Anlässlich des 100. Geburtstags ihres Gründungsbeirats Hans Albert hat die Giordano-Bruno-Stiftung einen Film produziert, der ebenso unterhaltsam wie informativ in das Leben und Werk des bedeutenden Wissenschaftstheoretikers einführt. Mit bislang unveröffentlichten Bildern und ungewöhnlichen Animationen klärt die Doku darüber auf, warum Alberts Einfluss auf Wissenschaft und Gesellschaft noch immer unterschätzt wird.
Vor wenigen Tagen meldete die Deutsche Presseagentur (dpa), Albert stehe "in einer Reihe mit Max Weber und Karl Popper" und zähle "zu den bedeutendsten Vertretern seines Fachs deutschland- und weltweit". Ein besseres Zeugnis kann man einem Wissenschaftstheoretiker kaum ausstellen – und dennoch ist Alberts Name vielen Menschen deutlich weniger geläufig als die Namen seiner einstigen Kontrahenten Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas oder Hans Küng. Dieser bemerkenswerte Widerspruch ist Ausgangspunkt des Dokumentarfilms "Hans Albert – Der Jahrhundertdenker" von Ricarda Hinz (Regie) und Michael Schmidt-Salomon (Drehbuch), der am 8. Februar im Rahmen des Online-Festakts zu Alberts 100. Geburtstag erstmalig gezeigt und jetzt noch einmal separat auf dem YouTube-Kanal der Giordano-Bruno-Stiftung veröffentlicht wurde.
Drehbuchautor Schmidt-Salomon, der als Moderator durch den Film führt, erklärt den markanten Kontrast zwischen Alberts hoher wissenschaftlicher Bedeutung und der eher geringen Wertschätzung im Feuilleton unter anderem damit, dass Albert eine "einfache, verständliche Sprache" verwendete, was ihn "für viele Intellektuelle unattraktiv machte, weil hierzulande noch immer das Vorurteil gilt, nur ein komplett unverständlicher Gedanke sei ein wahrhaft tiefsinniger Gedanke". Negativ auf Alberts Popularität habe sich zudem ausgewirkt, dass er sich dem "Zeitgeist" niemals anbiederte und es strikt ablehnte, eine "autoritäre Führungsrolle" zu spielen. Letzteres sei, so Schmidt-Salomon, gerade auch in der Zeit der Studentenrevolte nicht gut angekommen, da sich die 68er-Bewegung zwar als "antiautoritär" verstand, aber zugleich von einer "tiefen Sehnsucht nach autoritären Vaterfiguren" erfüllt war.
Die Doku "Hans Albert – Der Jahrhundertdenker" belegt diese und andere Thesen mit eindrucksvollen Bildern und gewitzten Trickfilm-Animationen. So wird etwa der berühmt-berüchtigte "Positivismusstreit" anhand eines Boxkampfes illustriert, bei dem in der ersten Runde Karl Popper und Theodor W. Adorno sowie in der zweiten Runde Hans Albert und Jürgen Habermas gegeneinander antreten. Alberts nicht minder berühmtes "Münchhausentrilemma" verdeutlicht der Film anhand eines gestressten Vaters, der sich den bohrenden "Warum"-Fragen seiner Tochter stellen muss.
Die ungewöhnliche Anlage des Films sei zum Teil auf die Bedingungen der Corona-Krise zurückzuführen, sagt Regisseurin Ricarda Hinz: "Wir konnten wegen der Corona-Maßnahmen nicht einfach losziehen und stundenlange Interviews führen. Also haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und nach alternativen Lösungen gesucht." Glücklicherweise konnte das Filmteam dabei auf das Privatarchiv der Familie Albert zurückgreifen, so dass die Doku viele Bilder aus Alberts Leben, etwa von seinen Begegnungen mit Karl Popper oder Paul Feyerabend, zeigt, die bislang unveröffentlicht waren. Ein besonderes Highlight sind sicherlich auch die historischen Super-8-Aufnahmen vom "Europäischen Forum Alpbach", das Hans Albert regelmäßig besuchte und es sogar zeitweilig leitete, obwohl er sich selbst als "Organisationsidiot" bezeichnete, "dem man eine solch verantwortungsvolle Aufgabe niemals anvertrauen" sollte.
Dass der fast halbstündige Film trotz eines sehr bescheidenen Budgets, das normalerweise nur für die Fertigstellung weniger Sekunden ausreichen würde, in dieser Qualität produziert werden konnte, liegt an den kreativen Menschen, die Hinz und Schmidt-Salomon in ihrer Arbeit unterstützten. Zu nennen sind hier vor allem das Team des Virtuellen Studios VR3, in dem der Film unter herausragenden Bedingungen entstand, Saskia Zillekens, die mit viel Liebe zum Detail die originellen Grafiken für die Trickfilmsequenzen schuf, Julian Held, der die stimmungsvolle Filmmusik passgenau auf die Bilder komponierte, und Nadine Pungs, die der Doku als Off-Sprecherin eine ganz besondere Farbe und Lebendigkeit verlieh. Großer Dank gebührt auch den Fotografinnen und Fotografen, die ihre Bilder zur Verfügung stellten (insbesondere Evelin Frerk und Frank Luwe) sowie – last, but not least – Kurt Albert, der dem Filmteam eine prall gefüllte Festplatte mit historischen Aufnahmen zusandte, ohne die diese Doku gar nicht möglich gewesen wäre.
