Interview

Selbst mit einem religiösen Motiv kann man in der Kirche provozieren

Manfred Schonlau sorgte heute vor 25 Jahren in Köln für einen handfesten Skandal: Der Fotograf lichtete zwei Aktdarsteller als "Adam und Eva" im Kölner Dom ab "wie Gott sie schuf" – bis auf ein Feigenblatt vor dem Intimbereich waren sie nackt. Eine Aktion mit weitreichenden Folgen, wie der Künstler im Gespräch mit dem hpd erläutert.

hpd: Herr Schonlau, heute jährt sich Ihre Fotoaktion "Adam und Eva im Kölner Dom" zum 25. Mal. Könnten Sie kurz erklären, was es damit auf sich hatte?

Manfred Schonlau: Als Künstler und Fotograf habe ich ständig verrückte Ideen ein Werk entstehen zu lassen. Ich begann 1994 mit Akt auf der Kö in Düsseldorf, 1995 folgte die Enthüllung vor dem verhüllten Reichstag in Berlin. Und viele mehr. 1996 hatte ich die Idee, Adam und Eva leibhaftig im Kölner Dom zu fotografieren, eine moderne Interpretation einer alten Bibelgeschichte.

Was wollten Sie damals mit Ihrer Aktion erreichen? Und hat das funktioniert?

Ich wollte mein Gesamtwerk vervollständigen und herausfinden, wie dieses Motiv im Kölner Dom wirkt. In einem Raum, wo man meint, dass wir von Adam und Eva abstammen. Mir ging es darum, eben auch außergewöhnliche Bilder zu machen, die vor mir noch niemand gemacht hat. Werke schaffen, die Wirkung zeigen. Es hat funktioniert, man hat sie nämlich nicht erkannt. Es war, als wenn man zwei blanke Stromdrähte dicht aneinander führt.

Damit meinen Sie, dass die Menschen beziehungsweise die Gläubigen nicht erkannt haben, dass es sich um das religiöse Motiv "Adam und Eva" handelt und nur zwei skandalöse Nackte gesehen haben?

Korrekt, die Menschen und Gläubigen waren – und sind es bis heute – geblendet von einer Übermacht, die sie sich selbst nicht erklären können. Dabei trugen meine Modes Feigenblätter. Aber Glaube, auch wenn er irrtümlich ist, kann wohl Berge versetzen.

Wie blicken Sie heute auf Ihre Dom-Aktion?

Manfred Schonlau, Jahrgang 1961, ist freier Künstler und Fotograf seit 1991, zunächst in Hamburg, wo er als Werbe- und Modefotograf arbeitete, später konzentrierte er sich auf eigene Projekte in Kunstform, davon häufig Kunst im öffentlichen Raum. Seine Werke waren in zahlreichen Ausstellungen in Deutschland und Spanien zu sehen. Heute lebt und schafft er in Köln: unter anderem digitale Kunst, Collagen und weiterhin Fotografie.

Es war das wohl spektakulärste Projekt, was ich jemals gemacht habe und es ist immer präsent in meinem Kopf und ich bin sehr froh, es gemacht zu haben. Und ich habe daraus gelernt, dass man selbst mit einem religiösen Motiv in der Kirche so provozieren kann.

Das Ganze blieb für Sie nicht ohne Folgen. Sie erlebten, was man heute als Shitstorm bezeichnen würde und mussten sich vor Gericht verantworten.

Das stimmt. Nach dem Protestaufruf der Katholiken gegen mich und der – ich nenne es Hetzkampagne – des damaligen Kardinals Meisner und seines Sekretärs Woelki mit einer riesen Schlagzeile im Kölner Express begann eine reine Hexenjagd: Ich bekam unzählige Morddrohungen und eine Paketbombe. Nachdem die Staatsanwaltschaft Köln Anklage gegen mich erhoben hat, musste ich mich durch drei Gerichtsinstanzen kämpfen. In der ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht wurde ich wegen Paragraph 166 (sog. "Gotteslästerungsparagraph", Anm. d. Red.), 167 ("Störung der Religionsausübung", Anm. d. Red.) und 123 (Hausfriedensbruch, Anm. d. Red.) verurteilt. Vier Monate Haft auf Bewährung und 3.000 D-Mark Geldstrafe. In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht wurde ich dann nur noch wegen Paragraph 167 und 123 zu 1.200 D-Mark Geldstrafe verurteilt. Die Revisionen von mir und der Staatsanwaltschaft wurden vom Oberlandesgericht verworfen und das Urteil vom Landgericht rechtskräftig.

