; Fakt ist jedoch, dass man zunächst zu wenig und viel zu spät von dem in Deutschland entwickelten Impfstoff bestellte und jetzt auf die Zulassung weiterer Vakzine hoffen muss. Auch die Impfstrategie wirft Fragen auf. Warum es weder für medizinisches Personal noch für Pflegekräfte eine Verpflichtung zur Impfung gibt, muss der Gesundheitsminister erst mal erklären. Beim Eindämmen der Masern war man hier konsequenter. So wird sich die Bekämpfung der Pandemie sicher noch bis Ende des Jahres 2021 hinziehen.

Ursachensuche

Doch was sind nun die Ursachen für dieses Desaster bei der Pandemiebekämpfung? Man könnte es sich nun leicht machen und nach individuellen Fehlern suchen. Tatsächlich sind von diesen auch genug offensichtlich. Die wahren Probleme liegen meines Erachtens jedoch tiefer.

Als absolut hinderlich hat sich der deutsche Föderalismus erwiesen. Zumindest dann, wenn es keine klaren Ansagen aus dem Kanzleramt gibt. Eine zentrale Steuerung zur Bekämpfung und vor allem ein einheitliches Vorgehen wären enorm wichtig gewesen. Ein weiteres großes Problem ist die seit Jahren vernachlässigte öffentliche Verwaltung. Am deutlichsten wurde dies beim Robert Koch-Institut und den Gesundheitsämtern. Chronisch unterbesetzt und technisch miserabel ausgestattet, gelang es ihnen nicht, die Infektionsketten zu brechen. In den Krankenhäusern und Pflegeheimen sah es auch nicht besser aus: Überall fehlt es an Personal. Kaum besser lief es im Bildungsbereich. So manche Schule scheiterte nicht erst an der Digitalisierung, sondern bereits beim Öffnen der Fenster.

Es sind allerdings auch die Strukturen des politischen Systems selbst, die ein Problem darstellen: Wer heute in der Politik Karriere machen will, muss sehr früh die Weichen stellen. Es ist inzwischen durchaus typisch, dass direkt nach der meist universitären Ausbildung der Gang in die Politik erfolgt. Was diesem Typus des Berufspolitikers aber fehlt, ist praktische Arbeitserfahrung im "realen" Leben. Dies gilt für den Gesundheitsminister Jens Spahn ebenso wie für den Ministerpräsidenten Markus Söder. Armin Laschet dagegen kann immerhin auf eine Karriere als Chefredakteur einer Kirchenzeitung und eines katholischen Verlages zurückblicken. Das sei nur erwähnt, falls sich noch jemand fragt, warum Gottesdienste fortwährend privilegiert wurden. Hinzu kommt, dass Berufspolitiker häufig eine juristische oder geisteswissenschaftliche Ausbildung durchlaufen haben. Naturwissenschaftler sind selten. Politiker, die exponentielles Wachstum verstehen, offenbar auch. Das und die Angst vor dem Wähler könnten erklären, warum man im Herbst viel zu lange zögerte.

Es sind aber nicht nur die Politiker, die für das Scheitern Verantwortung tragen. Das Coronavirus hat uns ebenfalls aufgezeigt, wie irrational und egoistisch große Teile der Bevölkerung sind. Gerade die Pandemieleugner und Impfgegner haben mit ihren Lügen und ihrem asozialen Verhalten unglaublich viele Schäden verursacht. Es war kein Zufall, dass sich zuletzt große Überschneidungen zwischen AfD-Hochburgen und Corona-Hotspots zeigten. Die AfD steht inzwischen ganz an der Seite der Verschwörungstheoretiker. Zudem zeichnet sich ab, dass die Impfbereitschaft der Bevölkerung wohl zu gering sein wird, um die Pandemie einzudämmen. Selbst das Pflegepersonal verweigert in relevanter Größenordnung die Impfung. Von der humanistischen Vorstellung, man könne auf die Vernunft des Menschen bauen, wird man sich in Zeiten einer Pandemie verabschieden müssen.

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