"Hans Albert – Der Jahrhundertdenker" wurde so konzipiert, dass der Film auch ein jüngeres Publikum anspricht. Doch was sagt dazu der hundertjährige Jubilar, der nicht gerade zu dieser Zielgruppe gehört? Nun, offenbar hat ihm der Film gefallen – obwohl er es eigentlich gar nicht mag, wenn so viel Aufhebens um seine Person gemacht wird. Gleich nach dem Online-Festakt am 8. Februar rief Hans Albert bei Drehbuchautor Michael Schmidt-Salomon an, um sich bei ihm und den anderen Projektverantwortlichen zu bedanken. Albert freut es sehr, dass eine junge Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die kritisch-rationale Methode entdeckt hat und auf zentrale gesellschaftliche Fragen anwenden möchte. Eben dies hat sich auch das 2020 gegründete Hans-Albert-Institut zum Ziel gesetzt. Ob das Institut dabei dem Erbe seines Namensgebers gerecht werden kann, steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht fest, wird aber sicherlich irgendwann mithilfe des Albert'schen "Prinzips der kritischen Prüfung" untersucht werden...
Erstveröffentlichung auf der Website der Giordano-Bruno-Stiftung.
4 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Größtenteils toll gelungen, muss eine Heidenarbeit gewesen sein! Letzteres passt aber wiederum zu den Autoren...
Am besten gefielen mir die Beiträge von Herbert Steffen und Hans Albert selbst.
Nur scheint es mir nicht ganz richtig, das gesamte Münchhausen-Trilemma mit einem Letztbegründungssumpf zu assoziieren.
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Hans Albert, der Jahrhundertdenker
Das Video beschreibt sehr gut die Bedeutung von Hans Albert, vor allem sein Umgang mit den anderen Philosophen zeigt seine Weisheit. Von der Dramaturgie und den Aussagen ist der Film sehr gut gemacht, ich war nach der Betrachtung doch eine ganze Menge mehr wissend als vor der Betrachtung, und so soll es ja bei einem guten Film auch sein.
Ich habe dennoch eine Frage (ohne aber im geringsten die Leistungen von Hans Albert schmälern zu wollen) zu dem Komplex Erkenntnistheorie wie sie von Karl Popper, Thomas Kuhn und Hans Albert vertreten werden: Die Bedeutung der Falsifikation, der statistischen Bewertung von Beobachtungen sowie der Einführung neuer Konzepte, hat nach meiner Kenntnis Max Planck in vielen Vorträgen in einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten bereits lange vor den bereits genannten Philosophen schon beschrieben, notwendigerweise beschrieben. Er musste neue Begriffe und neue Konzepte in die Physik einführen, das alles führte sogar gegen seine eigene Auffassung zu einem gänzlich neuen Weltbild in der Physik, der Quantenphysik. Ihm war sehr unwohl sich von der klassischen Physik im Bereich der Atome und Moleküle verabschieden zu müssen. In seiner Vortragssammlung „Wege zur physikalischen Erkenntnis“ beschreibt er in einer klaren, präzisen Sprache, den Prozess der Erkenntnisgewinnung, auch heute noch ist gerade dieses Buch jedem Philosophen (der es noch nicht kennen sollte) und Studenten zur Lektüre empfohlen. (Das Buch gibt es online als Nachdruck für 18 EURO, sollte bevorzugt aber beim Buchhändler in der Nachbarschaft bestellt werden). Ich würde mir wünschen, wenn Max Planck auch von Philosophen und Naturwissenschaftlern mehr gewürdigt würde, vor allem was seine Ideen und Einstellungen zur Physik und Philosophie angeht, einem sehr viel breiteren Publikum vertraut gemacht würde.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Lieber Adam, neben "Karl Popper, Thomas Kuhn und Hans Albert" unbedingt auch meine Lese-Empfehlung des Popper-Schülers Alan Musgrave (1993); Common Sense, Science and Scepticism: a historical introduction to
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Ein kleiner Nachtrag.
Es machte mich jemand darauf aufmerksam, dass es doch hilfreich wäre, einige der Vortragstitel hier vorzustellen. Dann sei es verständlicher, wovon ich rede.
17. Februar 1923, Berlin Preuß. Akademie: Kausalgesetz und Willensfreiheit
1. Dezember 1924, Universität München: Vom Relativen zum Absoluten
18. Feb. 1929 in Leiden, Holland: Das Weltbild der neuen Physik
12. Nov. 1930 in Berlin-Dahlem Harnack-Haus: Positivismus und reale Außenwelt
17. Juni 1932 in London: Die Kausalität in der Natur
27. Nov. 1936 Philosoph. Gesellschaft, Leipzig: Vom Wesen der Willensfreiheit
4. Dez. 1937 TU München: Determinismus oder Indeterminismus
Nov. 1941 Berlin-Dahlem Harnack-Haus der KWG: Sinn und grenzen der exakten Wissenschaft