Kurze Zeit später wurde auch noch eine einstweilige Verfügung für die entstandenen Fotos erlassen. Und das ist eine Geschichte für sich: Das Landgericht Köln erließ eine einstweilige Verfügung gegenüber Fotos, beantragt durch die Anwälte der hohen Domkirche zu Köln, die man nie gesehen hatte. 1999 kam eine erneute Zivilklage vom Landgericht Köln durch diese Anwälte. Man hatte auf Herausgabe des gesamten Bildmaterials geklagt, weil man nicht genau wisse, wann die einstweilige Verfügung ihre Wirkung verliert. Und ob man durch eine Veröffentlichung eines der Fotos erneut eine Beschimpfung und Herabwürdigung von Weltanschauungsvereinigungen hinnehmen müsse. Die Klage richtete sich auch gegen Dritte, falls ich schon ein Foto verkauft haben sollte. Ich nahm ein Versäumnisurteil in Kauf und reagierte nicht. Ich habe auch nie wieder davon gehört und niemand hat die Fotos verlangt.

"Adam und Eva" vor dem Kölner Dom
"Adam und Eva" vor dem Kölner Dom am 19.07.1997. Gegen die Fotos, die im Jahr zuvor innerhalb des Kölner Doms entstanden, besteht eine einstweilige Verfügung. (Foto: © Manfred Schonlau)

Zum ersten Jahrestag nahm ich erneut Adam-und-Eva-Fotos auf, diesmal am und nicht im Kölner Dom. Am Tag zuvor kam ein Gerichtsvollzieher zu mir nach Dortmund und musste mir persönlich das schriftliche Hausverbot für den Kölner Dom zustellen. Als wir nach Köln kamen, stand der Dom unter Polizeischutz und der leitende Kommissar hat mich nochmals auf das Hausverbot hingewiesen. Das war schon wieder ein absoluter Hammer!

Wie ging es danach weiter?

Nach der einstweiligen Verfügung und meiner Verurteilung habe ich gemerkt, wie groß der Einfluss der Kirche auf Justiz und Gesellschaft ist. Ich machte das Motiv Adam und Eva dann allgegenwärtig und fotografierte sie an vielen Orten Deutschlands. Und siehe da, niemand hatte ein Problem damit. Ganz im Gegenteil.

Ich war acht Jahre auf Ibiza, ich nenne es mein Exil-Paradies. Trotzdem aber war es eine Flucht vor der Gefahr, von Fanatikern umgebracht zu werden. Jedes Mal, wenn ich ein Shooting mit Models machte oder eine Ausstellung und die Presse berichtete, erwähnte man auch meine damalige Dom-Aktion. Daraufhin hagelte es immer wieder aufs Neue Morddrohungen. Ich habe meine gesamte Habe zurückgelassen, auch viele persönliche Dinge. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, dann kommt alles wieder hoch und ich fange erneut an zu trauern.

Glauben Sie, Nacktheit im Kölner Dom würde heute andere Reaktionen hervorrufen? Hat sich die Gesellschaft in dieser Hinsicht weiterentwickelt?

Es kommt darauf an, in welchem Kontext sich die Nacktheit dort zeigen würde. Man würde sicher störrisch reagieren, es wäre aber kein Skandal. Es ging bei meiner Aktion um den Hauptaltar und die Frau. Allein schon, dass eine Frau den Altarbereich betreten hatte war für die Kirchenleute unerträglich, und dass diese auch noch mit dem nackten Po auf dem Altar saß, war der Höhepunkt. Das erfuhr ich von einem evangelischen Pfarrer aus Köln. Die Frau gilt in der katholischen Kirche als unrein. Die Gesellschaft hat sich jedoch meiner Meinung nach zurückentwickelt. Sie kommt mir heutzutage prüder als in den 90er Jahren vor.

Wurde der Altar eigentlich neu geweiht? Hat also der "unreine" nackte, weibliche Körper den Altar bei der Berührung entweiht?

Manfred Schonlau
Manfred Schonlau (Foto: privat)

Es wurde spekuliert, ob der Dom durch meine Aktion – insbesondere durch die Eva (also die Frau) – entweiht wurde, oder nur der Altar oder der Altarbereich. Ich sah im Fernsehen den Sprecher des Erzbistums, der da sagte, die Kirchenjuristen würden den Fall prüfen und wenn entweiht wurde, dann müsse man neu weihen. Ich frage mich nur, was die Kirchenjuristen da geprüft haben oder wie? Liebe Güte, was ein Mumpitz!

Wie blicken Sie heute zurück?

Dieses Projekt hat mein Leben verändert. Ich habe alles in allem einen sehr hohen Preis bezahlt. Religionen schaden der Gesellschaft und machen ein friedliches Zusammenleben erheblich schwieriger.

Würden Sie die Aktion trotz aller schwerwiegenden Folgen zum heutigen Zeitpunkt wiederholen?

Auf jeden Fall! Nicht zuletzt wegen der ganzen Missbrauchsfälle und der Diskriminierung von Homosexuellen. Wenn ich die Darsteller zur Verfügung hätte, vielleicht zwei Adams oder zwei Evas oder alle auf einmal. Und ich würde ganz stark auf die Doppelmoral und Scheinheiligkeit der katholischen Kirche aufmerksam machen.

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